Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Montag, 1. Dezember 2008

Der Preis der Sauberkeit

Gestern habe ich meine Wohnung sauber gemacht - und landete am Ende in der Notaufnahme des Juliusspitals. Und das kam so:

Es war mal wieder an der Zeit, für ein bisschen Ordnung zu sorgen. Also spazierte ich nach dem Aufstehen ins Bad und sorgte für ein bisschen Ordnung. Den plötzlichen stechenden Schmerz im Rücken (eher im Bereich der rechten Flanke) - "Mist, jetzt habe ich eine dumme Bewegung gemacht" - ignorierte ich zunächst, dann versuchte ich ihn mit Hilfe einer heißen Dusche zu besiegen. Erst als ich auf die Straße ging, weil ich mich mit D. und M. zum Nachmittagsnack verabredet hatte, geriet ich ins Grübeln. Zum einen deswegen, weil ich den kurzen Sprint zur Straßenbahn nach zwei Metern abbrach. Und zum anderen, weil ich mich urplötzlich an jenen unangenehmen Spätherbsttag des Jahres 2005 erinnerte, an dem ich das erste Mal in den Unisport ging - und beim Volleyball einen Hexenschuss erkämpfte. Die Schmerztabletten von Wohnheimsnachbar A., einem angehenden Zahnarzt, hatten mir damals die Möglichkeit geschenkt, ruhig zu liegen. Allein die Erinnerung an diese Nacht verschärfte nun den Schmerz. "Ich komme ein bisschen später. Ich glaube, ich habe einen Hexenschuss und wanke gerade erst am Rathaus vorbei", teilte ich D. via Handy mit. "Wenn du einen Hexenschuss hast, wankst du jetzt gefälligst sofort ins Krankenhaus", antwortete D. "Ach was, das geht schon. Ich geh' schon", sagte ich. Als wir uns zehn Minuten später auf halber Strecke trafen, grinste mich das Rettungsassistenten-Paar an. "Ich hätte nicht geglaubt, dass wir uns mit einem alten Mann treffen", sagte M. In diesem Sinne ging es weiter, da kannte Spaßvogel D. keine Gnade. Und Lachen kann zuweilen ganz schön weh tun.

Weil die Schmerzen und die Vernunft sich im Laufe der nächsten Stunden immer mehr annäherten, ging ich doch noch ins Krankenhaus. "Was haben Sie denn gemacht?", fragte die Schwester an der Anmeldung, als sie mein schmerzverzehrtes Gesicht sah. "Sauber", antwortete ich trocken. Sie lachte. "Sie machen das wohl nicht so häufig." Die junge Neurologin, die mich kurz darauf untersuchte, schien sich ihrer Sache nicht so ganz sicher zu sein. Meine Beschreibung der Symptome und der Schmerzen ließen nicht einwandfrei auf einen Hexenschuss schließen. Sie befürchtete eine Entzündung der Nieren - und bat mich um eine Blut- und Urinprobe. Und wo der Zugang schon einmal gelegt war, bekam ich auch gleich eine Infusion. Und danach noch eine. Weil die erste nichts geholfen hatte.

Mittlerweile hatten eine extreme Müdigkeit und eine leichte Schummrigkeit die Kontrolle über mich übernommen. Doch als die Neurologin mit einem sächselnden Urologen und einem Ultraschallgerät wiederkam, war ich hellwach. "Wie geht es Ihnen?", fragte der Urologe. "Super", antwortete ich. "Was machen Sie dann hier?", erwiderte er - und unterhielt sich mit meiner Neurologin über Arbeitsschichten an Weihnachten und Silvester. Dann wurde ich zum Versuchskaninchen. "Sie müssen immer viel Klibber nehmen", sagte der Urologe und zeigte seiner Kollegin, wie man mit einem Ultraschallgerät Nieren, Leber, Milz, Herz, Blase, Wirbelsäule und noch ein paar andere lebenswichtige Organe untersucht. Ich verzichtete darauf zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Kurz darauf durfte ich gehen - oder wanken. Der Weg nach Hause war ja zum Glück nicht weit.

Im Bett wollte ich eigentlich noch arbeiten. Es war ja erst 20 Uhr. Doch die Müdigkeit übermannte mich. Als ich das erste Mal wieder aufwachte, hatte ich nur die Hoffnung, dass es vielleicht erst 4 Uhr war und ich bis zum Weckerklingen um 7 Uhr noch ein paar Stündchen schlafen dürfte. Draußen schlug es Mitternacht.

Montag, 17. November 2008

Geradeaus ins Paradies

Ich komme gerade zurück aus Jena. Die knapp zweieinhalbstündige Fahrt hat sich gelohnt. Freilich nicht etwa deswegen, weil es sich bei Jena um ein bezauberndes Städtchen handelt. An der Autobahnausfahrt versprühen Urlaubsplattenbauten den Charme einer Reifenpanne im strömenden Regen. Und in der Stadt selbst ist mir in erster Linie jenes Straßenschild aufgefallen, das rechts zur Arbeitsagentur für Arbeit wies - und geradeaus nach Jena-Paradies, ein nahezu absurder Gedanke. Nein, ich hatte den Besuch vielmehr mit der Hoffnung verknüpft, der Schweizer Andi Gross, der dort heute eine dreistündige Vorlesung hielt, könne vielleicht etwas Licht in das Dunkel bringen, das mich umgibt, wenn ich an meine Magisterarbeit denke. Weil er so was wie der Godfather der Direkten Demokratie ist, zumindest ihr glühendster Vertreter. Aber eigentlich wollte ich etwas ganz anderes erzählen. Den auf der Fahrt nach Jena lässt es sich nicht vermeiden, an Weimar vorbeizukommen - und damit auch an Buchenwald. Und dies wiederum erinnerte mich an meinen letzten Besuch dort. Und an die Gedanken, die hängen blieben. Ich zitiere:

"Kein Wölkchen am babyblauen Himmel, die Sonne strahlt tapfer und ergiebig und der Wind streift sanft Gesichter und Bäume. Fast könnte man glauben, man sei an einem Ort des Glücks und der Idylle, doch diese Idylle ist die Hölle - und die Feuersbrunst bedrückt einen noch immer, obwohl sie schon seit mehr als 60 Jahren als gelöscht gilt. Und an der Tür steht "Jedem das Seine", von innen, damit man es auch lesen kann, als "Bewohner" dieser Idylle.

Man befindet sich in Buchenwald, auf dem Ettersberg nahe Weimar, in der Gedenkstätte Buchenwald, in einem ehemaligen Konzentrationslager, in dem die Nazis willkürlich Menschen zu Unmenschen degradiert haben, im Kampf der Arier für das Gerechte. Und später die Russen auf einer Reinigungstour durch die sowjetische Besatzungszone ähnliche Greueltaten begingen, auf ihrem Kampf nach Gerechtigkeit. Trauer und Wut überkommt einen. Trauer, weil dieses unglaubliche Leid von politischen Gefangenen und Juden an jeder Ecke zu spüren ist, in den kleinen Zellen, in denen aufsässige Insassen an den Füßen aufgehängt wurden bis sie starben. In den Genickschussanlagen, in denen Kriegsgefangene in einem Moment starben, in dem sie annahmen, ihre Körpergröße werde gerade gemessen. Oder im Krematorium, dessen Schornstein Überlieferungen zufolge stets rauchte. Trauer, tiefe Trauer.

Aber auch Wut. Wut darüber, dass keiner etwas gewusst haben wollte von Buchenwald, von Dachau, von Auschwitz. Dort, auf dem Ettersberg, auf dem Platz, auf dem die Gefangenen morgens und abends zum Appell hatten antreten müssen, konnte ein Blick auf Weimar erhascht werden. Doch in der Stadt, so heißt es, wussten die Menschen nichts von den Geschehnissen, die in ihrer direkten Umgebung stattfanden. Warum ist es so, dass Menschen nicht aufstehen und kämpfen, wenn ihnen die Ungerechtigkeit förmlich ins Gesicht springt? Warum stehen Menschen schweigend daneben und schließen die Augen? Warum belegen wissenschaftliche Studien, dass Menschen einem Hilfsbedürftigen weniger helfen, wenn viele Menschen daneben stehen und die Hände in die Hosentaschen stecken?

Die Hoffnungslosigkeit, die einen in Buchenwald noch heute an jeder Ecke überlegen grinsend grüßt, lässt einen niedergeschmettert zurück."

Mittwoch, 5. November 2008

Ein Changeburger mit Hope, bitte

Weil mir die Worte fehlen, lasse ich einfach Mathieu von Rohr sprechen. Der bringt es nämlich ziemlich treffsicher auf den Punkt:

"Dieser Tag wird lange unvergessen bleiben, ohne Rücksicht darauf, ob sich die enormen Erwartungen an die Präsidentschaft Obamas je erfüllen werden.

Dieser Tag ist ein emotionaler Tag, ein Tag des Aufbruchs in eine neue Zeit. Es ist ein Moment, der ein Land und die ganze Welt verändern kann. Vergleichbar vielleicht mit der konservativen Revolution Ronald Reagans im Jahr 1980 - es ist ein transformativer Moment, wie es in Amerika seither keinen mehr gab. Alle Präsidenten seither, auch Clinton, standen im Schatten Reagans und seiner Ideen. Wir wissen noch nicht, ob Obama je ein großer Präsident wird. Aber er hat das Zeug dazu, einer zu werden, und er tritt zu einem Zeitpunkt an, der nach einem großen Präsidenten verlangt.

Es ist das Überlebensgroße an Obamas Person, das jetzt schon zu solchen Vergleichen ermutigt. Seine Biografie, seine Statur, seine kühle Überlegtheit, ließen ihn schon während seine Präsidentschaftskampagne präsidialer wirken als der amtierende Präsident je war. Dass am Tag vor seinem Wahlsieg seine Großmutter starb, die Frau, die ihn aufgezogen hatte, verstärkten noch das Cinemascopehafte seiner Lebensgeschichte - und die scheint ja untrennbar verknüpft mit seiner politischen Kraft.

Obama hat jetzt schon die Statur eines großen Präsidenten, er hat enorme Hoffnungen und Emotionen entfesselt. Die Frage wird sein, ob er diese Statur wird ausfüllen können mit einer erfolgreichen Politik. Ob es ihm wirklich gelingen wird, sein Land an einen Neubeginn zu führen, ihm einen neuen Sinn einzuhauchen, ihm neues Selbstbewusstsein zu verschaffen, es wirtschaftlich wieder stark zu machen - und seinen Ruf als gute Supermacht wiederherzustellen. Die Aufgabe scheint übermenschlich.

Selbst falls er scheitern sollte, wird die kathartische Wirkung dieses Tages unvergessen bleiben: Die Tränen, die Freudenfeiern, das Pathos in Amerika und in der ganzen Welt und in diesem Blog - über das Ende der verheerenden Bush-Jahre und die Hoffnung auf etwas Neues. Die Hoffnung, dass dieser hochintelligente, unbeirrbare, pragmatische Mann nicht nur ein großartiger Redner ist, sondern auch ein großer Präsident.

Die Amerikaner haben heute keine neue Ideologie gewählt. Sie haben sich von Ideologien befreit."

Montag, 27. Oktober 2008

Die Inspiration der Sandkörner

Penny schien ehrlich entsetzt: Da hatte sie mir gleich drei Bücher als Wartezeitverkürzer bis zum ungeduldig herbeigesehnten Erscheinen von Carlos Ruiz Zafóns neuem Roman Das Spiel des Engels empfohlen. Ich aber hatte sie alle drei verschmäht und mich für Benjamin Leberts Kannst du entschieden. Das hatte in erster Linie zwei Gründe: einen pragmatischen und einen emotionalen. Der pragmatische ist schnell erklärt: der Gang zum Bücherregal ist einfach kürzer (und günstiger) als der in die Buchhandlung. Und Kannst du lag schon griffbereit. Für den emotionalen Grund muss ich ein Stückchen weiter ausholen. Es war im Oktober 2006, zufälligerweise gestern genau vor zwei Jahren, da schrieb mir A. aus Konstanz eine E-Mail, deren Wärme und Vertrautheit mich für einige Momente überwältigte. Sie sei auf einer Lesung von Lebert gewesen und habe die Atmosphäre unbeschreiblich gefunden. "Er hat eine ganz besondere Art an sich, finde ich. Und irgendwie hat er mich auch an Dich erinnert. Es kam mir wirklich manchmal so vor, als ob Du da auf dem Podest sitzt", schrieb sie mir. Solche Worte von A., der Freundin und Lektorin, weckten meine Neugierde.

Warum es zwei Jahre gedauert hat, bis ich das Buch endlich lese, weiß ich nicht. Und doch hat es Lebert geschafft, mich vom ersten Augenblick an für seine Geschichte zu packen - wenngleich nur in eingeschränkter Form. Zuweilen und auf bestimmte Gedankengänge bezogen fühle ich mich der Zielgruppe der jungen Erwachsenen schon entwachsen. Das lindert aber nicht den Spaß an diesem Buch - und die Wirkung, die es auf mich hat. Ich bin in diesen Tagen wieder verstärkt motiviert, einen neuerlichen Anlauf für einen eigenen Roman zu starten. Ich sehe mich 2010, nach dem Studium, in Hamburg, wenn auch nur für ein paar Monate. Ich möchte in dieser Stadt ein Praktikum machen, weil sie - obwohl ich sie nicht kenne - in meinen Augen eine besondere Anziehungskraft besitzt. Und ich möchte, wenn es Zeit und Geld erlauben, danach noch etwas bleiben. Einfach um zu schreiben und mich befreit von Sachzwängen zu fühlen. Ich möchte morgens aufwachen und spontan entscheiden können, für zwei, drei Tage an die Nordsee zu fahren. Mich dort in eine Düne setzen, aufs Meer schauen und von Wind und Sand inspirieren lassen. Es ist der kleine Traum, der mich antreibt.

Für Erste begnüge ich mich mit kleineren Schreibaufgaben. MiaNiemand hatte die schöne Idee, eine Themenwoche zu machen, mit Texten, die in Zusammenarbeit mit anderen Bloggern entstanden. Ich habe ihr angedroht, auch etwas beizutragen. Eine schöne Aufgabe, wenn man sich nicht dauerhaft mit der Entstehung der Sozialdemokratie im deutschen Kaiserreich beschäftigen möchte.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Der Terror im Schnelldurchlauf


Man kann es durchaus als Augenzwinkern verstehen, wenn Janis Joplin "Oh lord, won't you buy me, a Mercedes Benz" röhrt und im nächsten Moment die noch jungen Bettina und Regine an einem Sylter FKK-Strand spielen, bevor ihre Mutter die Mädchen zum Strandkorb zurückbeordert. Ausgerechnet die Neue Revue liest diese dunkelhaarige Frau, Ulrike Meinhof, dieses Glamourblatt mit ihrer Titelgeschichte über den Schah von Persien vor dem Deutschlandbesuch im Juni 1967. Doch es soll bald klar werden, warum sie das tut. Meinhof, Journalistin der linksgerichteten Zeitschrift konkret, schreibt einen Beitrag, in dem sie die sozialen Ungerechtigkeiten in Persien angreift. Und dann, der Szenewechsel: Kamera auf Berlin, Bismarckstraße, Deutsche Oper. Der Schah will die Zauberflöte sehen. Zwischen engagierten Jubeliranern und protestierenden Studenten kommt es zu Handgemengen. Unfassbar, mit welcher Brutalität die Polizei sich auf Seiten der Iraner schlägt und wahllos in die Menge prügelt. Und dann fällt ein Schuss: Karl-Heinz Kurras trifft Benno Ohnesorg, die Straße ist getränkt mit dem Blut des Pazifisten - und aus der Wut und der Empörung über Bullenschweine und das System der Väter, dieser Naziverbrechenwegschauer, entsteht der Kampf der RAF.

Vergangenheitsbewältigung im Film ist en vogue in Deutschland. Mit Das Leben der anderen gewann Florian Henckel von Donnersmarck 2007 den Oscar, drei Jahre zuvor sperrte Bernd Eichinger den Kinozuschauer mit dem Führer in einen Bunker, um endlich einmal so richtig nah beim Untergang dabei zu sein. Und ausgerechnet jener Eichinger, ein moderner Kapitalismus-Midas produzierte nun die Geschichte des deutschen Terrorismus und ließ Stefan Austs Buch Der Baader-Meinhof-Komplex verfilmen. Austs ehemaliger Arbeitgeber Spiegel lästerte schon, das System, das die RAF zu bekämpfen glaubte, habe nun endgültig gesiegt.

Tatsächlich steckt in einer solchen Verfilmung auch die Chance, ein bedeutsames Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte dem Massenpublikum verständlich zu machen. Doch trotz einer Lauflänge von zweieinhalb Stunden
und trotz aller beachtenswerten historischen Akribität scheitern Eichinger und sein Regisseur Uli Edel an dieser Aufgabe. Zu komplex sind die Zusammenhänge, um sie konsumentenfreundlich und verständlich zu vermitteln. Wer über die Zeit zwischen 1967 und dem Deutschen Herbst 1977 nicht ohnehin schon informiert ist, dessen Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit wird beim Hetzen von Anschlag zu Anschlag und von Verhaftung zu Befreiungsaktion auf der Strecke bleiben.

Notgedrungen konzentriert sich der Film hauptsächlich auf die Lichtfiguren der "revolutionären Kräfte", auf Andreas Baader (von Moritz Bleibtreu politischer dargestellt, als der draufgängerische Prolet Baader in Wirklichkeit wohl war), Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) und Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) sowie den Gegenspieler im BKA, Horst Herold. Viele andere Akteure verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Es bleibt nicht einmal Zeit zu erkennen, dass die erschossene Petra Schelm von Alexandra Maria Lara dargestellt wurde. Die RAF-Ikonen werden vor allem zu Beginn des Film glorifiziert. Sie sind hippe Helden, die mit ihrem Style, ihren Worten und Taten den Zuschauer zuweilen zum Lachen, ja sogar zum Jubeln bewegen. „Es ist ein Täter-Film, bei dem man sich schon Mühe geben muss, um nicht (...) sehr von diesen jungen Menschen eingenommen zu werden, die so klug, engagiert und schön sind", hat der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Horst Buback, Michael Buback, in einem Beitrag für die Berliner Morgenpost notiert. Über die Kehrseite der Medaille - bestehend aus toten Zivilisten und Fahrern, den Kolaterälschaden der RAF - erfährt man nichts.

Die Bild-Zeitung, das Blatt des Bösen und Feindbild der Studenten-Bewegung, überschlägt sich pflichtschuldig in Jubelarien für den Film, die taz als Sprachrohr der Linken präsentiert ihr Lob etwas zurückhaltender. In der Tat zeichnet Der Baader-Meinhof-Komplex jene so dramatischen zehn Jahre durchweg spannend und atemberaubend nach. Doch
Antworten auf die Frage, wann Gewalt legitimiert ist, wie ein System bekämpft werden darf, das als zynisch und menschenverachtend verstanden wird, kann der Film nicht geben. Am Ende liegt Hanns Martin Schleyer tot in einem Wald und Bob Dylan trällert zum Abspann "The answer, my friend, is blowin' in the wind". Und das ist dann doch way too much.

Donnerstag, 25. September 2008

Dinge, an denen man merkt, dass...

. . . man in Berlin ist: Man steigt aus dem ICE, steigt in eine U-Bahn, setzt sich hin - und lauscht der schwäbelnden Nebensitzerin.

(Zur Erklärung: Nach den Türken sind Schwaben die zweitgrößte fremde ethnische Gruppe in Berlin)

Sonntag, 21. September 2008

Frucht des Lebens

Man stelle sich vor. Da taucht ein Brief auf, ein langer Brief, von einem der wichtigsten Menschen, die es im Leben eines Aufwachsenden geben kann: dem Vater. Nichts ungewöhnliches soweit. Doch nun stelle man sich vor. Der Vater ist seit elf Jahren tot, aus dem Leben gerissen durch eine tragische Krankheit. Und der Junge, Georg, hat ihn nie richtig kennen lernen dürfen. Weil er vier Jahre alt war, als ihn sein Papa verlassen musste. Er kann sich nicht sicher sein, ob die verschwommenen Erinnerungen, die in seinem Kopf herumirren, echt sind oder ob er sie sich zusammengesponnen hat. Anhand von Erzählungen, Fotografien, Videoaufnahmen. Und plötzlich ist da dieser Brief, wie eine Postkarte aus dem Jenseits. Geschrieben von einem Sterbenden, der eine Geschichte zu erzählen hat, die getränkt ist von Trauer und Energie zugleich. Die Geschichte eines Orangenmädchens, so zauberhaft wie das Leben selbst. Eine Geschichte, die Vater und Sohn metaphorisch gesprochen wieder zusammenführen wird.

Von Jostein Gaarder ist man es gewohnt, dass seine Bücher vor Kraft strotzen. Und doch ist es faszinierend, wie es einem Roman gelingen kann, seinen Leser den Sorgen des Alltags zu entreißen und in eine eigene Welt zu entführen, in der er sich so leicht wie eine Feder fühlen kann. Das Orangenmädchen ist eine dieser Erzählungen, die in einem das dringende Bedürfnis wecken, das Leben zu schmecken. Sich auf eine Parkbank zu setzen und zu staunen, wie die Dinge um einen herum ihren Lauf nehmen. Das Buch erinnert einen daran, dass man sich gestern, vor einer Woche, vor einem Monat oder zu Jahresanfang doch vorgenommen hatte, weniger zu arbeiten, weniger zu hetzen, auf die Rastlosigkeit zu pfeifen und stattdessen hin und wieder einfach nur auszuharren und der Musik des Lebens zu lauschen. Zu häufig tritt dieser gute Vorsatz in den Hintergrund, verdrängt von Verantwortung und Druck. Lesen ist ein Anfang.

Mittwoch, 17. September 2008

Italien für Anfänger, Teil VI: Abschied

Wenn ich eines auf dieser Reise gelernt haben, dann ist es, wie man Pizza bestellt. Und das macht sogar richtig Spaß. Wer „zwei Stück Pizza“ auf italienisch ausspricht (due pezzi pizze), und zwar mehrfach und schnell hintereinander und das Ganze mit einem saftigen Beat unterlegt, der könnte damit in den USA einen Welthit landen und würde bald darauf mit Paris Hilton oder ähnlichem „verkehren“. Doch ich hatte keine Zeit, über solche Dinge nachzudenken. Es war unser letzter Abend, und der endete dort, wo unser erster Tag in Italien so richtig begonnen hatte: beim Essen mit P. und seiner Familie.

Und, was soll ich sagen: es gab Auberginen! Tatsächlich schien ich aber um das Gemüse herum zu kommen, denn alles hatte seinen regulären Verlauf genommen. Im Fernseher trällerten italienische Volksmusiker aus Neapel schmissige Songs, während die sizilianischen Versionen von Florian Silbereisen und Stefanie Hertel moderierten. Sie: verdammt sexy. Er: verdammt angsteinflößend, aber auf andere Weise wie Uns Florian. Dann beugte sich P. zu mir hinüber und sagte die Worte, vor denen ich mich gefürchtet hatte. „Möchtest du nicht einmal probieren?“, fragte er und deutete auf die Auberginen. Ich war mir in diesem Moment nicht ganz sicher, ob er einfach nur hartnäckig war oder eben doch der "relativ alte" Mann, im Stich gelassen von seinem Erinnerungsvermögen. Jedenfalls lehnte ich dankend ab, P. fragte zur Sicherheit
noch mal nach und bekam, wie aus dem Nichts, von dem Tischnachbarn einen Rüffel erteilt, von dem man es am wenigstens erwartet hatte. Sohnemann C., der stille Schweiger (und das ist keine übertriebene Dopplung) sagte etwas, und er sagte es sehr laut und sehr schnell. Ich weiß nicht, ob er mich als blödsinnigen Deutschen bezeichnete, der es nicht wert sei, dass man ihm so etwas Leckeres wie Auberginen anbiete oder ob er einfach nur meinte, dass ich nicht wolle und demnach auch nicht müsse. Das Resultat war eh das Gleiche: ich wurde in Ruhe gelassen, und nagte weiter am hauseigenen Kaninchen.

Wenige Stunden später, am frühen Morgen, machten sich D. und ich auf den Heimweg nach Deutschland. Der erste Stuttgarter tauchte erschreckenderweise bereits nach fünf Minuten vor uns auf. Also gab D. Gas, weil er nicht wollte, dass andere von ihm dachten, er würde Kolonne fahren. Auf der noch halbwegs leeren Autobahn zählten wir den Rückreiseverkehr („Da, ein Schweizer. Das ist dann der zweite Rückreiseverkehr. . .“) und freuten uns, als wir den Stau an der Grenze überstanden hatten und in der Schweiz waren. Noch mehr freute es uns aber, als wir die Schweiz wieder verlassen hatten. Das Land war uns unheimlich. Vor dem Gotthard war schon wieder Stau, also fuhren wir wieder über den San Bernadino, wurden auf dem Gipfel von einer Deutschen aufgehalten, die ihre Tanksäule beim Zahlen mit der unseren verwechselte und verfuhren uns in Zürich. Deswegen landeten wir bei einem Zollübergang, der streng genommen keiner war, weil er uns auf eine Straße führte, die uns zu einem Zollübergang brachte – zu dem zurück in die Schweiz. „Ja, ja. Sie sind schon richtig“, meinte der Beamte, als wir ihn fragten, wie wir nach Deutschland kommen würden. Ich nahm es mit Humor, noch. „Jetzt muss ich ja wieder auf meine Geschwindigkeit achten“, feixte ich fröhlich – und sah eine Minute zwei orangefarbene Blitze aufleuchten. Wie sich herausstellen sollte war ich zwei km/h zu schnell. Die 25 Euro sind schon überwiesen.

Die restliche Strecke ließ ich D. fahren. Italien hatte mich geschafft. Und deswegen aß ich abends auch keine Pizza mehr. Ich aß gar nichts mehr. Ich schlief nur noch.

(Ende)

Montag, 15. September 2008

Vermisst: Spätsommer

Samstag: gefröstelt beim Flanieren durch Stuttgarts Dunkelheit.
Sonntag: gefroren beim Journalisieren am Rande eines Fußballplatzes am Fuße der Schwäbischen Alb.
Montag: Würzburg, Regen, Schmuddel, Schlafsackwärme.

Ich fürchte es ist Zeit für einen neuen Header...


(Inspired by: Mia)

Dinge, an denen man merkt, dass...

... man wieder in Würzburg ist: Man geht durch die Stadt und trifft an fünf verschiedenen Orten fünf verschiedene (angehende) PsychologInnen.

Und auch auf die Gefahr hin, dass man mich jetzt für verrückt (im tatsächlichen Wortsinn) hält: Es ist schön, wieder in Würzburg zu sein.

Dinge, an denen man merkt, dass...

(in freudiger Erinnerung an vergangenes Jahr) ... es nur noch 90 Tage bis Weihnachten sind: Es ist der 15. September und im Real verkaufen sie Lebkuchen!

Freitag, 12. September 2008

Italien für Anfänger, Teil V: Erledigungen

Wer in das Dörfchen auf dem Hügelchen kommt, in dem das Häuschen von D’s Elternchen (halt: zu viel! – D’s Eltern) steht, der erlebt Italien von einer anderen Seite als die Teutonen am Strand. Traditionell und urig geht es dort zu. Und nur ab und an eine Sattelitenschüssel auf dem Dach erinnert einen daran, dass man sich nach wie vor im 21. Jahrhundert befindet. Kleiner Nachteil: es fallen immer mal wieder kleinere Reparaturarbeiten an. Großer Vorteil: man ist auch dann beschäftigt, wenn es regnet und man nicht den Teutonen am Strand spielen kann.

D. und ich jedoch verzweifelten schon beim Versuch, ein Billig-Fliegennetz gegen übereifrige Blutsauger anzubringen. Korrekter gesagt: D. verzweifelte (und zeigte seine emotional-italienische Seite), ich guckte ihm dabei zu. Ich bin genauso wenig zum Handwerker geboren wie zum Fußballer. Deswegen beobachte ich andere Menschen, wie sie handwerken (oder Fußball spielen) und schreibe hinterher drüber. Zwischendurch schaute M. mal zur Tür rein. Falls uns langweilig wäre, meinte er, könnten wir ihm später dabei helfen, ein paar Steine vom unbewohnten Nachbarhaus zu holen. „Papa! Ich klau doch keine Steine“, meinte D., ehrlich entsetzt. „Ach, das ist doch nicht klauen. Wir nehmen sie nur mit“, antwortete M. vergnügt.

Wir haben die Steine dann doch nicht mitgenommen, auch wenn es vermutlich nicht aufgefallen wäre. Kurz darauf aber herrschte nebenan eifriger Betrieb. Der Sohnemann der traditionsbewussten Hausbesitzerin, die mindestens genauso alt wie stur und stolz ist und sich deswegen standhaft weigert, das Haus zu verkaufen, stand plötzlich da. Mit einem Mann, der wie ein Makler (oder wie ein Maurer) aussah, und dessen Sohn. Das wiederum registrierte R. sehr interessiert, R. ist ein weiterer Dorfbewohner, dem ein paar Finger fehlen und der gerne mal mit dem Gewehr aufs Feld geht, wenn er etwas zu tief ins Glas geschaut hat. Und ihm fiel ein, dass er uns noch gar nicht begrüßt hatte. Er kam auf ein Pläuschen vorbei - und grüßte bei der Gelegenheit auch den Rest der Umgebung. Man könnte freilich auch vermuten, dass ihm schlichtweg aufgefallen war, dass sich da nebenan was tat. Aber das würde ja bedeuten, dem Mann Neugierde zu unterstellen.

Mittags machte sich die Familie R. und ihr Gast (also ich) auf den Weg in die nächste größere Stadt. Man hatte etwas auf der Bank zu erledigen. Und weil man nicht auch noch dort einen Strafzettel kassieren wollte, warf man brav Geld in die Parkuhr. Die sprang von 12.59 Uhr pflichtschuldig auf 16.01 Uhr. Merke: in Italien nehmen sie es mit der Siesta ungefähr genauso genau wie in Spanien oder Mexiko. Die Bank hatte aber noch offen – und bescherte mir einen der faszinierenden Besuche in einem solchen Institut überhaupt. Denn wer aus der Bank Geld haben will, der muss sein Geld erst einmal in einen Tresor legen, genauso wie seine Schlüssel, Herzschrittmacher oder Waffen, wobei die Metalldetektoren, durch die jeder Kunde einzeln durch muss wie durch ein Tor in eine fremde Welt, in manchen Fällen eine Ausnahme machen. Zur Belohnung nach überstandenem Bankaufenthalt erfrischten wir uns in der Bar unserer Wahl. Ich glaube sie hieß München. Die Bayern verfolgen einen aber auch überall hin. . .

Abends aßen wir mal keine Pizza. Punkt.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 1. September 2008

Italien für Anfänger, Teil IV: Im Auto

Der Vorschlag eines Berliner Abgeordneten dürfte vor eineinhalb Wochen die Mehrzahl der Deutschen verblüfft haben, die von ihm gehört oder gelesen haben. Andere dürften schlichtweg an der Hitzeresistenz seiner Denkzentrale gezweifelt haben. Mich selbst hat der Vorschlag zum Schmunzeln gebracht. Autokennzeichen sollen anonymisiert werden, hat dieser Hauptstädter ins Sommerloch geschrieen, um Diskriminierungen auf deutschen Straßen künftig vorzubeugen. Keiner soll mehr aufjaulen, weil plötzlich der Fahrer eines Würzburgers vor einem auftaucht. Dass die sich mit dem Lenken zuweilen schwer tun weiß ich aus Erfahrung. Keiner soll mehr über blödfahrende Fahrer aus Fürstenfeldbruck schimpfen. Ja, als ich das las, da fühlte ich mich zurückversetzt.

Auto fahren in Italien ist ein besonderer Spaß. Tollkühne Männer in ihren rollenden Kisten werden im Land der missachteten Geschwindigkeitsbegrenzung zu wilden Stieren. Das Problem bei der Sache: der Virus ist hochgradig ansteckend. Zugegeben: es lag mir natürlich fern, auf Autobahn oder Landstraße größere Unterschiede zwischen Süd- und Norditalienern zu machen – zumal man häufig gar nicht weiß, mit wem man es zu tun hat, seitdem irgendein Mann mit Einfluss (vermutlich jener eine italienische Mann mit Einfluss) beschlossen hat, den Kleinkriegen zwischen Industriebonzen und Olivenplantagenbesitzern auf dem Asphalt ein Ende zu bereiten. Man kann sich jetzt darüber streiten, ob man sich an dem Mann ein Vorbild nimmt, aber das führt zum Thema weg. Thema ist vielmehr der Virus, der einen erfasst und zwingt, in 50er-Zonen grundsätzlich 80 oder schneller zu fahren, Stopschilder als Landschaftsdekorationen abzutun und sich dennoch brav von Einheimischen überholen zu lassen.

Die etwa 20minütige Strecke vom Dorf zum Strand und zurück habe ich geliebt. D.’s Prophezeiung, ich würde sie bald hassen, bewahrheitete sich nicht. Bei der ersten Fahrt zum Strand fuhr er, was mir die Möglichkeit gab, zu beobachten. Ich fragte mich, was jener Italiener vorhatte, der bei sich aus der Ausfahrt raus- und beim Nachbarn wieder reinfuhr. „Mittagessen“, sagte Daniel nüchtern. Ich fragte mich auch, was der sonnenbebrillte Dunkelhaarige meinte, als er uns „cazzo“ zurief, weil wir frechen tedesci es nicht zuließen, dass seine Freundin am Steuer des Kleinwagens uns die Vorfahrt klaute. Dass „cazzo“ nichts mit Haustieren zu tun hatte, war mir sofort klar , die wahre Bedeutung erfuhr ich erst etwas später. Zur Beruhigung: wir haben es unfallfrei zum Strand geschafft. Dass wir dort am Abend einen Strafzettel über 36 Euro an der Windschutzscheibe fanden, weil wir ohne Parkausweis in blauen Parklücken standen (statt zwischen den weißen Begrenzungen direkt gegenüber) beunruhigte D. gar nicht. „Das vollstrecken die nie im Leben“, versicherte er. Und auch sein Vater M., mittlerweile im Heimatland angekommen, machte nur eine lässige Handbewegung: „Wirf ihn weg.“

Ich weiß nicht, wie sehr M. in Deutschland Italiener ist. In Italien ist er Italiener durch und durch. „Na, mozzarelle“, sagte er, als wir uns am Strand begegneten. „Schau dich mal an“, antwortete sein Sohn, während ich noch fassungslos realisierte, dass das fehlende „a“ am Ende von Mozzarella bedeutete, dass er auch mich gemeint hatte. In Gesprächen mit anderen Italienern redet M. unheimlich schnell und dirigiert mit den Armen Satzzeichen und Wörter. Und am Strand macht er das, was auch die meisten anderen Italiener machen. Beim Rest des Dorfes sitzen und das Meer daran hindern, dass es mit dem eigenen Oberkörper in Berührung kommt.

Abends aßen wir übrigens zusammen Pizza. . .

(Fortsetzung folgt)

Mittwoch, 27. August 2008

Across the Universe

Da ist dieser Junge, Jude, mit dem Dreitagebart und den zersausten Haaren. Ein Brite, das merkt man sofort, nachdem er den Mund aufgemacht und von dem Mädchen singt, das kam um zu bleiben. Am Strand sitzt er da vor dem grauen Horizont und sein Blick verrät mal Sehnsucht und Melancholie, mal bahnt sich die Vergangenheit mit ganzer Kraft zurück in seine Erinnerung und zaubert ein verschmitztes Lächeln auf seine Lippen, nur kurz, kaum wahrnehmbar. Da ist dieses Mädchen, Lucy, das sich in den Jungen verlieben wird, aber es noch nicht weiß, weil sie, weit weg von Liverpool, auf dem Abschlussball ihren Freund bittet, sie festzuhalten und nicht mehr loszulassen - ein Wunsch, den der pflichtbewusste Soldat nicht erfüllen kann, weil er seinen Patriotismus mit dem Leben bezahlen wird. Da ist dieser andere Junge, Max, Bruder von Lucy und eher am entfesselnden Leben als am Studieren interessiert, der Jude nach seiner Ankunft im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unter seine Fittiche nehmen wird. Und da ist das Leben, mit all seiner Tragik, seiner Freude, seiner Lust.

Eigentlich ist es ungewöhnlich, dass ein Film mit diesem Inhalt den Zuschauer in einem derart freudigen Schwebezustand hinterlässt, erst recht vor dem Hintergrund der Folgen eines Irak-Krieges, die tausende junge Amerikaner in den Tod geschickt oder innerlich zerstört haben. Schon einmal ist das so gewesen, damals, als in Detroit tagelange Rassenunruhen herrschten, als Martin Luther King ermordet wurde, als Uncle Sam in Vietnam seinen Tribut forderte, während in der Heimat von Verzweiflung und Wut radikalisierte Friedenskämpfer dem System den Krieg erklärten. Doch Across the Universe schafft es trotzdem. Weil er Menschen zeigt, denen es trotz der Widrigkeiten ihrer Zeit gelingt, für sich ihr Glück zu finden - auch wenn der Kampf gegen die Gegenwinde ihre ganze Aufopferungsgabe verlangt. Auch wenn ihre unterschiedlichen Wege erst gegen Ende wieder zusammenfinden.

Man mag diesem Film, dessen bezaubernde Darsteller mehr als 30 zeitlose Klassiker der Beatles dermaßen kraftstrotzend neu interpretieren, dass es ein Genuss ist, ihnen zuzuhören, Realitätsferne vorwerfen. Weil sich am Ende alles in Wohlgefallen auflöst. Aber wer sollte sich ernsthaft daran stören, dass alles, was man am Ende braucht, die Liebe ist? Wer sollte sich darüber aufregen, dass der Film zeitweise so abgedreht daherkommt wie ein Lucy-in-the-Sky-with-Diamands-Trip? Wer das tut, hat gegen das Grundprinzip verstoßen: lass es einfach geschehen.



Samstag, 23. August 2008

Italien für Anfänger, Teil III: Staatsbesuche

Dorfmenschen (in Deutschland wie in Italien) mögen zwar alt sein, Probleme mit dem Herzen haben und schlecht hören. Aber wenn ein deutsches Auto kommt, dann fällt das auf (weniger in Deutschland als in Italien). Und weil D. ein guter Mensch und Nachbar ist, begaben wir uns am Morgen nach der Anreise auf Willkommenstour.

Die begann bei dem Mann, den ich an dieser Stelle zu meinem persönlichen Helden ernennen möchte (ungeachtet der Tatsache, dass er für viele eher ein Antiheld ist): G. saß vor seinem Häuschen und sprach mit seinem Schwager, als wir ankamen. Er saß da im Unterhemd, ein Sauerstoffgerät versorgte ihn mit Luft und um seine Nase schlängelten sich Schläuche. „Wie geht’s dir?“, fragte D. mehr aus Höflichkeit als aus persönlichem Interesse. G. zuckte mit den Achseln und sagte „come sempre“. Dass der Mann überhaupt an der frischen Luft saß, war die erste Überraschung des Tages. Denn in den zwölf Monaten zuvor hatte er selbige vor Einbruch der Dämmerung konsequent gescheut, aus Angst vor Staatsspionen auf der Suche nach Beweisen dafür, dass sein Antrag auf eine höhere Arbeitsunfähigkeitsrente ungerechtfertigt sei. Aber das ist nur ein Grund, warum der Mann eine lebende Legende ist. Eines Tages empfing er D.’s Mutter L. und zwei Freundinnen von L., die zu Besuch in Italien waren. Als Besucherinnen und Gastgeber zu viert an einem Tisch saßen, bat G. die Freundinnen, doch bitte ihre Plätze zu tauschen, weil er lieber der Hübscheren von beiden gegenübersitzen wolle. Seinen persönlichen Höhepunkt erklomm G. jedoch zum Fest anlässlich seiner silbernen Hochzeit mit E., einer spröden Dame, die hart auf dem Feld schuftet, seit das G. nicht mehr kann. Das ganze Dorf hatte zusammengelegt, um G. und E. eine Stereoanlage zu schenken. „Grazie, grazie. Ma non mie piace“, antwortete der Mann des Hauses zum Entsetzen aller Anwesenden und speziell seiner Frau: Danke, sehr nett von euch. Aber das Geschenk gefällt mir nicht. „Warum habt ihr mir keinen Fernseher geschenkt?“, soll die personifizierte Ehrlichkeit noch gefragt haben.

Den Satz von G. habe ich mir natürlich gemerkt. Erstens, weil er so etwas wie ein Running Gag ist. Zweitens, weil ich mir sicher war, ihn noch brauchen zu können. Ich wusste, dass mir Einladungen zum Essen bevorstehen würden. Mir, dem komplizierten Esser. Jan Weilers Maria, ihm schmeckt’s nicht hatte mich auf alles vorbereitet. Sorgen machte ich mir trotzdem – und gerade deswegen. Bei P., wohnhaft in einem schicken Häuschen, umgeben von einem schicken Zäunchen, beides auch liebevoll Fort Knox genannt, war die Gefahr, eingeladen zu werden, am größten. P. ist ein guter Freund der Familie. Er spricht ein bisschen deutsch, weil er einige Zeit lang sein Glück im gelobten Land gesucht hat. Mit D. sprach er nur italienisch. Ich war erstaunt, wie viel von meinem im Anfängerkurs an der Uni erworbenen Sprachwissen noch hängen geblieben war. Mein Lehrer S., der mich bei der Abschlussprüfung nur nicht hatte durchfallen lassen, weil er sich die Schmach ersparen wollte, einen Sprachunfähigen unterrichtet zu haben, wäre stolz auf mich gewesen. Freilich nur bis zu dem Zeitpunkt, als P. mich ansprach und meinte, er sei ja schon ein alter Mann. „È relativo“, habe ich geantwortet – wollte ich antworten. Das „e“ (in dem Fall: das ist) habe ich verschluckt, weswegen ich mir vier Sekunden peinlich berührt vorkam, weil ich P. soeben als relativ alt bezeichnet hatte. Ich schob zur Sicherheit ein „tutto è relativo“ hinterher – dummerweise als D. und P. schon längst zum nächsten Thema ansetzten. Man sprach über Berlusconi, weil man erfahren hatte, dass ich Politikwissenschaften studiere. „Was haltet ihr Deutschen von der Wahl?“, wollte P. wissen. Ich musste feststellen, dass mein Wortschatz nicht ausreichte, um meine Wertschätzung für den größten Italiener seit dem. . . – naja seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts halt – adäquat zu formulieren. Auch P. kann mit den Achseln zucken. „Es macht eh keinen Unterschied, wen man wählt“, sagte er weise.

Am Ende hat er uns tatsächlich zum Essen eingeladen. Mit am Tisch saßen Frau und Köchin L., der etwas lethargische Sohn C. und Töchterchen T. Die ist seit Jahren mit demselben Kerl liiert, aber noch nicht verheiratet, weil selbiger zwar durchaus schon Großgrundbesitzer ist, in seinen zwei Häusern aber Mama und Tantchen hausen. Und solange sich eine der beiden nicht bereit erklärt, mit der anderen zusammenzuziehen (wir sprechen von Häusern mit mehreren Stockwerken) oder alternativ: sich bereit erklärt, das Zeitliche zu segnen, wird das nichts mit der Hochzeit. Beim Essen kamen D. und ich in den angenehmen Genuss, das Formel-1-Rennen mit versagenden Ferraristi auf einem Bären von einem Fernseher zu sehen. Ich kam zudem in den zweifelhaften Genuss, Pasta al forno mit Auberginen serviert zu bekommen. Zum Glück war keine Maria im Haus. „Du musst das nicht essen, wenn es dir nicht schmeckt“, meinte L. mitleidend. Beim hauseigenen Schwein, dem Tomaten- und Gurkensalat, dem Obst und dem Eis danach griff ich dafür kräftig zu. Auch, weil P. mich mehrfach darum „bat“. Es schmeckte aber auch prima, ganz ehrlich.

Abends aßen wir dann Pizza. . .

(Fortsetzung folgt)

Freitag, 22. August 2008

Des Teufels neues MakeUp

Es ist wohl mindestens 15 Jahre her, da schlich ich mich nachts vor den Fernseher, zappte mich durchs Nachtprogramm, das damals noch keine "Ruf-mich-an"-Marionetten jeglicher Form kannte und blieb bei einer Steven-King-Verfilmung auf Sat 1 hängen, die mir nachhaltig Albträume bescherte: Es, Clown Pennywise, verstörte deswegen so sehr, weil da eine Figur, die jeder als harmloser, tölpelhafter Spaßmacher mit einem leichten Hang zur Melancholie kennt, das personifizierte Böse darstellte. Doch Pennywise war gestern. Und Pennywise war ein Schmusekätzchen, verglichen mit: dem JOKER.













Seit gestern läuft The Dark Knight, der sich in den USA anschickt, zum erfolgreichsten Film aller Zeiten zu werden, in den deutschen Kinos. Insziniert von einem Regisseur (Christopher Nolan), der für seine verstörenden, düsternen Werke bekannt ist, getragen von ausgezeichneten Nebendarstellern (Sir Michael Caine, Morgan Freeman, Aaron Eckhart) und einem Hauptdarsteller (Christian Bale), der mehrfach bewiesen hat, dass er psychologisch schwierigen Charakteren gewachsen ist. Sie alle aber verblassen vor dem Joker, vor Heath Ledger, den ich gestern Nacht in der Rolle seines Lebens (und leider auch seines Sterbens) bereits zum zweiten Mal bewunderte.

Man versteht sehr schnell, warum der große Michael Caine von der Angst einflößendsten Darstellerleistung gesprochen hat, die er jemals erlebt habe. Ledgers Joker steht jenseits jeden Wahnsinns. Er ist ein Anarchist, getrieben von der Lust auf Chaos, der mit seiner Radikalität und Hemmungslosigkeit einer Katze ähnelt, die mit einer lebenden Maus spielt, bevor sie ihr den Kopf abbeißt. Des Jokers Welt ist eine der Finsternis, in der das personifizierte Böse unentwegt grient und das Gute nicht gewinnen kann.

Der neue Batman ist so gesehen eigentlich kein Batman mehr, sondern ein Joker. Das ändert aber nichts daran, dass dieser Film einer der besten der vergangenen fünf Jahre ist.

Mittwoch, 20. August 2008

Olympia für zwischendurch

Ich möchte mich nicht über Sprinter auslassen, die einen 100-Meter-Lauf nach 70 Metern abbrechen können - und trotzdem noch zum Weltrekord zu spazieren. Oder über unkaputtbare Schwimmstars aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Oder über ZDF-Götter, die wegen eines Fußball-Freundschaftsspiels mal kurz von Peking nach Nürnberg und zurück jetten. Olympia ist für mich etwas anderes. Olympia ist für mich Günther Schroth und Matthias Steiner. Und jetzt einmal den Live-Kommentar anhören und Gänsehaut spüren, bitte.


Donnerstag, 14. August 2008

Italien für Anfänger, Teil II: Auf in den Süden

Meine Schwester ist eine kleine Diktatorin. Das durfte ich schon früh erfahren. Es ist wohl 20 Jahre her, da fesselte sie mich ans Treppengeländer unseres Elternhauses. Sie benutzte die Strumpfhose, die man mich zwang anzuziehen. Und ich hatte sie in dem Moment an. Ich werde das nie vergessen. Vor allem deswegen, weil K. ihr Opfer fotografierte. Gerächt habe ich mich später, indem ich meinen Tennisschläger und ihren Arm miteinander verkuppelte. Da D. und ich unsere Tennisschläger an jenem frühen Samstagmorgen nicht griffbereit hatten, verzichteten wir auf eine Re-Union und leisteten dem Befehl meiner Schwester, gefälligst zu frühstücken, stillschweigend Folge.

Kurze Zeit später befanden wir uns auf einer Schweizer Autobahn – diskutierend und gestikulierend. Denn wenn die Schweizer eines garantiert nicht erfunden haben, dann ist es eine narrensichere Ausschilderung. An der Abfahrt Richtung Gotthard fuhren wir vorbei. „Da kommt bestimmt noch eine“, sagten wir uns und nickten fünf Minuten lang. „Da kommt wohl keine mehr“, bedauerten wir während der nächsten fünf Minuten. „Egal. Über den San Bernadino ist es eh kürzer“, beschloss Fahrer D., als eine Rückkehr zur ursprünglichen Ausfahrt nicht mehr sinnvoll war. Ich schwieg. Es kostete zu viele kognitive Kapazität, um mir in Erinnerung zu rufen, wie mein Polo auf der Rückfahrt von einem EM-Trip bei Innsbruck auf einem kurzen Steilstück fast gestorben wäre. Wie sollte mein altersschwacher Krieger da einen Pass von der Höhe des San Bernadino bezwingen? Dass D.’s Mama auf Nachfrage meinte, über die Frage Pass oder Tunnel entscheide das Auto (ohne dass wir ihr meine Bedenken mitteilten), beruhigte mich nicht ungemein. Doch der Polo strafte mich Lügen – und der Verkehrsfunk sorgte für weiteres Amüsement. „Vor dem Gotthard in Richtung Süden drei Stunden Wartezeit“, teilte uns eine italienische Stimme mit. Von einem Stau würden wir uns nicht aufhalten lassen.

Das Motto behielten wir an der Grenze bei, als wir stehende Fahrzeuge auf der Spur ganz rechts links liegen ließen. Über uns zeigten Schilder unentzifferbare Symbole mit komischen großen Autos an, die wir nicht verstanden. Anschließend lief es blendend. Im Autogrill bei Milano gab es Pizza, in Rimini noch mal. Eigentlich wollten D. und ich dort über Nacht bleiben, verzichteten aber. Die Hotels waren zu teuer oder zu ausgebucht, die Menschen zu alt und zu fremdsprachlich und mein Fuß zu kaputt (ohne oder). D. machte sich über die Blase lustig, die – obwohl unsichtbar – äußerst schmerzhaft war und die ich mir nach geschätzten vier Schritten im Strandsand zugezogen hatte. Der eigentliche Grund für unsere Rimini-Flucht war freilich völlig simpel. Wir waren alte, müde Männer, die in der Nacht zuvor in Zürich zu viel gefeiert hatten. Wir wollten in ein Bett – jeder in ein anderes, um das klarzustellen. In ein Bett in dem Häuschen in dem Dörfchen, in dem D.’s Eltern seit zehn Jahren immer wieder Urlaub machen, weil es ihnen praktischerweise gehört (das Bett und das Häuschen, nicht das Dorf).

Vorher, und das wollten sich D. und ich dann trotz dunkelster Dunkelheit nicht nehmen lassen, badeten wir im Meer. Am freien Strand von Ortona liebten sich zwei Körper – oder sie taten so, um uns in Sicherheit zu wiegen und anschließend unsere T-Shirts und andere Wertsachen zu stehlen. Ich ließ die beiden auch im Wasser nicht aus den Augen, sah von dort aber dummerweise weder das Paar noch unsere Sachen. Doch wir verließen das aufgewärmte Wasser sowieso recht schnell wieder. D. verspürte ein Kribbeln am Fuß. Ich eines am Arm. Und wir hatten uns zuvor noch über Quallen und weitere traumatische Erlebnisse unterhalten, die noch traumatischer waren als Begegnungen mit isländischen Kleiderschrankpfadfinderinnen. Es stellte sich heraus, dass wir auch 30 Minuten nach dem Kontakt mit dem Kribbelverursacher noch lebten.

Da ich lag ich bereits im Bett. „Ach ja, hab’ ich vergessen zu erwähnen“, hatte mir D. irgendwann noch gebeichtet. „Es könnte sein, dass wir im Haus kleinere Echsen oder Skorpione haben.“ Das sei aber nicht weiter schlimm. Der Biss eines Skorpions sei vergleichbar mit einem Bienenstich. Habe ich eigentlich schon mal dieses traumatische Erlebnis in meiner Kindheit. . . Völlig egal. Noch vor Mitternacht schlief ich wie ein unschuldiges Baby.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 11. August 2008

Italien für Anfänger, Teil I: Der erste Abend

Wenn ich mal eine Reise tu’, dann kann ich was erzählen. 2005 auf „Malle“ wollten R. und ich den Ballermann eigentlich meiden. Als wir doch mal vor Ort waren und am Strand herumlungerten, musste ich mitten in der Nacht Mitch Buchannon spielen. Einer angetrunkenen blutjungen Isländerin hatte ihr Outfit nicht mehr gefallen. Ihr Plan: kurz mal nach Hause zum Kleiderschrank schwimmen. Und mit nach Hause war nicht etwa das Hotelzimmer gemeint. 50 Meter weit war sie bereits ins Meer gewatschelt. Dort konnte ich sie davon überzeugen, dass ihr Outfit wundervoll war. Der wasserscheue R. vertrieb sich derweil die Zeit damit, Fotos vom gewagten Ausschnitt der anderen angetrunkenen blutjungen Isländerin zu machen. Nach unserer (meiner) selbstlosen Rettungsaktion waren die Mädels recht schnell verschollen. Meine Erinnerung ist verschwommen, aber ich glaube sie verschwanden im Schlepptau von fünf Holländern.

Seitdem habe ich keinen Urlaub mehr gemacht. Nicht etwa, weil mich „Malle“ und die Islandnixen traumatisiert hätten. Es hat sich einfach nie ergeben. Bis zu diesem Sommer. „Hast du Lust nach Italien mitzugehen?“, hat mich D. irgendwann einmal in einer seiner Kurznachrichten gefragt, in denen er immer meinen Namen verunstaltet. Ich war sofort begeistert gewesen. Und so machten D. und ich uns an einem späten Freitagnachmittag im Juli mit meinem treuen Polo auf den Weg gen Süden.

D., Halbitaliener mit sicherem Händchen (oder Füßchen?) für Fettnäppchen, stellte sein wenig beneidenswertes Talent schon am ersten Abend dreimal unter Beweis. Da war die Autofahrerin, die mir – keine drei Kilometer außerhalb der Stadt – die Vorfahrt nahm und dann gemächlich vor mir hergondelte. Meine Erfahrungen mit Italienern beim Autofahren beschränkten sich bis dato auf eine Studienfahrt nach Rom vor bald zehn Jahren und einige Kurztrips mit D. Diese Erfahrungen hatten mir alles verraten, worauf ich mich einzustellen hatte. Vom Beifahrersitz aus ergoss sich ein Schwall von Beschimpfungen auf die Vorfahrtsdiebin. Eines der Schimpfworte gefiel mir besonders gut: es war ein Name. „Eine K. bist du, eine blöde K.“, brüllte D., bis ich ihn fragte, woher er den Namen meiner Schwester kannte. Jene Schwester übrigens, die wir bei unserer Zwischenstation in Zürich zu besuchen gedachten. Für einen kurzen Moment schien D. konsterniert. Das will was heißen. Dann fing er an zu lachen. Schallend.

Wir lernten an diesem Abend drei Freunde meiner Schwester kennen. Oder besser: drei Freunde vom neuen Freund meiner Schwester. Bei einem stellte D. erstaunliche Gemeinsamkeiten fest. Gleiches Studium, gleicher Studienort – nur dass sein Gegenüber schon vor zehn Jahren sein Examen geschrieben hatte. „Wie gefällt’s dir dort?“, fragte der blasse Blonde, ein ansonsten zurückhaltend-stiller Anzugträger, glücklich einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Dass ein einziger Mann sich so schwer irren kann. . . Ich war schon froh, dass D. ihn nicht mit der ganzen Wucht der Ehrlichkeit erschlug. Sein Urteil über die Franken fiel trotzdem distanziert aus. „Ich bin Franke“, sagte der andere etwas verwirrt. Ich verabschiedete mich auf die Toilette, um ungestört lachen zu können. Mein Pech: ich verpasste D.’s Meisterstück. Man sprach über Verbindungsstudenten. Die kann D. in etwa so gut leiden kann wie Franken (nur ein bisschen weniger). Das hat er C. auch stolz gebeichtet. Der kluge Kopf ahnt es bereits: Er hätte es besser gelassen.

Meine Schwester hat uns trotzdem bei sich übernachten lassen. Wir schliefen nur ein paar Stunden. Denn wir hatten viel vor. Italien rief.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 28. Juli 2008

Dinge, an denen man merkt, dass...

... Geduld eine Tugend ist: Der altersschwache Toaster bugsiert den bereits getoasteten und mit ungeschmolzener kühlschrankgestählter Butter malträtierten Toast beim vorschnellen Versuch, die Butter durch Nachtoasten mit Hilfe der Flügelteile zum Schmelzen zu zwingen in sein Inneres, weil eines der Flügelteile plötzlich seinen Geist aufgibt, verschlingt bei der Gelegenheit die Butter und fängt an zu rauchen. (Das war doch jetzt nicht zu kompliziert, oder??)

Dabei hätte ich auch einfach warten können. Hätte. Hätte sollen. Werde. Beim nächsten Mal. Wenn es ein nächstes Mal gibt. Ende.

Montag, 23. Juni 2008

Das Streben nach Glück

(gewidmet einer treuen Leserin)

Die vorläufige Literaturliste steht. Sie ist, obwohl vorläufig, beängstigend lang. Und das Schlimmste ist: auf ihr stehen fast ausschließlich Texte, die im Fachenglisch verfasst sind. Es geht, grob gesagt, um the pursuit of happiness - das Streben nach Glück. Sozialpsychologie, subjective well-being. Konkreter um das Phänomen der hedonic treadmill. Einer in letzter Zeit vielfach kritisierten Theorie, wonach der Mensch sich abstrampeln muss (wie der Goldhamster in seinem Laufrädchen), um auf dem selben "Glücks"-Niveau zu bleiben. Er muss das, weil er sich zu fix an neue Gegebenheiten anpasst und die Errungenschaften der Gegenwart in der unmittelbaren Zukunft schon als selbstverständlich angesehen werden. Ein spannendes Thema für eine Hausarbeit im Semesterendspurt und bedauerlich, dass so wenig Zeit dafür bleibt - dreieinhalb Wochen nur. Weil in den Tagen und Wochen zuvor andere Dinge Priorität genossen. Trägheit zum Beispiel.

Ein Gutes - das zeigen wissenschaftlich nicht ausgereifte aber deswegen nicht minder überzeugende Studien der Selbstbeobachtung - hat der befüchtete Stress aber: Er lenkt ab. Von den alltäglichen Dingen dieser Welt, die einen zum Nachdenken bringen könnten. Dinge, das eigene verkomplizierte Streben nach Glück betreffend. Welch Ironie!

Donnerstag, 5. Juni 2008

Der lange Schatten der Geschichte

Nach mehr als vier Monaten zurück aus der Kreativpause. Womöglich (vermutlich) nur für kurze Zeit. An der Gesamtansicht hat sich nichts geändert. Ich habe nichts zu erzählen und niemanden (kaum jemanden), den es interessiert. Aber gewisse Dinge müssen dann doch gesagt werden, immer wieder.

Franz Josef Müller
sagt diese Dinge seit Jahrzehnten. Vor Schülern, CDU-Politikern, Gewerkschaftern oder - wie gestern Abend - vor (Würzburger) Studenten. Begleitet von seiner Ehefrau Britta, der treuen Souffleuse an seiner Seite, tourt der Gründer der Weiße Rose Stiftung e.V. und letzte Überlebende der NS-Widerstandsbewegung gleichen Namens durchs Land und spricht. Spricht davon, wie er in Ulm einst eines der Flugblätter aus dem Widerstandskreis um die Gebrüder Scholl zu Gesicht bekam, die jedem halbwegs aufgeklärten Deutschen ein Begriff sind, und sei es durch die Filme von Michael Verhoeven (1982) oder Marc Rothemund (2005). Wie er und seine Freunde darüber debattierten, was zu tun sei. Wie er Briefmarken besorgte, Briefumschläge klaute. Und wie der Pfarrerssohn und Freund Hans Hirzel nach Stuttgart fuhr, um die Flugblätter dort unters verängstigte oder verblendete Volk zu bringen. Und Müller tut das mit so viel Witz, so charmant und nonchalant, als wäre es die Geschichte eines Sommerurlaubs. Natürlich bleibt den Zuhörern das Lachen dann doch im Halse stecken, wenn sie erfahren, wie ein Knöchelbruch ihn 1942 vor dem Russland-Feldzug (und damit, seiner Ansicht nach, vor dem sicheren Tod) rettete. Wie ihn ein Freund unter der Folter der Gestapo verriet, er aber vom Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, anders als in derselben Verhandlung seine Kameraden Kurt Huber und Willi Graf nicht zum Tode, sondern nur zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er - blond und blauäugig - als echter Arier und "jugendlicher Narr" lediglich von "Staatsfeinden verführt" worden sei. Wie er während der Evakuierung des Heilbronner Jugendgefängnisses, in dem er einsaß, die Freiheit wiedererlangte und in einem schwäbischen Dorf die US-amerikanischen Befreier begrüßte, mit schlotternden Beinen, weil die auf seine Beteuerung, er sei ein Widerständler sagten, "there is no resistance in Germany".

Ein weißhaariger Mann ist dieser Müller längst. Einer, der - während ihm Fragen gestellt werden - auf einem Stück Papier herumkritzelt, der fünf Minuten, nachdem er etwas erzählt hat, bereits wieder vergessen hat, dass er es erzählt hat. Er muss dann von Gattin Britta gestoppt werden, weil die Studenten schon belustigt oder irritiert ihre Sitznachbarn anschauen. Und er sagt dann, dass man gewisse Dinge auch mal zweimal sagen müsse, auch wenn er sie schon zum dritten Mal berichtet. Das Alter fordert seinen Tribut. Aber es ist nicht nur das. Es ist das Leben an sich. Die Erinnerung, die ihn quält. Womöglich auch ein Schuldgefühl, wo keines sein sollte. Manchmal, erzählt seine Frau nach dem Gespräch, wache ihr Mann nachts auf und wolle nicht mehr. Weil er schon wieder davon geträumt habe, wie er hingerichtet werde. Genau wie all die anderen, die damals nicht mehr schweigen wollten.

Und weil er selbst nicht vergessen kann, sorgt er dafür, dass andere es auch nicht tun. In der Hoffnung, dass wenn die letzten Zeitzeugen ausgestorben sind, nicht der Mantel der Verschwiegenheit über dunkle Kapitel der Vergangenheit gedeckt wird.

Samstag, 2. Februar 2008

Into the Wild

Nur mal so, zwischendurch. Sean Penn ist ein zorniger Mann. Erschlagen von der Griechischen Geschichte ging ich heute zur Ablenkung in seinen neuesten Film, Into the Wild. Ich wusste bereits, dass er gut sein würde. Und nun sitze ich hier, und bin erschlagen von Schönheit und Sehnsucht. Was für ein Juwel, dieser Film. Was für ein Pladoyer für das Leben. Und für Wahrheit.



Mehr irgendwann.

Dienstag, 22. Januar 2008

Leben, offline!

Ich könnte viel erzählen. Amüsantes, wie die Geschichte von Murat und Vitali, und wie ich bei ihnen in die Türsteherschule ging. Skurriles, wie die Reise auf den Kahler Asten (oder Kahlen Asten, wie manche behaupten) und das Zusammenleben mit einer unbekannten Zimmergenossin. Überraschendes, wie das Weihnachtsgeschenk meiner Schwester, bei dem ich feststellen musste, dass es noch eine Diebstahlsicherung besaß (natürlich erst nachdem ich damit in die Unibib gegangen bin). Trauriges, wie den Tod von Sepp. Beängstigendes, wie den Verkauf meiner Wohnung, den mein Vermieter plant. Oder Ärgerliches, wie die Odyssee der Telekommunikation, die endlich vorbei scheint.

Aber ich habe keine Zeit. Und keine Energie. Und überhaupt: Was hätte das Erzählen überhaupt für einen Sinn? Ich brauche eine Blogauszeit.

Dienstag, 1. Januar 2008