Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Donnerstag, 26. Juli 2007

Die Liebe in Zeiten des Terrors

Der Schmerz sitzt so tief. Tiefer noch als die Angst, als die Panik, dass es wieder passieren könnte. Nein, man möchte diesen Begriff nicht mal in den Mund nehmen. Dieses Datum - der 11. September - das jedem Amerikaner einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Deswegen spricht der Zahnarzt Alan Johnson (Don Cheadle) in Mike Binders Film Die Liebe in mir auch ganz lapidar von einem Flugzeugunglück, als er der Psychologin Angela Oakhurst (Liv Tyler) erzählt, warum sein alter College-Kumpel Charlie Fineman (Adam Sandler) dringend Hilfe braucht. Fineman hat bei diesem Unglück, dieser Katastrophe, die alle emotionalen Ketten sprengte, seine Familie verloren: seine Frau und seine drei jungen Töchter. Seitdem tappst er leeren Blickes durch sein Leben, immer geschützt durch ein paar Kopfhörer und die Musik, die auf Wunsch alles übertönt, was Fineman gefährlich werden kann. Alles, was ihn erinnern könnte. Alles, was dafür sorgen könnte, dass der tief vergrabene Schmerz zum Vorschein kommt und zu Ende bringt, was er begonnen hat: die Zerstörung eines Menschen.

Fineman, brillant dargestellt von Adam Sandler, der nach Punch Drunk Love ein zweites Mal beweist, dass er nicht nur seichte Komödienrollen spielen kann, lebt als Eremit, abgeschottet von seiner Vermieterin und seinem Finanzberater Bryan Sugarman (der Regisseur und Drehbuchautor Mike Binder selbst). Johnson trifft ihn zufällig auf der Straße und ist geschockt über den Zustand des alten Freunds, der sich nicht einmal mehr an ihn erinnert. Langsam gelingt Johnson eine Annäherung. Und der Zahnarzt, der von seinem Job und seinem Eheleben zusehends abgestumpft und frustriert ist, sieht es als neue Lebensaufgabe an, dem wiedergewonnenen Kumpel zu helfen. Das jedoch ist ein langer Weg, denn Fineman reagiert höchst impulsiv, sobald ihm seine Vergangenheit zu nahe kommt. Das müssen auch Finemans Schwiegereltern erfahren, die verzweifelt aber vergebens versuchen, Kontakt zum einzig verbliebenen Familienmitglied aufzunehmen. Auch ihnen ist der Schmerz anzusehen, den dieses Unglück angerichtet hat. Doch am Ende eines herausragenden Filmes, in dem sich herzzerreißend rührende Momente mit tragikomischen Elementen abwechseln, steht die Erkenntnis, dass man sich irgendwann dazu durchringen muss, sich seiner Vergangenheit zu stellen, um die Chance auf eine Zukunft zu haben.



Freitag, 20. Juli 2007

Vom Zorn, der Furcht - und Liverpool

An dieser und an anderer Stelle ist schon mehrfach die Rede vom Lieblingsdoc gewesen, dem Dozenten für Politische Theorie. Gestern nun, zu Beginn des letzten Prüfungskolloquiums des Semesters, schockte er uns mit der Ankündigung, dass - wenn nicht noch ein Wunder geschieht - er im Herbst nicht mehr am Institut lehren wird. Er stellte eine Kiste Bier in die Mitte, ermunterte zum Zugreifen, trank selbst drei Flaschen und beglückte uns ein letztes (?) Mal mit seiner Kunst. Den Kommilitonen B. nannte er einen klerikalen Faschisten ("Jetzt kann ich es ja sagen" - B. hat darüber gelacht), eine feurige Abschiedsrede, wie man sie sich gewünscht, wie man sie erwartet hatte, unterließ er. Dazu war der Schock wohl noch zu frisch. Er bat uns, ihn einfach gehen zu lassen. Und dann erinnerte er, der so leidenschaftliche Nürnberg-Fan, mit seinen letzten Worten, einem Zitat des Kollegen, Freundes und Sportreporters T. K., an das Champions-League-Finale 2005 zwischen Milan und Liverpool: "Es steht erst 0:3 - und noch ist Zeit." Die Hoffnung ist noch nicht verloren. Aber Wunder gibt es nicht jeden Tag.

Die Welt frisst ihre Kritiker. Das gilt besonders für Bayern, jenes Land, in dem man ohne das richtige Parteibuch und die richtige Konfession höchstens ein Don Quijote werden kann: ein Kämpfer gegen Windmühlen. Der Doc hatte sich für die neu ausgeschriebene Stelle beworben, die dem von der empirisch-analystisch geprägten Wissenschaftswelt eher herablassend betrachteten Lehrstuhl für Politische Theorie (und Philosophie) neues Leben hätte einhauchen können. Die Institutsleitung hatte die Bewerbung begrüßt, der Doc wäre für die Stelle prädestiniert gewesen, lehrt er doch seit einigen Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter genau auf diesem Gebiet. Nun steht wohl fest, dass er die Stelle nicht bekommen wird. Er zieht seine Konsequenzen daraus - und geht ein halbes Jahr vor dem eigentlichen Ende seines Vertrags. Mit gebrochenem Herzen, aber aufrecht, typisch für ihn.

Natürlich ist der Doc kein völlig unumstrittener Mensch und Dozent. Seine gelegentliche Polemik, seine unbedingte Affinität gegenüber Horkheimers und Adornos Kritischer Theorie, sein teilweise kumpelhaftes Verhältnis zu bestimmten Studenten - das alles kann auch kritisch gesehen werden. Aber was ihm anzurechnen ist: er wird nicht müde darin, seine Studenten dazu aufzumuntern, ein kritisches Gespür für die Zustände des Landes und der Gesellschaft zu entwickeln. Es ist ihm wichtig, die jungen Menschen zu einer Reflexion zu führen. Es darf vor allem bei der Geisteswissenschaft nicht allein um das bloße Beschreiben des Existierenden gehen. Gerne hat er Friedrich Nietzsche zitiert (aus: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne): "In irgend einem abgelegnen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Thiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmüthigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte, aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Athemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Thiere mussten sterben." Am Institut ist er in diesem Semester bereits der zweite ansatzweise kritische Dozent, der geht. Der unsägliche Bachelor naht mit großen Schritten und verheißt nichts Gutes. Die Zukunft ist ungewiss, sieht aber momentan nicht allzu rosig aus. Und sein Nachfolger wird erst einmal einen schweren Stand haben.

Aber wer wird denn die Hoffnung verlieren? In Anlehnung an Ulrike Meinhof, die Ikone der RAF, hat der Doc einmal seine Hoffnung im Kampf gegen real existierende Ungerechtigkeiten innerhalb einer Gesellschaft kund getan: "Möge der Zorn irgendwann so gewaltig werden, dass er die Furcht verdrängt."

Dienstag, 17. Juli 2007

Zeichen - und wie man sie interpretiert

Es war der Herbst 2005. Und ein einziger Blick hat alles verändert. Wohnheim, achter Stock, Würzburgs Festung im Visier. Und da wusste ich: meine Wohnungssuche war beendet, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Ich, der Eremit, hatte ursprünglich alleine leben wollen - fern von der Heimat, angekommen im Studium, geflohen von den Verantwortlichkeiten der Gegenwart. D. hatte mich überredet. "Geh ins Wohnheim, wenigstens für zwei Semester. Um soziale Kontakte aufzubauen." Ich hatte mich gegen den Gedanken gewehrt. Nicht gegen jenen von den sozialen Kontakten. Gegen den Wohnheimsgedanken. Versoffene Mitbewohner, versiffte Küchen, eklige Duschen - die Kraft von Vorurteilen ist manchmal unbegrenzt. In dem Fall war sie es nicht. Das schnelle Angebot, ins Wohnheim einzuziehen, ließ ich nicht lange im Raum stehen. Ich sagte zu.

Dass ich am Ende nicht das Zimmer im achten Stock bekam, sondern eines im ersten, zudem mit knapp elf Quadratmetern doch etwas kleiner, störte meine besorgte Mutter mehr als mich. Ich war angekommen, in meiner spartanischen Zelle, wie ich sie liebevoll nannte. Und ich fühlte mich wohl. Zwei Jahre lang. Aber irgendwann stört einen Menschen, der alle paar Jahre nach Veränderung schreit, um der Routine und der Langeweile zu entkommen, die Eingeengtheit dann doch. Also kündigte ich - und begab mich auf Wohnungssuche. Diesmal wirklich.

Die speziellen Wohnungssuchcharaktereigenschaften, die ich im Laufe der drei Wochen an mir entdeckt habe, waren nicht hilfreich. Eine chronische Ungeduld kombiniert mit einem schweren Fall von Entscheidungsunfähigkeit raubten mir diverse Nerven - und der kurzfristig angemietete Berater und Bald-Ex-Nachbar M. hatte eine Menge Arbeit. Die Aufbruchstimmung, die unbändige Neugierde, die kindliche Vorfreude - waren alle schnell dahin. Zumal es irgendwie ungeschickt anfing. Asiate M. kam vor unserem Wohnungsbesichtigungstermin ein dringender privater Termin dazwischen, was er uns per Zettelchen an der Türklingel mitteilte. Kurz vor dem stattdessen anberaumten Ersatztermin war die Wohnung vergeben. Wenn das mal kein schlechtes Zeichen war...

Die zweite (erste besichtigte) Wohnung befand sich in einer Toplage. Doch Boden und Bad waren äußerst unfein. Trotzdem wollte ich nach dem Desaster der dritten (zweiten) Wohnung bei der ersten (zweiten - ist das eigentlich verwirrend?) zuschlagen, gefangen in der irren (und im Nachhinein betrachtet nicht ganz so nachvollziehbaren) Angst, in den verbliebenen drei Monaten bis zum Auszugstermin nichts mehr zu finden. M. musste ganze Überzeugungsarbeit leisten, und vier Besichtigungen später war die Premierenwohnung vergessen.

Nun begab es sich aber, dass mich D. und E. aus Hd. bzw. LB. besuchten und wir in einer schnuckeligen Osteria durch Steuer- und Oliven-in-Martini-Diskussionen mit dem Makler M. (warum heißen eigentlich alle M.? Ist das ein Zeichen?) ins Gespäch kamen, und der mir bald darauf ein Angebot machte, das man eigentlich nicht ablehnen konnte. 52-Quadratmeter-Wohnung, verteilt auf zwei Zimmer, perfekt gelegen in einem denkmalgeschützten generalrestaurierten Altbauhaus für 390 Euro warm plus 60 Euro Nebenkosten. Diese Begegnung konnte kein Zufall sein. Der Besichtigungstermin mit M. und M. (der Asiate war nicht dabei) kurz darauf bestätigte den guten Eindruck. Und trotzdem: ich war nicht überzeugt. Wozu braucht ein einzelner Mensch (Student) eine 52-Quadratmeter-Wohnung? Sollte ich wirklich so viel investieren? Und würde ich mich in einer solch großen und unüblichen Wohnung wohlfühlen? Schwere Fragen, die einen Tag später aber verflogen. Ich hatte mich in eine andere Wohnung verliebt und beschloss, das Schicksal entscheiden zu lassen. Würde es mir die Wunschwohnung schenken, wäre ich glücklich. Würde es typischerweise seine Zustimmung verweigern - dazu muss man wissen: dem Schicksal ist langweilig, deswegen quält es gerne Menschen - würde ich die Altbauwohnung nehmen. Nun ja, das Schicksal hatte wohl einen miesen Tag.

Das jedoch heißt nicht, dass die Suche damit beendet war. So einfach wollte ich es der Altbauwohnung dann doch nicht machen. Eine weitere Besichtigung verlief unbefriedigend und schließlich, heute, erblickte ich ein Zeichen. Mir war eine Wohnung ins Auge gefallen, die sich - was ich nicht wusste - im selben Haus befindet wie die zweite (erste) Wohnung. Und sie hatte das gleiche Bad. Der Kreis schloss sich.

Morgen sage ich M., dass ich seine Wohnung nehmen werde. Das Schicksal will es so.

Samstag, 14. Juli 2007

Das Leben und Harry Potter

Harry Potter ist erwachsen geworden. Und er küsst! Mädchen! Diese seltsamen Geschöpfe, die so kompliziert sind, dass Hermine beim Versuch, Ron und ihm dieses Mysterium zu erklären, hoffnungslos scheitern muss. Ja. Harry Potter ist erwachsen geworden. Gut, er ist immer noch nur 15 Jahre alt, auch wenn man das dem zu schnell alternden Daniel Radcliffe nicht mehr abnimmt. Aber für sein junges Alter ist er enorm kämpferisch. Der teuflische Voldemort, Verzeihung: the one who should not be named, kann sich jedenfalls schon mal winterlich anziehen. Unweigerlich steuern wir auf das große, spektakuläre Finale zu. Zu sehen: 2010 in den Kinos. Zu lesen: ab nächster Woche im gut sortierten Buchhandel, geschickterweise nur kurze Zeit nach Harrys Eintritt in die Welt der Leinwandmagie mit dem Orden des Phoenix, Band fünf von sieben.




Und während der Hype um die Romane in all den Jahren erstaunlich konsequent an mir vorbeimarschiert ist, haben mich die Filme doch stets in ihren Bann gezogen. Ich habe Harry erwachsen werden sehen, während ich mich "erwachsen" werden sah. Und die Erinnerung an Filmabende mit Harry, Hermine und anderen bezaubernden Personen kehrt immer wieder zurück, für etwas mehr als zwei Stunden. Filmserien sind etwas wunderbares.

Sonntag, 1. Juli 2007

Mein Computer, das unbekannte Wesen

Als Geisteswissenschaftler sind mir handwerkliche Dinge grundsätzlich suspekt. Das war eigentlich schon immer so. Der Sinn für Technik geht mir völlig ab. Ich bin ein Theoretiker, in jeder Hinsicht. Herzerfrischendes verbindet mich zum Beispiel mit meinem Computer, dem unbekannten Wesen. Besser gesagt: mit den diversen Computern, die mir in meinem Leben so begegnet sind. Noch besser gesagt: die ich glaubte zu beherrschen, von denen ich glaubte, sie würden für mich arbeiten - nicht gegen mich. Nur mit dem Auto - R. und andere werden das bestätigen können - habe ich mehr Desaster erlebt. Seit dem Wochenende ist die unendliche Geschichte Mein Computer und ich um ein spannendes Kapitel reicher. Angriff auf den Server - mit dieser Nachricht schockte uns am Donnerstag der Wohnheimleiter. Ein Computer sei angegriffen worden, man möge doch bitte einen Virencheck machen. In mir stieg ein schrecklicher Verdacht hoch. Das wird doch wohl nicht...? Zumal: meine CPU-Auslastung hatte zuletzt immer wieder seltsame Zuckungen in Verbindung mit einem Skript von sich gegeben, das ich mir für die Zwischenprüfung in Word angelegt hatte. Die ersten Tests mit negativem Suchergebnis (sprich: positiv für mich) verschiedener Programme wollten mich nicht beruhigen, also suchte ich Hilfe in einem einschlägigen Computer-Internetforum. Doch auch da war man ratlos. Warum ausgerechnet Word und auch nur in diesem einzigen Dokument so viel Probleme mache? Keiner konnte das erklären.

Bis ich selbst auf des Rätsels Lösung kam. Mein Computer (konkret: Word, denn alle anderen Schreibprogramme zicken nicht so sehr) mag den Begriff Institutionalisierungsstufen nach Keohane nicht. Jene Institutionalisierungsstufen nach Keohane, ein Teil der Theorien aus den Internationalen Beziehungen der Politikwissenschaften, eingegeben in ein beliebiges Word-Dokument, lassen die CPU-Auslastung prompt in astronomische Höhen schießen. An Arbeiten ist dann nicht mehr zu denken, alles ist gewissermaßen blockiert. Gelingt es mir aber, einen beliebigen Buchstaben aus einem der drei Wörter zu löschen, beruhigt sich das Programm wieder. Und alles ist normal.

Ich habe beschlossen,
Institutionalisierungsstufen (Keohane) zu schreiben. Man muss auch mal nachgeben können.