Die Suche nach dem Gold

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Freitag, 28. Januar 2011

Das innere Ungleichgewicht

Da ist diese junge Frau, gefangen im Körper eines weißen Schwans. Nur die aufrichtige Liebe kann sie befreien. Fasziniert von Tragik und Anmut ihrer Gestalt verfällt ihr ein junger Prinz. Doch die schwarze Seite ihrer Seele ergreift die Macht über ihr Tun, verführt den Angebetenen und besiegelt das Schicksal beider. Die herausfordernde Rolle an einer New Yorker Oper spielen zu dürfen ist der große Traum von Nina (Natalie Portman). Der Direktor Thomas Leroy (Vincent Cassel) zweifelt jedoch daran, dass die diszipliniert-kontrollierte und völlig verkopfte Nina in der Lage ist, den leidenschaftlich-verführerischen Part des schwarzen Schwans auf die Bühne zu bringen. Erst ein unerwarteter kurzer Ausbruch Ninas stimmt ihn um. Leroy bringt einen Stein ins rollen, der zur Lawine wird.



Mit seiner modernen Version von Schwanensee lockt der für außergewöhnliche Filme bekannte Regisseur Darren Aronofsky seinen Zuschauer auf eine Reise, die sich nach gemächlichem Beginn als Achterbahnfahrt herausstellen wird - mit Loopings wie Faustschläge in die Magengrube. Vor allem im letzten Viertel regelrecht in seinem Kinosessel gefesselt - denn diesen Film muss man auf der großen Leinwand sehen! - erlebt der Beobachter eine Wandlung der Protagonistin, die ihm den Atem raubt. Viel ist in Kritiken zu
Black Swan über die Auseinandersetzung mit einem Mikrokosmos (oder auch gerne höher gestapelt; einer Gesellschaft) des Leistungsdrucks die Rede. Der Krieg der bissigen Zicken (u.a. Mila Kunis und die ein wenig in Vergessenheit geratene Winona Ryder) soll das veranschaulichen, auch die Erwartungen des Regisseurs oder der Wahn der Mutter (Barbara Hershey), selbst eine gescheiterte Ballerina, die geplatzten Träumen nachtrauert. Doch Hersheys Figur in ein solches SChema zu pressen, wäre unangebracht. Früh entdeckt die Mutter, welche tiefschwarzen Charakterzüge in ihrer Tochter schlummern. Sie ist die einzige, die Anzeichen richtig deutet und versucht, die erwachsene Nina in einer Welt der Kuscheltiere und Blümchenschlafanzüge zu halten. Ohne zu viel zu verraten: es wird ihr freilich nicht gelingen.

Was folgt ist ein Psychodrama, das sich gewaschen hat. Großartig insziniert und gefilmt, mitreißend und faszinierend. Ein Film, der seinen Zuschauer nicht so schnell wieder loslässt, für den Natalie Portman bei den Vorbereitungen auf ihre Rolle und wärend der Dreharbeiten selbst Höllenqualen durchlitten haben muss. Den Golden Globe hat sie als Honorierung bereits erhalten, der Oscar könnte folgen. Wer sich von der Ballett-Thematik abschrecken lässt, ist selbst schuld. Er verpasst Großes.



Samstag, 25. Dezember 2010

Ein Lied für Argyris

Auf der Suche nach der passenden Mischung von persönlicher und künstlerischer Freiheit sowie dem nötigen Maß an beruflicher und finanzieller Sicherheit bin ich in diesem Jahr bei der Stuttgarter Zeitung gelandet. In einem Job, der es mir erlaubt, über einen Großteil meiner Zeit frei zu verfügen und Geschichten anzugehen, die mich reizen, weil sie den Blick auf Menschen richten, die Aufmerksamkeit verdient haben. Die Begegnung mit dem griechischen Sozialarbeiter Jorgos Louizos führte mich vor einigen Wochen ins Kino - zu einer Sonderaufführung der bemerkenswerten Dokumentation Ein Lied für Argyris des Schweizers Stefan Haupt aus dem Jahr 2006 - einem Film, der definitiv Aufmerksamkeit verdient hat.



Ich erinnere mich an eine Zeit vor gut 15 Jahren, da war ich des Themas überdrüssig. Immer wieder erzählten sie die gleiche Geschichte, immer wieder mahnten sie. Und so schlimm diese Geschichte auch war, die 50 Jahre und mehr zurücklag und durch Steven Spielbergs Schindlers Liste so schmerzhaft eindringlich verfilmt wurde, so sehr hatte ich es satt, sie zu hören. Es wollte nicht in meinen Kopf, was ich, was meine Generation mit dem zu tun hatte, was unsere Großväter verbrochen hatten. Schlussstrichdebatten gab es damals schon zuhauf. Heute stehe ich auf der anderen Seite der Argumentierenden. Die Zeitzeugen sterben langsam aus. Umso dringlicher ist es, die Erinnerung aufrecht zu erhalten.

Stefan Haupt widmet sich in Ein Lied für Argyris der Geschichte von Argyris Sfountouris (Fotos siehe oben), der als noch nicht Vierjähriger am 10. Juli 1944 (vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie) ein Massaker von SS-Schergen auf das griechische Bauerndorf Distomo erlebte und überlebte, im Gegensatz zu Dutzenden seiner Verwandten und seinen Eltern. Seine Schwestern und er überlebten dieses feige Kriegsverbrechen, weil einer der Deutschen, die ihr Dorf überfielen, kleine Steine nach ihnen warf, um sie zu verscheuchen, bevor seine Kameraden sie entdeckten. Man stelle sich die Konsequenz eines solchen Handelns vor, man stelle sie vor, wie manchmal in Sekundenbruchteilen getroffene Entscheidungen Lebenswege verändern. Haupt zeigt aber nicht nur die unerklärliche Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind, den existenziellen Kummer und die Ratlosigkeit, die eine solche Tat bei den traumatisierten Hinterbliebenen auslöst, er ordnet diese Tat und ihre Folgen ein in den Lauf der Zeit. Argyris, der trauernde Junge, der auf Bildern danach immer nur auf seine Zähne beißt, kommt in ein Pflegeheim, reist einige Jahre später in die Schweiz aus und landet im Kinderdorf Pestalozzi für Kriegswaisen. Er studiert später Kern- und Astrophysik, wird noch später Entwicklungshelfer in Somalia, Indonesien, Nepal, trägt stets den moralischen Imperativ seines Vaters in und mit sich. Aus dem Jungen, der früh ein Leid erfuhr, das nicht in Worte zu fassen ist, wird ein Mann, der der Welt seinen Stempel aufdrückt. Den aber Zeit seines Lebens die Frage verfolgt, wie man mit so einer Geschichte umzugehen hat.

Kann man solch ein Leid verarbeiten? Soll man es verdrängen? Seine Schwester, das zeigt die Dokumentation auch, hat den Weg hinaus aus ihrem Kummer nie gefunden. "Ihr Verstand ist stehengeblieben", heißt es - an jenem Tag, an dem die Deutschen kamen und töteten, Dinge taten, die unerklärlich sind, die man sich aber anhören muss, um sich selbst zu vergegenwärtigen, wie Menschen sein können. Um vielleicht für sich ein eigenes kleines Fazit zu ziehen, einen eigenen kleinen moralischen Imperativ für den Umgang mit Menschen und für individuelle gesellschaftliche Verantwortung zu finden. Als die Deutschen nach Athen kamen, gingen sie auf die Akropolis, um die Geschichte und Kultur der Hellenen zu studieren. Auf dem Weg zurück brachen sie hungernden Kindern mit einem Stück Brot in der Hand den Arm.

Doch nicht die individuellen Folgen für Argyris sind Thema des Films, auch die globalen. Die Tatsache, dass die Obristen 1967 ihre grausame rechte Militärdiktatur in Griechenland nur deswegen erwirken konnten, weil der Westen alle sozialistischen Gruppierungen aus Angst vor dem Kommunismus kriminalisierte. Oder Willy Brands Kniefall von Warschau im Dezember 1970, das Eingeständnis der Schuldgefühle einer neuen Generation, das den Blick auf die Deutschen veränderte. Auch der nach der Wiedervereinigung beginnende Kampf um Entschädigung der Überlebenden von Distomo gegen die Bundesrepublik, der auf höchster juristischer Ebene beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch nicht entschieden ist - und der von Argyris Sfountouris initiiert wurde. All diese Bausteine machen Ein Lied für Argyris zu einer gleichsam spannenden Geschichtsstunde wie zu einem nachhaltig aufwühlenden Filmerlebenis - einem Dokument gegen das Vergessen.

Sonntag, 18. Juli 2010

Adieu, Selbstbestimmung

Fast 40 und scheinbar noch nichts erreicht im Leben - das kann ganz schön frustrierend sein. Drei gealterte Jugendfreunde, deren Boygroup Berlin Brothers seit zehn Jahren auf ihren Durchbruch wartet, planen den ultimativen Coup. Frontmann Johannes Frederik Selinger nennt sich um in John F. Salinger, setzt sich Sonnenbrille und Cowboyhut auf, fälscht durch angeklebte Haare seine Koteletten und fliegt mit seinen Kumpels nach New York. Das Rezept für seinen Weg zum Ruhm: Salinger kündigt an, zu sterben und lässt sich zum Beweis den kleinen Finger der linken Hand amputieren. Die Medien sollen die Reise nach L.A. und in den Tod begleiten. Doch diese beißen erst an, als das Trio zu drastischeren Methoden greift.



Es ist ein Moment voller Biss und Ironie in Short Cut to Hollywood. Beseelt von seiner Narkose, sein Finger wird gerade in Großaufnahme chirurgisch entfernt, schaltet John F. Salinger den Fernseher im Operationswohnwagen auf laut. Zu sehen sind Mark Medlock und Dieter Bohlen, singend: "You can get it if you really try." Das filmische und musikalische Zitat, wie es später im Abspann genannt wird, ist eine Ohrfeige auf die Industrie medialer Traumfabriken, die mit den Sehnsüchten ihrer Konsumenten spielt, genau wie der gesamte Film von Jan Henrik Stahlberg und Marcus Mittermeier, die gemeinsam bereits Muxmäuschenstill drehten. Der unendliche Wille und individuelle Kampf nach Ruhm und Aufmerksamkeit lässt Menschen über Leichen gehen - während Regisseure Freudetränen in den Augen haben. Die menschliche Tragödie verkauft sich wunderbar.

Salinger und seine Freunde werden bald feststellen müssen, dass es nicht ausreicht, sich einen Finger abzuschneiden, um in den Mechanismus aufgenommen zu werden. Erst ein weiterer gescheiterter und ein höchst erfolgreicher Knalleffekt später ist der Weg nach vorn geebnet, aus dem es freilich kein Entrinnen mehr gibt. Die Aufgabe der Selbstbestimmung ist der Preis für den Verkauf seiner Seele. Der Mensch aber ist ein kompliziertes Wesen, das sich zu häufig zu sehr von den Gefühlen des Jetzt leiten lässt und unfähig ist nachzuvollziehen, dass temporäre Emotionen temporär sind. Für den lebensmüden John F. Salinger wird das in dem Moment zum Problem, in dem er das Lächeln einer beliebigen Schönheit sieht und sich verliebt. Ein Lächeln, das ihm nur geschenkt wird, weil er der ist, zu dem er es gebracht hat.

Mit geringem Budget, aber selbstbestimmt, drehten Stahlberg und Mittermeier Short Cut to Hollywood in den USA, dem Mekka der (amerikanischen) Traumwandler. Vor dem Start ihres Filmes in Deutschland gelang ihnen ein entlarvender Werbegag, der ihr Werk adelte. Sie brachten die Meldung eines Selbstmordattentates in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater in Umlauf und narrten damit Agenturen und Medien, für die eine saubere Recherche und die Überprüfung aller Fakten dem Ziel untergeordnet sind, die Meldung als erstes zu haben. Willkommen in der Wirklichkeit.


Samstag, 17. Juli 2010

Eine Welt voller Autisten

Rizwan Khan, ein junger indischer Muslim in San Francisco, leidet unter dem Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus, die sich vor allem in der Empfindbarkeit von Gefühlen anderen Menschen gegenüber zeigt. Trotzdem verliebt sich Khan sofort, als er Mandira kennen lernt. Das Glück scheint vollkommen, als die beiden heiraten und ein Geschäft eröffnen. Doch dann kommt der 11. September 2001 - und ändert alles. (Quelle: Moviemaze)



Großes Potenzial, grandios verschenkt - oder müsste man verscherbelt sagen? Verkauft zugunsten von Effekthascherei a la Hollywood? Schwerfällige Musik, deren unterschwelliger Patriotismus nicht dadurch besser wird, dass sie nach Indien und Bollywood klingt. Ständige Schwarzblenden. Eine Überdosis an schwulstiger Dramatik. Und fertig ist der Kassenschlager. Schade nur, dass die ansonsten viel versprechende Story dadurch schwer ins Hintertreffen gerät.

"Es gibt nur zwei Arten von Menschen: Gute., die gutes tun und Böse, die böses tun" - mit diesem Satz erklärt die Mutter von Rizwan Khan ihrem allein äußerlich erwachsenen Sohn die Welt. Rizwan kann das nicht nachvollziehen. Er leidet unter dem Asperger Syndrom, das es ihm erschwert, ja fast unmöglich macht, Empathie zu zeigen, Gefühle zu spüren. Rizwan wirkt schon in der Zeit vor dem Epochenwechsel des 11. September 2001 wie ein Fremdling. Filmische Mitmenschen wie Kinobeobachter lachen über ihn, dabei ist er eine tragische Figur, für die nur derjenige Verständnis und Fürsorge aufbringen kann, der vor Kraft und Energie nur so strotzt. Die Welt aber, schon vor den Terroranschlägen von New York kompliziert genug, wird durch sie noch unberechenbarer. Der außer Kontrolle geratene Krieg der Religionen in den Köpfen der Menschen scheint die Weltenbürger mit einem Handschlag ebenfalls zu Autisten zu machen - unfähig zum halbwegs harmonischen Miteinander. Die westliche Zivilisation, allen voran die vor Wut torkelnde letzte verbliebene Weltmacht, erstickt in Paranoia. Nachbarn werden zu potenziellen Selbstmordattentätern. Wie soll ein Autist in einer autistischen Welt klarkommen?


Regisseur Karan Johar hätte mit etwas mehr Nüchternheit, mit etwas mehr Zurückhaltung bei den Effekten, einen richtig starken Film drehen können. Er entschied sich für die Melodramatik. Warum? Weil die Menschen in einer Welt voller Probleme keine Probleme sehen wollen, wenn sie ins Kino gehen? Aber trägt ein Kunstschaffender nicht auch Verantwortung für das, was er tut? Muss es nicht auch im Interesse Johars sein, den Spiegel zu nehmen, den er in die Hand gelegt bekommen hat und ihn vor die Gesichter seiner Zuseher zu halten? Ein bisschen weniger wäre im Falle von My Name is Khan so viel mehr gewesen.


Samstag, 5. Dezember 2009

Der Abschied von der Illusion des Sinns

Die Nacht in Folge des Tages, an dem man in der Magisterprüfung im Hauptfach Politikwissenschaften 19 Seiten über das Republikkonzept von Immanuel Kant, seine Konzeption des Ewigen Friedens und die Rolle des Rechts auf dem Weg zu dessen Verwirklichung geschrieben hat, muss gefeiert werden. Begossen. Dachte ich. Aber da D. aus Gründen, die das Leben manchmal so mit sich bringen, nicht in Feierlaune war und ich mich vor dem Moment in der Disco fürchtete, in dem ich mich wieder wie ein unbeteiligter Zuschauer vor einer Leinwand des Grauens fühlte, geboten zur Planänderung. Das Alternativprogramm: ein Plausch in der Kellerkneipe und zuvor: Corso-Kino Würzburg, zur Erweisung der vermeintlich letzten Ehre. Noch einmal in den kleinen Wohlfühlpalast, der Ende Dezember aufgibt, weil der Umsatz den Untergang vorhersagt. Noch einmal das beseelende Geräusch eines echten Projektors hören, dieses Summen, Rattern, Rauschen. Und dann dieser Film, der mit seinem typischen Vorspann, mit seiner tollen Musik, ja auch mit seinem Inhalt perfekter kaum sein könnte für einen Tag wie diesen, für einen Anlass wie diesen.


Woody Allen ist zurück in New York. Da kommen nostaligische Gefühle auf. Sein Neuester Whatever works weist zwar erstaunlich viele Gags auf, die einfach nicht zünden wollen. Doch dann ist da diese Geschichte und dieser Protagonist. Boris Yellnikoff (Larry David), verhinderter Physik-Nobelpreisträger, Hypochonder, Nihilist, elitärer Snob, Egozentriker, gescheiterter Selbstmörder - und doch liebenswert genug, um seine persönliche Eliza Doolittle zu heiraten. Das Südstaatendummchen Melodie (Evan Rachel Wood) verknallt sich in den Kauz, so absurd das auch klingen mag. Sie wächst an seiner Seite und wächst letztlich über ihn hinaus.

Die Konsequenz, mit der ein desillusionierter Woody Allen (oder hatte er nie Illusionen?) hier seinen Standpunkt vertritt, überragt jene früherer Filme um ein Weites. "Das ist kein Wohlfühlfilm", sagt Boris gleich zu Beginn. Er starrt dabei direkt ins Gesicht des Kinogängers, grinsend. Die Warnung will gehört sein. Das Dasein ist sinnlos. Das Leben eine pure Anhäufung von Zufällen. Liebe auch keine Lösung. Religion schon gar nicht. Die Bigotterie und Doppelmoral Amerikas bekommt von Allen einen gezielten Faustschlag mitten auf die Nase. Was aber ist das Leben ohne Haltepunkte? "Ich sterbe", quäkt Boris einige Minuten nach seinem Eingangsmonolog völlig entsetzt. Seine mitfühlende Ehefrau (die erste) will einen Arzt rufen. "Ich meine doch nicht jetzt", lamentiert der Sterbende sofort. "Irgendwann." Eine solche Haltung lässt nur eine Option. Man muss die Dinge beim Schopfe packen. Hauptsache es läuft halt - Whatever works. "Besser", sagte D. nach dem Gang aus dem Kino, "kann man Carpe diem filmisch nicht verpacken."

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Der Terror im Schnelldurchlauf


Man kann es durchaus als Augenzwinkern verstehen, wenn Janis Joplin "Oh lord, won't you buy me, a Mercedes Benz" röhrt und im nächsten Moment die noch jungen Bettina und Regine an einem Sylter FKK-Strand spielen, bevor ihre Mutter die Mädchen zum Strandkorb zurückbeordert. Ausgerechnet die Neue Revue liest diese dunkelhaarige Frau, Ulrike Meinhof, dieses Glamourblatt mit ihrer Titelgeschichte über den Schah von Persien vor dem Deutschlandbesuch im Juni 1967. Doch es soll bald klar werden, warum sie das tut. Meinhof, Journalistin der linksgerichteten Zeitschrift konkret, schreibt einen Beitrag, in dem sie die sozialen Ungerechtigkeiten in Persien angreift. Und dann, der Szenewechsel: Kamera auf Berlin, Bismarckstraße, Deutsche Oper. Der Schah will die Zauberflöte sehen. Zwischen engagierten Jubeliranern und protestierenden Studenten kommt es zu Handgemengen. Unfassbar, mit welcher Brutalität die Polizei sich auf Seiten der Iraner schlägt und wahllos in die Menge prügelt. Und dann fällt ein Schuss: Karl-Heinz Kurras trifft Benno Ohnesorg, die Straße ist getränkt mit dem Blut des Pazifisten - und aus der Wut und der Empörung über Bullenschweine und das System der Väter, dieser Naziverbrechenwegschauer, entsteht der Kampf der RAF.

Vergangenheitsbewältigung im Film ist en vogue in Deutschland. Mit Das Leben der anderen gewann Florian Henckel von Donnersmarck 2007 den Oscar, drei Jahre zuvor sperrte Bernd Eichinger den Kinozuschauer mit dem Führer in einen Bunker, um endlich einmal so richtig nah beim Untergang dabei zu sein. Und ausgerechnet jener Eichinger, ein moderner Kapitalismus-Midas produzierte nun die Geschichte des deutschen Terrorismus und ließ Stefan Austs Buch Der Baader-Meinhof-Komplex verfilmen. Austs ehemaliger Arbeitgeber Spiegel lästerte schon, das System, das die RAF zu bekämpfen glaubte, habe nun endgültig gesiegt.

Tatsächlich steckt in einer solchen Verfilmung auch die Chance, ein bedeutsames Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte dem Massenpublikum verständlich zu machen. Doch trotz einer Lauflänge von zweieinhalb Stunden
und trotz aller beachtenswerten historischen Akribität scheitern Eichinger und sein Regisseur Uli Edel an dieser Aufgabe. Zu komplex sind die Zusammenhänge, um sie konsumentenfreundlich und verständlich zu vermitteln. Wer über die Zeit zwischen 1967 und dem Deutschen Herbst 1977 nicht ohnehin schon informiert ist, dessen Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit wird beim Hetzen von Anschlag zu Anschlag und von Verhaftung zu Befreiungsaktion auf der Strecke bleiben.

Notgedrungen konzentriert sich der Film hauptsächlich auf die Lichtfiguren der "revolutionären Kräfte", auf Andreas Baader (von Moritz Bleibtreu politischer dargestellt, als der draufgängerische Prolet Baader in Wirklichkeit wohl war), Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) und Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) sowie den Gegenspieler im BKA, Horst Herold. Viele andere Akteure verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Es bleibt nicht einmal Zeit zu erkennen, dass die erschossene Petra Schelm von Alexandra Maria Lara dargestellt wurde. Die RAF-Ikonen werden vor allem zu Beginn des Film glorifiziert. Sie sind hippe Helden, die mit ihrem Style, ihren Worten und Taten den Zuschauer zuweilen zum Lachen, ja sogar zum Jubeln bewegen. „Es ist ein Täter-Film, bei dem man sich schon Mühe geben muss, um nicht (...) sehr von diesen jungen Menschen eingenommen zu werden, die so klug, engagiert und schön sind", hat der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Horst Buback, Michael Buback, in einem Beitrag für die Berliner Morgenpost notiert. Über die Kehrseite der Medaille - bestehend aus toten Zivilisten und Fahrern, den Kolaterälschaden der RAF - erfährt man nichts.

Die Bild-Zeitung, das Blatt des Bösen und Feindbild der Studenten-Bewegung, überschlägt sich pflichtschuldig in Jubelarien für den Film, die taz als Sprachrohr der Linken präsentiert ihr Lob etwas zurückhaltender. In der Tat zeichnet Der Baader-Meinhof-Komplex jene so dramatischen zehn Jahre durchweg spannend und atemberaubend nach. Doch
Antworten auf die Frage, wann Gewalt legitimiert ist, wie ein System bekämpft werden darf, das als zynisch und menschenverachtend verstanden wird, kann der Film nicht geben. Am Ende liegt Hanns Martin Schleyer tot in einem Wald und Bob Dylan trällert zum Abspann "The answer, my friend, is blowin' in the wind". Und das ist dann doch way too much.

Mittwoch, 27. August 2008

Across the Universe

Da ist dieser Junge, Jude, mit dem Dreitagebart und den zersausten Haaren. Ein Brite, das merkt man sofort, nachdem er den Mund aufgemacht und von dem Mädchen singt, das kam um zu bleiben. Am Strand sitzt er da vor dem grauen Horizont und sein Blick verrät mal Sehnsucht und Melancholie, mal bahnt sich die Vergangenheit mit ganzer Kraft zurück in seine Erinnerung und zaubert ein verschmitztes Lächeln auf seine Lippen, nur kurz, kaum wahrnehmbar. Da ist dieses Mädchen, Lucy, das sich in den Jungen verlieben wird, aber es noch nicht weiß, weil sie, weit weg von Liverpool, auf dem Abschlussball ihren Freund bittet, sie festzuhalten und nicht mehr loszulassen - ein Wunsch, den der pflichtbewusste Soldat nicht erfüllen kann, weil er seinen Patriotismus mit dem Leben bezahlen wird. Da ist dieser andere Junge, Max, Bruder von Lucy und eher am entfesselnden Leben als am Studieren interessiert, der Jude nach seiner Ankunft im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unter seine Fittiche nehmen wird. Und da ist das Leben, mit all seiner Tragik, seiner Freude, seiner Lust.

Eigentlich ist es ungewöhnlich, dass ein Film mit diesem Inhalt den Zuschauer in einem derart freudigen Schwebezustand hinterlässt, erst recht vor dem Hintergrund der Folgen eines Irak-Krieges, die tausende junge Amerikaner in den Tod geschickt oder innerlich zerstört haben. Schon einmal ist das so gewesen, damals, als in Detroit tagelange Rassenunruhen herrschten, als Martin Luther King ermordet wurde, als Uncle Sam in Vietnam seinen Tribut forderte, während in der Heimat von Verzweiflung und Wut radikalisierte Friedenskämpfer dem System den Krieg erklärten. Doch Across the Universe schafft es trotzdem. Weil er Menschen zeigt, denen es trotz der Widrigkeiten ihrer Zeit gelingt, für sich ihr Glück zu finden - auch wenn der Kampf gegen die Gegenwinde ihre ganze Aufopferungsgabe verlangt. Auch wenn ihre unterschiedlichen Wege erst gegen Ende wieder zusammenfinden.

Man mag diesem Film, dessen bezaubernde Darsteller mehr als 30 zeitlose Klassiker der Beatles dermaßen kraftstrotzend neu interpretieren, dass es ein Genuss ist, ihnen zuzuhören, Realitätsferne vorwerfen. Weil sich am Ende alles in Wohlgefallen auflöst. Aber wer sollte sich ernsthaft daran stören, dass alles, was man am Ende braucht, die Liebe ist? Wer sollte sich darüber aufregen, dass der Film zeitweise so abgedreht daherkommt wie ein Lucy-in-the-Sky-with-Diamands-Trip? Wer das tut, hat gegen das Grundprinzip verstoßen: lass es einfach geschehen.



Freitag, 22. August 2008

Des Teufels neues MakeUp

Es ist wohl mindestens 15 Jahre her, da schlich ich mich nachts vor den Fernseher, zappte mich durchs Nachtprogramm, das damals noch keine "Ruf-mich-an"-Marionetten jeglicher Form kannte und blieb bei einer Steven-King-Verfilmung auf Sat 1 hängen, die mir nachhaltig Albträume bescherte: Es, Clown Pennywise, verstörte deswegen so sehr, weil da eine Figur, die jeder als harmloser, tölpelhafter Spaßmacher mit einem leichten Hang zur Melancholie kennt, das personifizierte Böse darstellte. Doch Pennywise war gestern. Und Pennywise war ein Schmusekätzchen, verglichen mit: dem JOKER.













Seit gestern läuft The Dark Knight, der sich in den USA anschickt, zum erfolgreichsten Film aller Zeiten zu werden, in den deutschen Kinos. Insziniert von einem Regisseur (Christopher Nolan), der für seine verstörenden, düsternen Werke bekannt ist, getragen von ausgezeichneten Nebendarstellern (Sir Michael Caine, Morgan Freeman, Aaron Eckhart) und einem Hauptdarsteller (Christian Bale), der mehrfach bewiesen hat, dass er psychologisch schwierigen Charakteren gewachsen ist. Sie alle aber verblassen vor dem Joker, vor Heath Ledger, den ich gestern Nacht in der Rolle seines Lebens (und leider auch seines Sterbens) bereits zum zweiten Mal bewunderte.

Man versteht sehr schnell, warum der große Michael Caine von der Angst einflößendsten Darstellerleistung gesprochen hat, die er jemals erlebt habe. Ledgers Joker steht jenseits jeden Wahnsinns. Er ist ein Anarchist, getrieben von der Lust auf Chaos, der mit seiner Radikalität und Hemmungslosigkeit einer Katze ähnelt, die mit einer lebenden Maus spielt, bevor sie ihr den Kopf abbeißt. Des Jokers Welt ist eine der Finsternis, in der das personifizierte Böse unentwegt grient und das Gute nicht gewinnen kann.

Der neue Batman ist so gesehen eigentlich kein Batman mehr, sondern ein Joker. Das ändert aber nichts daran, dass dieser Film einer der besten der vergangenen fünf Jahre ist.

Samstag, 2. Februar 2008

Into the Wild

Nur mal so, zwischendurch. Sean Penn ist ein zorniger Mann. Erschlagen von der Griechischen Geschichte ging ich heute zur Ablenkung in seinen neuesten Film, Into the Wild. Ich wusste bereits, dass er gut sein würde. Und nun sitze ich hier, und bin erschlagen von Schönheit und Sehnsucht. Was für ein Juwel, dieser Film. Was für ein Pladoyer für das Leben. Und für Wahrheit.



Mehr irgendwann.

Dienstag, 20. November 2007

Das Unaufhaltbare kommt angeschlichen

Jedes Mal, wenn ich erstmals im Jahr George Michael über das vergangene Jahr flennen höre, weil er irgendwann gegen Mitte/Ende Dezember einer/m anderen sein Herz gegeben und am nächsten Morgen auf dem verschmutzten Küchenboden neben dem Glühweinfleck gefunden hat, werde ich aggressiv. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch längst die ersten Lebkuchen gegessen (ohne aggressiv geworden zu sein). Aber spätestens mit George Michael ist klar: der Erretter wird bald wieder geboren.

Gestern nun schickte mich M. von MM (aka Moviemaze) in eine PV (aka Pressevorführung) und ich bekam den herbstlichen Film Fred Claus (zu deutsch: Die Gebrüder Weihnachtsmann) zu sehen, der - oh Überraschung - so ein klein wenig konventionell war. Und nach rund 90 Minuten, in denen der zynische Beobachter in mir mit dem für den Versuch der Objektivität verantwortlichen Körperteil (Leber? Milz? - keine Ahnung!) gekämpft hatte, sah ich das Glänzen in den Augen einiger Kinder, die ihre Geschenke öffneten. Und da war ich doch tatsächlich so ein wenig ergriffen. Es ist unverkennbar: die Geschäftsmaschinerie läuft an.



Ach: und Winterreifen habe ich jetzt auch drauf.

Freitag, 7. September 2007

Versteckspiel mit Gespenstern

Überheblich grinsend begrüßte mich der Herbst, als ich gestern Abend die Redaktion verließ und mich auf den Weg zum Auto begab. Wie ungemütlich können 40 Sekunden eigentlich sein? Das ist kein Wetter für Aktivitäten im Freien. Das ist ein Wetter, um sich daheim unter einer Bettdecke zu verstecken und in die Welt von Ally McBeal einzutauchen (dazu in Kürze mehr). Heute Morgen war der Herbst dann immer noch da. Und eigentlich hätte ich Haus und Decke nicht verlassen, hätte ich nicht diesen besonderen Termin gehabt. Im Atelier im Bollwerk, eines von zwei Stuttgarter Arthouse-Kinos, wurde der Film Nichts als Gespenster der Kritikerriege vorgestellt. Es war meine zweite Pressevorführung, nachdem ich mir am 24. September 2004 für die Stuttgarter Zeitung Head in the Clouds angetan hatte. Und im Kino, bei diesen warmen Bildern von der Wüste Nevadas, dem Strand Jamaicas, ja selbst vom "Sommer" in Island, war der Herbst sofort vergessen, zumindest für zwei Stunden. Das Problem war nur: ich musste irgendwann wieder raus, um nach Haus(e) zu kommen, zurück zu meiner Bettdecke.

Die Rezension gibt es demnächst bei Moviemaze.

Freitag, 31. August 2007

Cinema Paradiso

Ich zitiere mal ganz dreist aus einem der Artikel, die ich kürzlich veröffentlicht habe.
Das abendliche Leben in Giancaldo, einem kleinen sizilianischen Nest, spielt sich im Cinema Paradiso ab. Dort verprassen die Dorfkinder das Geld, das ihnen ihre Mama gab, weil sie eigentlich Milch kaufen sollten. Dort lachen Alt und Jung über Charly Chaplin, dort teilen sie Stofftaschentücher, wenn ihnen ein trauriger Film die Tränen in die Augen treibt. Und dort arbeitet der grimmige, aber gutherzige Alfredo, Meister der Magie - Filmvorführer. "Du freust dich, wenn die Leute lachen. Du glaubst, dass du sie zum Lachen gebracht hast", verrät er dem kleinen Toto, der so gerne so wäre wie er.
Kinos wie das Cinema Paradiso gibt es heutzutage nicht mehr viele. Wir leben in einer Multiplex-Gesellschaft, in der der Zauber des Kinos häufig zu einem berieselnden Konsum degradiert wird. Kino ist dort nicht mehr ein Ort der Träume, ein Zufluchtsort vor der rauhen Realität. Aber es gibt sie durchaus noch, die kleinen sympathischen Kinos, in denen nicht alles perfekt sein muss, um schön zu sein. Von Würzburg aus führt eine Straße zwischen Weinbergen und dem stolzen Main nach Ochsenfurt und natürlich auch weiter. Aber wer würde weiter fahren wollen, wenn er in Ochsenfurt ist, einem dieser schnuckeligen Orte, in dem die Straßen noch so klein sind, dass höchstens ein Auto durchpasst, in dem die Menschen noch barfuß durch die Altstadt laufen, in dem sich das Casablanca befindet, Kino und Kneipe, wo es noch eine Empore im einzigen Saal gibt, wo sich die Regentschaft der digitalen Welt noch nicht durchgesetzt zu haben scheint, wo Jazzmusik einen auf den folgenden Film einstimmt.

Kino kann so schön sein.

Dienstag, 28. August 2007

Zivildienst am Ort ohne Worte

Aus meinem alten Blog, veröffentlicht am 18. Juli 2006, 18.48 Uhr:
Idyllische Hölle

Kein Wölkchen am babyblauen Himmel, die Sonne strahlt tapfer und ergiebig und der Wind streift sanft Gesichter und Bäume. Fast könnte man glauben, man sei an einem Ort des Glücks und der Idylle, doch diese Idylle ist die Hölle - und die Feuersbrunst bedrückt einen noch immer, obwohl sie schon seit mehr als 60 Jahren als gelöscht gilt. Und an der Tür steht "Jedem das Seine", von innen, damit man es auch lesen kann, als "Bewohner" dieser Idylle.

Man befindet sich in Buchenwald, auf dem Ettersberg nahe Weimar, in der Gedenkstätte Buchenwald, in einem ehemaligen Konzentrationslager, in dem die Nazis willkürlich Menschen zu Unmenschen degradiert haben, im Kampf der Arier für das Gerechte. Und später die Russen auf einer Reinigungstour durch die sowjetische Besatzungszone ähnliche Greueltaten begingen, auf ihrem Kampf nach Gerechtigkeit. Trauer und Wut überkommt einen. Trauer, weil dieses unglaubliche Leid von politischen Gefangenen und Juden an jeder Ecke zu spüren ist, in den kleinen Zellen, in denen aufsässige Insassen an den Füßen aufgehängt wurden bis sie starben. In den Genickschussanlagen, in denen Kriegsgefangene in einem Moment starben, in dem sie annahmen, ihre Körpergröße werde gerade gemessen. Oder im Krematorium, dessen Schornstein Überlieferungen zufolge stets rauchte. Trauer, tiefe Trauer.

Aber auch Wut. Wut darüber, dass keiner etwas gewusst haben wollte von Buchenwald, von Dachau, von Auschwitz. Dort, auf dem Ettersberg, auf dem Platz, auf dem die Gefangenen morgens und abends zum Appell hatten antreten müssen, konnte ein Blick auf Weimar erhascht werden. Doch in der Stadt, so heißt es, wussten die Menschen nichts von den Geschehnissen, die in ihrer direkten Umgebung stattfanden. Warum ist es so, dass Menschen nicht aufstehen und kämpfen, wenn ihnen die Ungerechtigkeit förmlich ins Gesicht springt? Warum stehen Menschen schweigend daneben und schließen die Augen? Warum belegen wissenschaftliche Studien, dass Menschen einem Hilfsbedürftigen weniger helfen, wenn viele Menschen daneben stehen und die Hände in die Hosentaschen stecken?

Die Hoffnungslosigkeit, die einen in Buchenwald noch heute an jeder Ecke überlegen grinsend grüßt, lässt einen niedergeschmettert zurück.


Ich habe soeben den Film Am Ende kommen Touristen gesehen über einen jungen, anfangs emotionslos-distanzierten Deutschen, der seinen Zivildienst in Auschwitz macht, weil er die Stelle in Amsterdam nicht bekommen hat. Sensibel und zurückhaltend erzählt der Regisseur Robert Thalheim, der selbst als Zivi in Auschwitz war, von einem Ort der Hilflosigkeit, an dem die Vergangenheit niemals eine Gegenwart zulassen wird. Und ich musste wieder an Buchenwald denken...



Donnerstag, 26. Juli 2007

Die Liebe in Zeiten des Terrors

Der Schmerz sitzt so tief. Tiefer noch als die Angst, als die Panik, dass es wieder passieren könnte. Nein, man möchte diesen Begriff nicht mal in den Mund nehmen. Dieses Datum - der 11. September - das jedem Amerikaner einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Deswegen spricht der Zahnarzt Alan Johnson (Don Cheadle) in Mike Binders Film Die Liebe in mir auch ganz lapidar von einem Flugzeugunglück, als er der Psychologin Angela Oakhurst (Liv Tyler) erzählt, warum sein alter College-Kumpel Charlie Fineman (Adam Sandler) dringend Hilfe braucht. Fineman hat bei diesem Unglück, dieser Katastrophe, die alle emotionalen Ketten sprengte, seine Familie verloren: seine Frau und seine drei jungen Töchter. Seitdem tappst er leeren Blickes durch sein Leben, immer geschützt durch ein paar Kopfhörer und die Musik, die auf Wunsch alles übertönt, was Fineman gefährlich werden kann. Alles, was ihn erinnern könnte. Alles, was dafür sorgen könnte, dass der tief vergrabene Schmerz zum Vorschein kommt und zu Ende bringt, was er begonnen hat: die Zerstörung eines Menschen.

Fineman, brillant dargestellt von Adam Sandler, der nach Punch Drunk Love ein zweites Mal beweist, dass er nicht nur seichte Komödienrollen spielen kann, lebt als Eremit, abgeschottet von seiner Vermieterin und seinem Finanzberater Bryan Sugarman (der Regisseur und Drehbuchautor Mike Binder selbst). Johnson trifft ihn zufällig auf der Straße und ist geschockt über den Zustand des alten Freunds, der sich nicht einmal mehr an ihn erinnert. Langsam gelingt Johnson eine Annäherung. Und der Zahnarzt, der von seinem Job und seinem Eheleben zusehends abgestumpft und frustriert ist, sieht es als neue Lebensaufgabe an, dem wiedergewonnenen Kumpel zu helfen. Das jedoch ist ein langer Weg, denn Fineman reagiert höchst impulsiv, sobald ihm seine Vergangenheit zu nahe kommt. Das müssen auch Finemans Schwiegereltern erfahren, die verzweifelt aber vergebens versuchen, Kontakt zum einzig verbliebenen Familienmitglied aufzunehmen. Auch ihnen ist der Schmerz anzusehen, den dieses Unglück angerichtet hat. Doch am Ende eines herausragenden Filmes, in dem sich herzzerreißend rührende Momente mit tragikomischen Elementen abwechseln, steht die Erkenntnis, dass man sich irgendwann dazu durchringen muss, sich seiner Vergangenheit zu stellen, um die Chance auf eine Zukunft zu haben.



Samstag, 14. Juli 2007

Das Leben und Harry Potter

Harry Potter ist erwachsen geworden. Und er küsst! Mädchen! Diese seltsamen Geschöpfe, die so kompliziert sind, dass Hermine beim Versuch, Ron und ihm dieses Mysterium zu erklären, hoffnungslos scheitern muss. Ja. Harry Potter ist erwachsen geworden. Gut, er ist immer noch nur 15 Jahre alt, auch wenn man das dem zu schnell alternden Daniel Radcliffe nicht mehr abnimmt. Aber für sein junges Alter ist er enorm kämpferisch. Der teuflische Voldemort, Verzeihung: the one who should not be named, kann sich jedenfalls schon mal winterlich anziehen. Unweigerlich steuern wir auf das große, spektakuläre Finale zu. Zu sehen: 2010 in den Kinos. Zu lesen: ab nächster Woche im gut sortierten Buchhandel, geschickterweise nur kurze Zeit nach Harrys Eintritt in die Welt der Leinwandmagie mit dem Orden des Phoenix, Band fünf von sieben.




Und während der Hype um die Romane in all den Jahren erstaunlich konsequent an mir vorbeimarschiert ist, haben mich die Filme doch stets in ihren Bann gezogen. Ich habe Harry erwachsen werden sehen, während ich mich "erwachsen" werden sah. Und die Erinnerung an Filmabende mit Harry, Hermine und anderen bezaubernden Personen kehrt immer wieder zurück, für etwas mehr als zwei Stunden. Filmserien sind etwas wunderbares.

Sonntag, 6. Mai 2007

Eine Spinne im Regen

Der Sommer hat begonnen. Am gestrigen Samstag. Interessanterweise am verregnetesten Tag der vergangenen fünf Wochen. Aber dort, wo der Sommer begann, gibt es keinen Regen, keine Sonne, keine Hitze. Nur Dunkelheit. Und eine große weiße Leinwand. Der Kinosommer hat begonnen.

Es ist Zeit für die großen Blockbuster der Saison. Fluch der Karibik III startet am 24. Mai, Oceans Thirteen am 7. Juni, Shrek der Dritte am 21. Juni, Stirb langsam 4.0 am 27. Juni, Harry Potter und der Orden des Phoenix am 12. Juli, Die Simpsons - Der Film am 26. Juli, Rush Hour III am 16. August, Das Bourne Ultimatum am 6. September. Für die nächsten Monate wird der Anspruch mal ein bisschen runtergekrempelt. Ab und zu muss auch mal plumpe Action, schlichte Unterhaltung, berauschendes Popcorn-Kino sein. Wobei: es bleibt nur zu hoffen, dass der Sommer nicht so wird wie sein erster Tag. Der war verregnet, äußerst verregnet. Spiderman III war ein Desaster. Unstimmigkeiten noch und nöcher, eine Story mit seltsam-anmutenden Wendungen, viel zu wirre Actionszenen und eine unerträglich kitschige Schlussviertelstunde. Aber wen interessiert schon das Wetter von gestern?


Montag, 30. April 2007

Die Einsamkeit verlassener Asphaltwüsten

Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts, ein kurzes Innehalten, aber noch keine Verwunderung, weil da nichts los ist, mitten in New York, am hellichten Tag. Der schwarze Ferrari mit seinem selbstbewussten Insassen biegt in eine schnurgerade Hauptverkehrsstraße ein. Noch immer: nichts. Kein Mensch auf der Straße, verlassene Autos stehen Spalier. Ein Blick auf die Armbanduhr. Es ist 9.05 Uhr, die Augen des Fahrers wandern, seine Sicherheit bröckelt. Vor lauter Unachtsamkeit überfährt er eine rote Ampel, was ohne Folgen bleibt, ist doch keiner da, der es gesehen haben könnte. Dann: der Time Square, flackernde Reklamelichter, ein paar Vögel, aber kein menschliches Wesen. Und da steigt David Aames aus, panisch, mit schwerem Atem. Und rennt. Rennt einfach nur. Rennt immer schneller, vorbei an Videowänden, bleibt schließlich stehen, breitet die Hände aus und schreit. Schreit - bis er aufwacht. Bis ihm die innere Stimme, die ihn aus dem Albtraum befreit, die magischen Worte zuflüstert: "Open your eyes".

Der Sonntagabend-Filmabend (nein, nicht Vanilla Sky, sondern Amores Perros) endete gegen halb 2 und ich machte mich auf einen rund 20minütigen Heimweg durch Würzburg, der schlafenden Stadt. Fünf Menschen, vier Autos, ein Motorrad, eine Katze und ein Eichhörnchen kreuzten in diesen 20 Minuten meinen Weg - eine Bilanz, so mager wie ein brasilianisches Topmodel.

Das erinnerte mich an Neujahr 2004, als R. und ich in einem spontanen Anfall von Abenteuersucht uns abends aufmachten, die schöne Stadt am Neckar unsicher zu machen und uns auf der heutigen Partymeile vorkamen, wie direkt in den Film 28 days later katapultiert, als Überlebende eines furchtbaren Virusangriffs auf die Menschheit. Die Partymeile, benannt nach Theodor Heuss (Ehre, wem Ehre gebührt) ist eine sechsspurige Verbindung zwischen dem Stuttgarter Rotebühlplatz und dem Hauptbahnhof. Wer sie überqueren will, muss auf eine rote Ampel warten oder Sprinterqualitäten beweisen. Nicht so in dieser Nacht, in der wir es uns auf dem Mittelstreifen gemütlich machten, den Kopf in den Himmel richteten, die Augen schlossen und die Hände von uns streckten, ähnlich wie Tim Robbins als der geflohene Andy Dufresne in Die Verurteilten, nur ohne Regen. Magische Momente.