Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Mittwoch, 27. August 2008

Across the Universe

Da ist dieser Junge, Jude, mit dem Dreitagebart und den zersausten Haaren. Ein Brite, das merkt man sofort, nachdem er den Mund aufgemacht und von dem Mädchen singt, das kam um zu bleiben. Am Strand sitzt er da vor dem grauen Horizont und sein Blick verrät mal Sehnsucht und Melancholie, mal bahnt sich die Vergangenheit mit ganzer Kraft zurück in seine Erinnerung und zaubert ein verschmitztes Lächeln auf seine Lippen, nur kurz, kaum wahrnehmbar. Da ist dieses Mädchen, Lucy, das sich in den Jungen verlieben wird, aber es noch nicht weiß, weil sie, weit weg von Liverpool, auf dem Abschlussball ihren Freund bittet, sie festzuhalten und nicht mehr loszulassen - ein Wunsch, den der pflichtbewusste Soldat nicht erfüllen kann, weil er seinen Patriotismus mit dem Leben bezahlen wird. Da ist dieser andere Junge, Max, Bruder von Lucy und eher am entfesselnden Leben als am Studieren interessiert, der Jude nach seiner Ankunft im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unter seine Fittiche nehmen wird. Und da ist das Leben, mit all seiner Tragik, seiner Freude, seiner Lust.

Eigentlich ist es ungewöhnlich, dass ein Film mit diesem Inhalt den Zuschauer in einem derart freudigen Schwebezustand hinterlässt, erst recht vor dem Hintergrund der Folgen eines Irak-Krieges, die tausende junge Amerikaner in den Tod geschickt oder innerlich zerstört haben. Schon einmal ist das so gewesen, damals, als in Detroit tagelange Rassenunruhen herrschten, als Martin Luther King ermordet wurde, als Uncle Sam in Vietnam seinen Tribut forderte, während in der Heimat von Verzweiflung und Wut radikalisierte Friedenskämpfer dem System den Krieg erklärten. Doch Across the Universe schafft es trotzdem. Weil er Menschen zeigt, denen es trotz der Widrigkeiten ihrer Zeit gelingt, für sich ihr Glück zu finden - auch wenn der Kampf gegen die Gegenwinde ihre ganze Aufopferungsgabe verlangt. Auch wenn ihre unterschiedlichen Wege erst gegen Ende wieder zusammenfinden.

Man mag diesem Film, dessen bezaubernde Darsteller mehr als 30 zeitlose Klassiker der Beatles dermaßen kraftstrotzend neu interpretieren, dass es ein Genuss ist, ihnen zuzuhören, Realitätsferne vorwerfen. Weil sich am Ende alles in Wohlgefallen auflöst. Aber wer sollte sich ernsthaft daran stören, dass alles, was man am Ende braucht, die Liebe ist? Wer sollte sich darüber aufregen, dass der Film zeitweise so abgedreht daherkommt wie ein Lucy-in-the-Sky-with-Diamands-Trip? Wer das tut, hat gegen das Grundprinzip verstoßen: lass es einfach geschehen.



Samstag, 23. August 2008

Italien für Anfänger, Teil III: Staatsbesuche

Dorfmenschen (in Deutschland wie in Italien) mögen zwar alt sein, Probleme mit dem Herzen haben und schlecht hören. Aber wenn ein deutsches Auto kommt, dann fällt das auf (weniger in Deutschland als in Italien). Und weil D. ein guter Mensch und Nachbar ist, begaben wir uns am Morgen nach der Anreise auf Willkommenstour.

Die begann bei dem Mann, den ich an dieser Stelle zu meinem persönlichen Helden ernennen möchte (ungeachtet der Tatsache, dass er für viele eher ein Antiheld ist): G. saß vor seinem Häuschen und sprach mit seinem Schwager, als wir ankamen. Er saß da im Unterhemd, ein Sauerstoffgerät versorgte ihn mit Luft und um seine Nase schlängelten sich Schläuche. „Wie geht’s dir?“, fragte D. mehr aus Höflichkeit als aus persönlichem Interesse. G. zuckte mit den Achseln und sagte „come sempre“. Dass der Mann überhaupt an der frischen Luft saß, war die erste Überraschung des Tages. Denn in den zwölf Monaten zuvor hatte er selbige vor Einbruch der Dämmerung konsequent gescheut, aus Angst vor Staatsspionen auf der Suche nach Beweisen dafür, dass sein Antrag auf eine höhere Arbeitsunfähigkeitsrente ungerechtfertigt sei. Aber das ist nur ein Grund, warum der Mann eine lebende Legende ist. Eines Tages empfing er D.’s Mutter L. und zwei Freundinnen von L., die zu Besuch in Italien waren. Als Besucherinnen und Gastgeber zu viert an einem Tisch saßen, bat G. die Freundinnen, doch bitte ihre Plätze zu tauschen, weil er lieber der Hübscheren von beiden gegenübersitzen wolle. Seinen persönlichen Höhepunkt erklomm G. jedoch zum Fest anlässlich seiner silbernen Hochzeit mit E., einer spröden Dame, die hart auf dem Feld schuftet, seit das G. nicht mehr kann. Das ganze Dorf hatte zusammengelegt, um G. und E. eine Stereoanlage zu schenken. „Grazie, grazie. Ma non mie piace“, antwortete der Mann des Hauses zum Entsetzen aller Anwesenden und speziell seiner Frau: Danke, sehr nett von euch. Aber das Geschenk gefällt mir nicht. „Warum habt ihr mir keinen Fernseher geschenkt?“, soll die personifizierte Ehrlichkeit noch gefragt haben.

Den Satz von G. habe ich mir natürlich gemerkt. Erstens, weil er so etwas wie ein Running Gag ist. Zweitens, weil ich mir sicher war, ihn noch brauchen zu können. Ich wusste, dass mir Einladungen zum Essen bevorstehen würden. Mir, dem komplizierten Esser. Jan Weilers Maria, ihm schmeckt’s nicht hatte mich auf alles vorbereitet. Sorgen machte ich mir trotzdem – und gerade deswegen. Bei P., wohnhaft in einem schicken Häuschen, umgeben von einem schicken Zäunchen, beides auch liebevoll Fort Knox genannt, war die Gefahr, eingeladen zu werden, am größten. P. ist ein guter Freund der Familie. Er spricht ein bisschen deutsch, weil er einige Zeit lang sein Glück im gelobten Land gesucht hat. Mit D. sprach er nur italienisch. Ich war erstaunt, wie viel von meinem im Anfängerkurs an der Uni erworbenen Sprachwissen noch hängen geblieben war. Mein Lehrer S., der mich bei der Abschlussprüfung nur nicht hatte durchfallen lassen, weil er sich die Schmach ersparen wollte, einen Sprachunfähigen unterrichtet zu haben, wäre stolz auf mich gewesen. Freilich nur bis zu dem Zeitpunkt, als P. mich ansprach und meinte, er sei ja schon ein alter Mann. „È relativo“, habe ich geantwortet – wollte ich antworten. Das „e“ (in dem Fall: das ist) habe ich verschluckt, weswegen ich mir vier Sekunden peinlich berührt vorkam, weil ich P. soeben als relativ alt bezeichnet hatte. Ich schob zur Sicherheit ein „tutto è relativo“ hinterher – dummerweise als D. und P. schon längst zum nächsten Thema ansetzten. Man sprach über Berlusconi, weil man erfahren hatte, dass ich Politikwissenschaften studiere. „Was haltet ihr Deutschen von der Wahl?“, wollte P. wissen. Ich musste feststellen, dass mein Wortschatz nicht ausreichte, um meine Wertschätzung für den größten Italiener seit dem. . . – naja seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts halt – adäquat zu formulieren. Auch P. kann mit den Achseln zucken. „Es macht eh keinen Unterschied, wen man wählt“, sagte er weise.

Am Ende hat er uns tatsächlich zum Essen eingeladen. Mit am Tisch saßen Frau und Köchin L., der etwas lethargische Sohn C. und Töchterchen T. Die ist seit Jahren mit demselben Kerl liiert, aber noch nicht verheiratet, weil selbiger zwar durchaus schon Großgrundbesitzer ist, in seinen zwei Häusern aber Mama und Tantchen hausen. Und solange sich eine der beiden nicht bereit erklärt, mit der anderen zusammenzuziehen (wir sprechen von Häusern mit mehreren Stockwerken) oder alternativ: sich bereit erklärt, das Zeitliche zu segnen, wird das nichts mit der Hochzeit. Beim Essen kamen D. und ich in den angenehmen Genuss, das Formel-1-Rennen mit versagenden Ferraristi auf einem Bären von einem Fernseher zu sehen. Ich kam zudem in den zweifelhaften Genuss, Pasta al forno mit Auberginen serviert zu bekommen. Zum Glück war keine Maria im Haus. „Du musst das nicht essen, wenn es dir nicht schmeckt“, meinte L. mitleidend. Beim hauseigenen Schwein, dem Tomaten- und Gurkensalat, dem Obst und dem Eis danach griff ich dafür kräftig zu. Auch, weil P. mich mehrfach darum „bat“. Es schmeckte aber auch prima, ganz ehrlich.

Abends aßen wir dann Pizza. . .

(Fortsetzung folgt)

Freitag, 22. August 2008

Des Teufels neues MakeUp

Es ist wohl mindestens 15 Jahre her, da schlich ich mich nachts vor den Fernseher, zappte mich durchs Nachtprogramm, das damals noch keine "Ruf-mich-an"-Marionetten jeglicher Form kannte und blieb bei einer Steven-King-Verfilmung auf Sat 1 hängen, die mir nachhaltig Albträume bescherte: Es, Clown Pennywise, verstörte deswegen so sehr, weil da eine Figur, die jeder als harmloser, tölpelhafter Spaßmacher mit einem leichten Hang zur Melancholie kennt, das personifizierte Böse darstellte. Doch Pennywise war gestern. Und Pennywise war ein Schmusekätzchen, verglichen mit: dem JOKER.













Seit gestern läuft The Dark Knight, der sich in den USA anschickt, zum erfolgreichsten Film aller Zeiten zu werden, in den deutschen Kinos. Insziniert von einem Regisseur (Christopher Nolan), der für seine verstörenden, düsternen Werke bekannt ist, getragen von ausgezeichneten Nebendarstellern (Sir Michael Caine, Morgan Freeman, Aaron Eckhart) und einem Hauptdarsteller (Christian Bale), der mehrfach bewiesen hat, dass er psychologisch schwierigen Charakteren gewachsen ist. Sie alle aber verblassen vor dem Joker, vor Heath Ledger, den ich gestern Nacht in der Rolle seines Lebens (und leider auch seines Sterbens) bereits zum zweiten Mal bewunderte.

Man versteht sehr schnell, warum der große Michael Caine von der Angst einflößendsten Darstellerleistung gesprochen hat, die er jemals erlebt habe. Ledgers Joker steht jenseits jeden Wahnsinns. Er ist ein Anarchist, getrieben von der Lust auf Chaos, der mit seiner Radikalität und Hemmungslosigkeit einer Katze ähnelt, die mit einer lebenden Maus spielt, bevor sie ihr den Kopf abbeißt. Des Jokers Welt ist eine der Finsternis, in der das personifizierte Böse unentwegt grient und das Gute nicht gewinnen kann.

Der neue Batman ist so gesehen eigentlich kein Batman mehr, sondern ein Joker. Das ändert aber nichts daran, dass dieser Film einer der besten der vergangenen fünf Jahre ist.

Mittwoch, 20. August 2008

Olympia für zwischendurch

Ich möchte mich nicht über Sprinter auslassen, die einen 100-Meter-Lauf nach 70 Metern abbrechen können - und trotzdem noch zum Weltrekord zu spazieren. Oder über unkaputtbare Schwimmstars aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Oder über ZDF-Götter, die wegen eines Fußball-Freundschaftsspiels mal kurz von Peking nach Nürnberg und zurück jetten. Olympia ist für mich etwas anderes. Olympia ist für mich Günther Schroth und Matthias Steiner. Und jetzt einmal den Live-Kommentar anhören und Gänsehaut spüren, bitte.


Donnerstag, 14. August 2008

Italien für Anfänger, Teil II: Auf in den Süden

Meine Schwester ist eine kleine Diktatorin. Das durfte ich schon früh erfahren. Es ist wohl 20 Jahre her, da fesselte sie mich ans Treppengeländer unseres Elternhauses. Sie benutzte die Strumpfhose, die man mich zwang anzuziehen. Und ich hatte sie in dem Moment an. Ich werde das nie vergessen. Vor allem deswegen, weil K. ihr Opfer fotografierte. Gerächt habe ich mich später, indem ich meinen Tennisschläger und ihren Arm miteinander verkuppelte. Da D. und ich unsere Tennisschläger an jenem frühen Samstagmorgen nicht griffbereit hatten, verzichteten wir auf eine Re-Union und leisteten dem Befehl meiner Schwester, gefälligst zu frühstücken, stillschweigend Folge.

Kurze Zeit später befanden wir uns auf einer Schweizer Autobahn – diskutierend und gestikulierend. Denn wenn die Schweizer eines garantiert nicht erfunden haben, dann ist es eine narrensichere Ausschilderung. An der Abfahrt Richtung Gotthard fuhren wir vorbei. „Da kommt bestimmt noch eine“, sagten wir uns und nickten fünf Minuten lang. „Da kommt wohl keine mehr“, bedauerten wir während der nächsten fünf Minuten. „Egal. Über den San Bernadino ist es eh kürzer“, beschloss Fahrer D., als eine Rückkehr zur ursprünglichen Ausfahrt nicht mehr sinnvoll war. Ich schwieg. Es kostete zu viele kognitive Kapazität, um mir in Erinnerung zu rufen, wie mein Polo auf der Rückfahrt von einem EM-Trip bei Innsbruck auf einem kurzen Steilstück fast gestorben wäre. Wie sollte mein altersschwacher Krieger da einen Pass von der Höhe des San Bernadino bezwingen? Dass D.’s Mama auf Nachfrage meinte, über die Frage Pass oder Tunnel entscheide das Auto (ohne dass wir ihr meine Bedenken mitteilten), beruhigte mich nicht ungemein. Doch der Polo strafte mich Lügen – und der Verkehrsfunk sorgte für weiteres Amüsement. „Vor dem Gotthard in Richtung Süden drei Stunden Wartezeit“, teilte uns eine italienische Stimme mit. Von einem Stau würden wir uns nicht aufhalten lassen.

Das Motto behielten wir an der Grenze bei, als wir stehende Fahrzeuge auf der Spur ganz rechts links liegen ließen. Über uns zeigten Schilder unentzifferbare Symbole mit komischen großen Autos an, die wir nicht verstanden. Anschließend lief es blendend. Im Autogrill bei Milano gab es Pizza, in Rimini noch mal. Eigentlich wollten D. und ich dort über Nacht bleiben, verzichteten aber. Die Hotels waren zu teuer oder zu ausgebucht, die Menschen zu alt und zu fremdsprachlich und mein Fuß zu kaputt (ohne oder). D. machte sich über die Blase lustig, die – obwohl unsichtbar – äußerst schmerzhaft war und die ich mir nach geschätzten vier Schritten im Strandsand zugezogen hatte. Der eigentliche Grund für unsere Rimini-Flucht war freilich völlig simpel. Wir waren alte, müde Männer, die in der Nacht zuvor in Zürich zu viel gefeiert hatten. Wir wollten in ein Bett – jeder in ein anderes, um das klarzustellen. In ein Bett in dem Häuschen in dem Dörfchen, in dem D.’s Eltern seit zehn Jahren immer wieder Urlaub machen, weil es ihnen praktischerweise gehört (das Bett und das Häuschen, nicht das Dorf).

Vorher, und das wollten sich D. und ich dann trotz dunkelster Dunkelheit nicht nehmen lassen, badeten wir im Meer. Am freien Strand von Ortona liebten sich zwei Körper – oder sie taten so, um uns in Sicherheit zu wiegen und anschließend unsere T-Shirts und andere Wertsachen zu stehlen. Ich ließ die beiden auch im Wasser nicht aus den Augen, sah von dort aber dummerweise weder das Paar noch unsere Sachen. Doch wir verließen das aufgewärmte Wasser sowieso recht schnell wieder. D. verspürte ein Kribbeln am Fuß. Ich eines am Arm. Und wir hatten uns zuvor noch über Quallen und weitere traumatische Erlebnisse unterhalten, die noch traumatischer waren als Begegnungen mit isländischen Kleiderschrankpfadfinderinnen. Es stellte sich heraus, dass wir auch 30 Minuten nach dem Kontakt mit dem Kribbelverursacher noch lebten.

Da ich lag ich bereits im Bett. „Ach ja, hab’ ich vergessen zu erwähnen“, hatte mir D. irgendwann noch gebeichtet. „Es könnte sein, dass wir im Haus kleinere Echsen oder Skorpione haben.“ Das sei aber nicht weiter schlimm. Der Biss eines Skorpions sei vergleichbar mit einem Bienenstich. Habe ich eigentlich schon mal dieses traumatische Erlebnis in meiner Kindheit. . . Völlig egal. Noch vor Mitternacht schlief ich wie ein unschuldiges Baby.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 11. August 2008

Italien für Anfänger, Teil I: Der erste Abend

Wenn ich mal eine Reise tu’, dann kann ich was erzählen. 2005 auf „Malle“ wollten R. und ich den Ballermann eigentlich meiden. Als wir doch mal vor Ort waren und am Strand herumlungerten, musste ich mitten in der Nacht Mitch Buchannon spielen. Einer angetrunkenen blutjungen Isländerin hatte ihr Outfit nicht mehr gefallen. Ihr Plan: kurz mal nach Hause zum Kleiderschrank schwimmen. Und mit nach Hause war nicht etwa das Hotelzimmer gemeint. 50 Meter weit war sie bereits ins Meer gewatschelt. Dort konnte ich sie davon überzeugen, dass ihr Outfit wundervoll war. Der wasserscheue R. vertrieb sich derweil die Zeit damit, Fotos vom gewagten Ausschnitt der anderen angetrunkenen blutjungen Isländerin zu machen. Nach unserer (meiner) selbstlosen Rettungsaktion waren die Mädels recht schnell verschollen. Meine Erinnerung ist verschwommen, aber ich glaube sie verschwanden im Schlepptau von fünf Holländern.

Seitdem habe ich keinen Urlaub mehr gemacht. Nicht etwa, weil mich „Malle“ und die Islandnixen traumatisiert hätten. Es hat sich einfach nie ergeben. Bis zu diesem Sommer. „Hast du Lust nach Italien mitzugehen?“, hat mich D. irgendwann einmal in einer seiner Kurznachrichten gefragt, in denen er immer meinen Namen verunstaltet. Ich war sofort begeistert gewesen. Und so machten D. und ich uns an einem späten Freitagnachmittag im Juli mit meinem treuen Polo auf den Weg gen Süden.

D., Halbitaliener mit sicherem Händchen (oder Füßchen?) für Fettnäppchen, stellte sein wenig beneidenswertes Talent schon am ersten Abend dreimal unter Beweis. Da war die Autofahrerin, die mir – keine drei Kilometer außerhalb der Stadt – die Vorfahrt nahm und dann gemächlich vor mir hergondelte. Meine Erfahrungen mit Italienern beim Autofahren beschränkten sich bis dato auf eine Studienfahrt nach Rom vor bald zehn Jahren und einige Kurztrips mit D. Diese Erfahrungen hatten mir alles verraten, worauf ich mich einzustellen hatte. Vom Beifahrersitz aus ergoss sich ein Schwall von Beschimpfungen auf die Vorfahrtsdiebin. Eines der Schimpfworte gefiel mir besonders gut: es war ein Name. „Eine K. bist du, eine blöde K.“, brüllte D., bis ich ihn fragte, woher er den Namen meiner Schwester kannte. Jene Schwester übrigens, die wir bei unserer Zwischenstation in Zürich zu besuchen gedachten. Für einen kurzen Moment schien D. konsterniert. Das will was heißen. Dann fing er an zu lachen. Schallend.

Wir lernten an diesem Abend drei Freunde meiner Schwester kennen. Oder besser: drei Freunde vom neuen Freund meiner Schwester. Bei einem stellte D. erstaunliche Gemeinsamkeiten fest. Gleiches Studium, gleicher Studienort – nur dass sein Gegenüber schon vor zehn Jahren sein Examen geschrieben hatte. „Wie gefällt’s dir dort?“, fragte der blasse Blonde, ein ansonsten zurückhaltend-stiller Anzugträger, glücklich einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Dass ein einziger Mann sich so schwer irren kann. . . Ich war schon froh, dass D. ihn nicht mit der ganzen Wucht der Ehrlichkeit erschlug. Sein Urteil über die Franken fiel trotzdem distanziert aus. „Ich bin Franke“, sagte der andere etwas verwirrt. Ich verabschiedete mich auf die Toilette, um ungestört lachen zu können. Mein Pech: ich verpasste D.’s Meisterstück. Man sprach über Verbindungsstudenten. Die kann D. in etwa so gut leiden kann wie Franken (nur ein bisschen weniger). Das hat er C. auch stolz gebeichtet. Der kluge Kopf ahnt es bereits: Er hätte es besser gelassen.

Meine Schwester hat uns trotzdem bei sich übernachten lassen. Wir schliefen nur ein paar Stunden. Denn wir hatten viel vor. Italien rief.

(Fortsetzung folgt)