Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Donnerstag, 25. September 2008

Dinge, an denen man merkt, dass...

. . . man in Berlin ist: Man steigt aus dem ICE, steigt in eine U-Bahn, setzt sich hin - und lauscht der schwäbelnden Nebensitzerin.

(Zur Erklärung: Nach den Türken sind Schwaben die zweitgrößte fremde ethnische Gruppe in Berlin)

Sonntag, 21. September 2008

Frucht des Lebens

Man stelle sich vor. Da taucht ein Brief auf, ein langer Brief, von einem der wichtigsten Menschen, die es im Leben eines Aufwachsenden geben kann: dem Vater. Nichts ungewöhnliches soweit. Doch nun stelle man sich vor. Der Vater ist seit elf Jahren tot, aus dem Leben gerissen durch eine tragische Krankheit. Und der Junge, Georg, hat ihn nie richtig kennen lernen dürfen. Weil er vier Jahre alt war, als ihn sein Papa verlassen musste. Er kann sich nicht sicher sein, ob die verschwommenen Erinnerungen, die in seinem Kopf herumirren, echt sind oder ob er sie sich zusammengesponnen hat. Anhand von Erzählungen, Fotografien, Videoaufnahmen. Und plötzlich ist da dieser Brief, wie eine Postkarte aus dem Jenseits. Geschrieben von einem Sterbenden, der eine Geschichte zu erzählen hat, die getränkt ist von Trauer und Energie zugleich. Die Geschichte eines Orangenmädchens, so zauberhaft wie das Leben selbst. Eine Geschichte, die Vater und Sohn metaphorisch gesprochen wieder zusammenführen wird.

Von Jostein Gaarder ist man es gewohnt, dass seine Bücher vor Kraft strotzen. Und doch ist es faszinierend, wie es einem Roman gelingen kann, seinen Leser den Sorgen des Alltags zu entreißen und in eine eigene Welt zu entführen, in der er sich so leicht wie eine Feder fühlen kann. Das Orangenmädchen ist eine dieser Erzählungen, die in einem das dringende Bedürfnis wecken, das Leben zu schmecken. Sich auf eine Parkbank zu setzen und zu staunen, wie die Dinge um einen herum ihren Lauf nehmen. Das Buch erinnert einen daran, dass man sich gestern, vor einer Woche, vor einem Monat oder zu Jahresanfang doch vorgenommen hatte, weniger zu arbeiten, weniger zu hetzen, auf die Rastlosigkeit zu pfeifen und stattdessen hin und wieder einfach nur auszuharren und der Musik des Lebens zu lauschen. Zu häufig tritt dieser gute Vorsatz in den Hintergrund, verdrängt von Verantwortung und Druck. Lesen ist ein Anfang.

Mittwoch, 17. September 2008

Italien für Anfänger, Teil VI: Abschied

Wenn ich eines auf dieser Reise gelernt haben, dann ist es, wie man Pizza bestellt. Und das macht sogar richtig Spaß. Wer „zwei Stück Pizza“ auf italienisch ausspricht (due pezzi pizze), und zwar mehrfach und schnell hintereinander und das Ganze mit einem saftigen Beat unterlegt, der könnte damit in den USA einen Welthit landen und würde bald darauf mit Paris Hilton oder ähnlichem „verkehren“. Doch ich hatte keine Zeit, über solche Dinge nachzudenken. Es war unser letzter Abend, und der endete dort, wo unser erster Tag in Italien so richtig begonnen hatte: beim Essen mit P. und seiner Familie.

Und, was soll ich sagen: es gab Auberginen! Tatsächlich schien ich aber um das Gemüse herum zu kommen, denn alles hatte seinen regulären Verlauf genommen. Im Fernseher trällerten italienische Volksmusiker aus Neapel schmissige Songs, während die sizilianischen Versionen von Florian Silbereisen und Stefanie Hertel moderierten. Sie: verdammt sexy. Er: verdammt angsteinflößend, aber auf andere Weise wie Uns Florian. Dann beugte sich P. zu mir hinüber und sagte die Worte, vor denen ich mich gefürchtet hatte. „Möchtest du nicht einmal probieren?“, fragte er und deutete auf die Auberginen. Ich war mir in diesem Moment nicht ganz sicher, ob er einfach nur hartnäckig war oder eben doch der "relativ alte" Mann, im Stich gelassen von seinem Erinnerungsvermögen. Jedenfalls lehnte ich dankend ab, P. fragte zur Sicherheit
noch mal nach und bekam, wie aus dem Nichts, von dem Tischnachbarn einen Rüffel erteilt, von dem man es am wenigstens erwartet hatte. Sohnemann C., der stille Schweiger (und das ist keine übertriebene Dopplung) sagte etwas, und er sagte es sehr laut und sehr schnell. Ich weiß nicht, ob er mich als blödsinnigen Deutschen bezeichnete, der es nicht wert sei, dass man ihm so etwas Leckeres wie Auberginen anbiete oder ob er einfach nur meinte, dass ich nicht wolle und demnach auch nicht müsse. Das Resultat war eh das Gleiche: ich wurde in Ruhe gelassen, und nagte weiter am hauseigenen Kaninchen.

Wenige Stunden später, am frühen Morgen, machten sich D. und ich auf den Heimweg nach Deutschland. Der erste Stuttgarter tauchte erschreckenderweise bereits nach fünf Minuten vor uns auf. Also gab D. Gas, weil er nicht wollte, dass andere von ihm dachten, er würde Kolonne fahren. Auf der noch halbwegs leeren Autobahn zählten wir den Rückreiseverkehr („Da, ein Schweizer. Das ist dann der zweite Rückreiseverkehr. . .“) und freuten uns, als wir den Stau an der Grenze überstanden hatten und in der Schweiz waren. Noch mehr freute es uns aber, als wir die Schweiz wieder verlassen hatten. Das Land war uns unheimlich. Vor dem Gotthard war schon wieder Stau, also fuhren wir wieder über den San Bernadino, wurden auf dem Gipfel von einer Deutschen aufgehalten, die ihre Tanksäule beim Zahlen mit der unseren verwechselte und verfuhren uns in Zürich. Deswegen landeten wir bei einem Zollübergang, der streng genommen keiner war, weil er uns auf eine Straße führte, die uns zu einem Zollübergang brachte – zu dem zurück in die Schweiz. „Ja, ja. Sie sind schon richtig“, meinte der Beamte, als wir ihn fragten, wie wir nach Deutschland kommen würden. Ich nahm es mit Humor, noch. „Jetzt muss ich ja wieder auf meine Geschwindigkeit achten“, feixte ich fröhlich – und sah eine Minute zwei orangefarbene Blitze aufleuchten. Wie sich herausstellen sollte war ich zwei km/h zu schnell. Die 25 Euro sind schon überwiesen.

Die restliche Strecke ließ ich D. fahren. Italien hatte mich geschafft. Und deswegen aß ich abends auch keine Pizza mehr. Ich aß gar nichts mehr. Ich schlief nur noch.

(Ende)

Montag, 15. September 2008

Vermisst: Spätsommer

Samstag: gefröstelt beim Flanieren durch Stuttgarts Dunkelheit.
Sonntag: gefroren beim Journalisieren am Rande eines Fußballplatzes am Fuße der Schwäbischen Alb.
Montag: Würzburg, Regen, Schmuddel, Schlafsackwärme.

Ich fürchte es ist Zeit für einen neuen Header...


(Inspired by: Mia)

Dinge, an denen man merkt, dass...

... man wieder in Würzburg ist: Man geht durch die Stadt und trifft an fünf verschiedenen Orten fünf verschiedene (angehende) PsychologInnen.

Und auch auf die Gefahr hin, dass man mich jetzt für verrückt (im tatsächlichen Wortsinn) hält: Es ist schön, wieder in Würzburg zu sein.

Dinge, an denen man merkt, dass...

(in freudiger Erinnerung an vergangenes Jahr) ... es nur noch 90 Tage bis Weihnachten sind: Es ist der 15. September und im Real verkaufen sie Lebkuchen!

Freitag, 12. September 2008

Italien für Anfänger, Teil V: Erledigungen

Wer in das Dörfchen auf dem Hügelchen kommt, in dem das Häuschen von D’s Elternchen (halt: zu viel! – D’s Eltern) steht, der erlebt Italien von einer anderen Seite als die Teutonen am Strand. Traditionell und urig geht es dort zu. Und nur ab und an eine Sattelitenschüssel auf dem Dach erinnert einen daran, dass man sich nach wie vor im 21. Jahrhundert befindet. Kleiner Nachteil: es fallen immer mal wieder kleinere Reparaturarbeiten an. Großer Vorteil: man ist auch dann beschäftigt, wenn es regnet und man nicht den Teutonen am Strand spielen kann.

D. und ich jedoch verzweifelten schon beim Versuch, ein Billig-Fliegennetz gegen übereifrige Blutsauger anzubringen. Korrekter gesagt: D. verzweifelte (und zeigte seine emotional-italienische Seite), ich guckte ihm dabei zu. Ich bin genauso wenig zum Handwerker geboren wie zum Fußballer. Deswegen beobachte ich andere Menschen, wie sie handwerken (oder Fußball spielen) und schreibe hinterher drüber. Zwischendurch schaute M. mal zur Tür rein. Falls uns langweilig wäre, meinte er, könnten wir ihm später dabei helfen, ein paar Steine vom unbewohnten Nachbarhaus zu holen. „Papa! Ich klau doch keine Steine“, meinte D., ehrlich entsetzt. „Ach, das ist doch nicht klauen. Wir nehmen sie nur mit“, antwortete M. vergnügt.

Wir haben die Steine dann doch nicht mitgenommen, auch wenn es vermutlich nicht aufgefallen wäre. Kurz darauf aber herrschte nebenan eifriger Betrieb. Der Sohnemann der traditionsbewussten Hausbesitzerin, die mindestens genauso alt wie stur und stolz ist und sich deswegen standhaft weigert, das Haus zu verkaufen, stand plötzlich da. Mit einem Mann, der wie ein Makler (oder wie ein Maurer) aussah, und dessen Sohn. Das wiederum registrierte R. sehr interessiert, R. ist ein weiterer Dorfbewohner, dem ein paar Finger fehlen und der gerne mal mit dem Gewehr aufs Feld geht, wenn er etwas zu tief ins Glas geschaut hat. Und ihm fiel ein, dass er uns noch gar nicht begrüßt hatte. Er kam auf ein Pläuschen vorbei - und grüßte bei der Gelegenheit auch den Rest der Umgebung. Man könnte freilich auch vermuten, dass ihm schlichtweg aufgefallen war, dass sich da nebenan was tat. Aber das würde ja bedeuten, dem Mann Neugierde zu unterstellen.

Mittags machte sich die Familie R. und ihr Gast (also ich) auf den Weg in die nächste größere Stadt. Man hatte etwas auf der Bank zu erledigen. Und weil man nicht auch noch dort einen Strafzettel kassieren wollte, warf man brav Geld in die Parkuhr. Die sprang von 12.59 Uhr pflichtschuldig auf 16.01 Uhr. Merke: in Italien nehmen sie es mit der Siesta ungefähr genauso genau wie in Spanien oder Mexiko. Die Bank hatte aber noch offen – und bescherte mir einen der faszinierenden Besuche in einem solchen Institut überhaupt. Denn wer aus der Bank Geld haben will, der muss sein Geld erst einmal in einen Tresor legen, genauso wie seine Schlüssel, Herzschrittmacher oder Waffen, wobei die Metalldetektoren, durch die jeder Kunde einzeln durch muss wie durch ein Tor in eine fremde Welt, in manchen Fällen eine Ausnahme machen. Zur Belohnung nach überstandenem Bankaufenthalt erfrischten wir uns in der Bar unserer Wahl. Ich glaube sie hieß München. Die Bayern verfolgen einen aber auch überall hin. . .

Abends aßen wir mal keine Pizza. Punkt.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 1. September 2008

Italien für Anfänger, Teil IV: Im Auto

Der Vorschlag eines Berliner Abgeordneten dürfte vor eineinhalb Wochen die Mehrzahl der Deutschen verblüfft haben, die von ihm gehört oder gelesen haben. Andere dürften schlichtweg an der Hitzeresistenz seiner Denkzentrale gezweifelt haben. Mich selbst hat der Vorschlag zum Schmunzeln gebracht. Autokennzeichen sollen anonymisiert werden, hat dieser Hauptstädter ins Sommerloch geschrieen, um Diskriminierungen auf deutschen Straßen künftig vorzubeugen. Keiner soll mehr aufjaulen, weil plötzlich der Fahrer eines Würzburgers vor einem auftaucht. Dass die sich mit dem Lenken zuweilen schwer tun weiß ich aus Erfahrung. Keiner soll mehr über blödfahrende Fahrer aus Fürstenfeldbruck schimpfen. Ja, als ich das las, da fühlte ich mich zurückversetzt.

Auto fahren in Italien ist ein besonderer Spaß. Tollkühne Männer in ihren rollenden Kisten werden im Land der missachteten Geschwindigkeitsbegrenzung zu wilden Stieren. Das Problem bei der Sache: der Virus ist hochgradig ansteckend. Zugegeben: es lag mir natürlich fern, auf Autobahn oder Landstraße größere Unterschiede zwischen Süd- und Norditalienern zu machen – zumal man häufig gar nicht weiß, mit wem man es zu tun hat, seitdem irgendein Mann mit Einfluss (vermutlich jener eine italienische Mann mit Einfluss) beschlossen hat, den Kleinkriegen zwischen Industriebonzen und Olivenplantagenbesitzern auf dem Asphalt ein Ende zu bereiten. Man kann sich jetzt darüber streiten, ob man sich an dem Mann ein Vorbild nimmt, aber das führt zum Thema weg. Thema ist vielmehr der Virus, der einen erfasst und zwingt, in 50er-Zonen grundsätzlich 80 oder schneller zu fahren, Stopschilder als Landschaftsdekorationen abzutun und sich dennoch brav von Einheimischen überholen zu lassen.

Die etwa 20minütige Strecke vom Dorf zum Strand und zurück habe ich geliebt. D.’s Prophezeiung, ich würde sie bald hassen, bewahrheitete sich nicht. Bei der ersten Fahrt zum Strand fuhr er, was mir die Möglichkeit gab, zu beobachten. Ich fragte mich, was jener Italiener vorhatte, der bei sich aus der Ausfahrt raus- und beim Nachbarn wieder reinfuhr. „Mittagessen“, sagte Daniel nüchtern. Ich fragte mich auch, was der sonnenbebrillte Dunkelhaarige meinte, als er uns „cazzo“ zurief, weil wir frechen tedesci es nicht zuließen, dass seine Freundin am Steuer des Kleinwagens uns die Vorfahrt klaute. Dass „cazzo“ nichts mit Haustieren zu tun hatte, war mir sofort klar , die wahre Bedeutung erfuhr ich erst etwas später. Zur Beruhigung: wir haben es unfallfrei zum Strand geschafft. Dass wir dort am Abend einen Strafzettel über 36 Euro an der Windschutzscheibe fanden, weil wir ohne Parkausweis in blauen Parklücken standen (statt zwischen den weißen Begrenzungen direkt gegenüber) beunruhigte D. gar nicht. „Das vollstrecken die nie im Leben“, versicherte er. Und auch sein Vater M., mittlerweile im Heimatland angekommen, machte nur eine lässige Handbewegung: „Wirf ihn weg.“

Ich weiß nicht, wie sehr M. in Deutschland Italiener ist. In Italien ist er Italiener durch und durch. „Na, mozzarelle“, sagte er, als wir uns am Strand begegneten. „Schau dich mal an“, antwortete sein Sohn, während ich noch fassungslos realisierte, dass das fehlende „a“ am Ende von Mozzarella bedeutete, dass er auch mich gemeint hatte. In Gesprächen mit anderen Italienern redet M. unheimlich schnell und dirigiert mit den Armen Satzzeichen und Wörter. Und am Strand macht er das, was auch die meisten anderen Italiener machen. Beim Rest des Dorfes sitzen und das Meer daran hindern, dass es mit dem eigenen Oberkörper in Berührung kommt.

Abends aßen wir übrigens zusammen Pizza. . .

(Fortsetzung folgt)