Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Sonntag, 18. Juli 2010

Adieu, Selbstbestimmung

Fast 40 und scheinbar noch nichts erreicht im Leben - das kann ganz schön frustrierend sein. Drei gealterte Jugendfreunde, deren Boygroup Berlin Brothers seit zehn Jahren auf ihren Durchbruch wartet, planen den ultimativen Coup. Frontmann Johannes Frederik Selinger nennt sich um in John F. Salinger, setzt sich Sonnenbrille und Cowboyhut auf, fälscht durch angeklebte Haare seine Koteletten und fliegt mit seinen Kumpels nach New York. Das Rezept für seinen Weg zum Ruhm: Salinger kündigt an, zu sterben und lässt sich zum Beweis den kleinen Finger der linken Hand amputieren. Die Medien sollen die Reise nach L.A. und in den Tod begleiten. Doch diese beißen erst an, als das Trio zu drastischeren Methoden greift.



Es ist ein Moment voller Biss und Ironie in Short Cut to Hollywood. Beseelt von seiner Narkose, sein Finger wird gerade in Großaufnahme chirurgisch entfernt, schaltet John F. Salinger den Fernseher im Operationswohnwagen auf laut. Zu sehen sind Mark Medlock und Dieter Bohlen, singend: "You can get it if you really try." Das filmische und musikalische Zitat, wie es später im Abspann genannt wird, ist eine Ohrfeige auf die Industrie medialer Traumfabriken, die mit den Sehnsüchten ihrer Konsumenten spielt, genau wie der gesamte Film von Jan Henrik Stahlberg und Marcus Mittermeier, die gemeinsam bereits Muxmäuschenstill drehten. Der unendliche Wille und individuelle Kampf nach Ruhm und Aufmerksamkeit lässt Menschen über Leichen gehen - während Regisseure Freudetränen in den Augen haben. Die menschliche Tragödie verkauft sich wunderbar.

Salinger und seine Freunde werden bald feststellen müssen, dass es nicht ausreicht, sich einen Finger abzuschneiden, um in den Mechanismus aufgenommen zu werden. Erst ein weiterer gescheiterter und ein höchst erfolgreicher Knalleffekt später ist der Weg nach vorn geebnet, aus dem es freilich kein Entrinnen mehr gibt. Die Aufgabe der Selbstbestimmung ist der Preis für den Verkauf seiner Seele. Der Mensch aber ist ein kompliziertes Wesen, das sich zu häufig zu sehr von den Gefühlen des Jetzt leiten lässt und unfähig ist nachzuvollziehen, dass temporäre Emotionen temporär sind. Für den lebensmüden John F. Salinger wird das in dem Moment zum Problem, in dem er das Lächeln einer beliebigen Schönheit sieht und sich verliebt. Ein Lächeln, das ihm nur geschenkt wird, weil er der ist, zu dem er es gebracht hat.

Mit geringem Budget, aber selbstbestimmt, drehten Stahlberg und Mittermeier Short Cut to Hollywood in den USA, dem Mekka der (amerikanischen) Traumwandler. Vor dem Start ihres Filmes in Deutschland gelang ihnen ein entlarvender Werbegag, der ihr Werk adelte. Sie brachten die Meldung eines Selbstmordattentates in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater in Umlauf und narrten damit Agenturen und Medien, für die eine saubere Recherche und die Überprüfung aller Fakten dem Ziel untergeordnet sind, die Meldung als erstes zu haben. Willkommen in der Wirklichkeit.


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