Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Sonntag, 23. Dezember 2007

Zeit zur Besinnlichkeit

Verzweiflung ist in das Gesicht der Postmitarbeiterin geschrieben. Man muss fast befürchten, dass sie gleich anfängt zu weinen. "Wer wollte denn jetzt den Stift?", fragt sie - und keiner antwortet. Vor der Tür bleibt ein Auto überraschend stehen. Der Hintermann hupt, was dem Fußgänger, der gerade neben dem Hintermann steht, gar nicht gefällt. "Hey du Arsch, was hupst du hier?" In seinen Augen kann man in Großbuchstaben "Ich warte auf 'ne falsche Antwort" ablesen. "Mach dich mal locker", sagt der Typ hinterm Steuer. Doch der Fußgänger will bereits den nächsten Autofahrer standrechtlich erschießen, weil der ihn aus Versehen fast überfahren hätte. Ach, wäre doch nur jeden Tag Weihnachten!

P.S. Mein Wort des Jahres ist übrigens Gelassenheit. Und wehe einer zweifelt jetzt an, dass ich die Message meines Worts des Jahres ab und an bei Kontakten zu Bauleitern, O2-Kundenbetreuern oder zuvorkommenden Professoren außer Acht lasse. Dem mach ich sofort eine Rudolf-Rentier-Nase!

Freitag, 21. Dezember 2007

Wettkampf der Unsäglichen

In meinem Eintrag vom 7. November habe ich mich über einen Dilettanten beschwert, der sich Bauleiter schimpft. Ich möchte mich hiermit in aller Form bei O2 entschuldigen, dass ich jemals in Erwägung gezogen habe, der Diletanttismus des Bauleiters würde den Ihrigen schlagen.

Zum zweiten Mal habe ich am heutigen Tage den ebensolchen damit verbracht, auf einen T-Com-Techniker zu warten, der mir auf wundersame Weise den Weg in die Welt des Internets und des Telefonierens ermöglicht. Zum zweiten Mal wurde ich enttäuscht. Immerhin: es gibt Fortschritte. Nachdem es letztes Mal vier Tage und drei Anrufe mit einer Gesamtdauer von 24 Minuten gedauert hat, bis klar war, dass da irgendwas leider ganz furchtbar dumm schief gelaufen ist und man einen neuen Termin vereinbaren müsse (den heutigen), ist diesmal schon am Abend des Termins klar, dass
da irgendwas leider ganz furchtbar dumm schief gelaufen ist und man einen neuen Termin vereinbaren müsse. Na gut, vielleicht kann man es doch keinen Fortschritt nennen, wenn man 33 Minuten lang hauptsächlich in Warteschleifen verbringt, von der einen Mitarbeiterin mit der Nachricht überrascht wird, dass alles geklappt habe, während die andere dann 28 Minuten später wieder revidiert und die dritte einen neuen Termin am 8. Januar anbietet. Ich bin ihr gegenüber auch ein bisschen lauter geworden. Richtig laut wurde ich aber erst, als ich eine E-Mail verfasste, in welcher ich O2 um eine Stellungnahme und einen Vorschlag zur Lösung des Problems bat. Der Grund: nach dem Abschicken erschien in großen leuchtend-blauen Buchstaben auf weißem Grund folgende Nachricht: "Ihre Anfrage konnte leider nicht bearbeitet werden."

Hach, bin ich jetzt aber weihnachtlich gelaunt.

Freitag, 7. Dezember 2007

Versetzt von einem Techniker

Erschreckende fünf Jahre ist es her, da machte ich in einer Glosse meinem Ärger über das deutsche Beamtentum und seinen Verbindungen zum Journalismus Luft. Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Artikel zu schreiben, in dem ein Amtsleiter der Stadtverwaltung zu Wort kommen muss. Denn nur die Leiter eines städtischen Amtes sind auskunftsberechtigt. Und weil sie, entgegen der gängigen Meinung, offenbar unheimlich viel zu tun haben, kann das Warten auf einen Rückruf dauern. Und dann ist er festgenagelt, der Journalist, auf seinem Platz, vor seinem Telefon. Denn wer würde es wagen, auf die Toilette zu gehen, oder zum Mittagessen, oder zum Rauchen, wenn er dadurch auch nur für eine Minute sein Telefon aus den Augen lassen müsste? Denn, so schrieb ich damals, es sei wie mit der Zigarette an der Bushaltestelle. "Kaum angezündet, ist der Bus da". Und der Anruf verpasst. Und ein Rückruf unmöglich. Weil die nächste Sitzung schon begonnen hat.

Am Mittwoch musste ich wieder daran denken. Von 7.55 Uhr bis 14.15 Uhr saß ich auf meinem Sofa im Wohnzimmer, las Fromm, damit die Zeit nicht noch langsamer läuft, als sie es ohnehin tat, und wartete auf den T-Com-Techniker, der mir - nach mittlerweile zwei telefonanschlusslosen Monaten in der neuen Wohnung - endlich den Gang ins Internet und ans Festnetz ermöglichen sollte. Ich wartete vergebens. Auf meinen Anruf bei der Kundenbetreuung von O2, meinem geschätzten Anbieter, bat mich eine freundliche Dame, die schnell zickig wurde, mich doch ein bisschen zu gedulden. Ich hätte sie durch mein Handy gerne erwürgt, ungeachtet der Tatsache, dass sie vermutlich nicht Schuld hatte am Ausbleiben des Technikers. Wo der geblieben ist und was nun mit meinem Anschluss geschieht, weiß ich immer noch nicht. Heute Nacht telefoniere ich wieder mit den Jungs und Mädchen von O2. Ich bin aber auch ein schwieriger Kunde...

Sonntag, 2. Dezember 2007

Das Ende ist näher als man denkt

2. Dezember 2007, 21.45 Uhr. Der stets sympathische und überaus kompetente Johannes Baptist Kerner hat es geschafft. Menschen 2007, der erste Jahresrückblick des Jahres, läuft. Ja ist denn heut' schon Silvester?

Samstag, 1. Dezember 2007

Infektion der Seligkeit

Ich zitiere mich mal wieder selbst:
Impressionen aus der Stuttgarter Innenstadt: Auf dem Weihnachtsmarkt steht ein Mann und isst ein Schweinehalsbrötchen. Er zieht sein Handy aus der Tasche, ruft Otto an. „Ja, ich bin’s. Ich wollte nur schnell fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch wünschen.“ Ob er wohl weiß, dass er den Anschein macht, als ob er genervt eine Liste mit Bekannten und Freunden abarbeitet? Seine Frau steht schmatzend daneben. Otto möchte mit ihr sprechen. Ihr Mann hält ihr das Handy ans Ohr. „Ich versteh dich ganz schlecht“, sagt sie und ihre Stirn versteckt sich hinter Falten. „Ja, ebenso. Ja... Ja... Fröhliches Fest“, stottert sie. (...) „Fröhliche Weihnachten“, wünscht ein verdächtig ungestresster Mann im vollen Brustton der Überzeugung der Dame hinter der Kasse. „Wenn es nur schon so weit wäre“, stöhnt diese leise und kümmert sich um den nächsten Kunden. Der größte Luxus ist es, nicht hetzen zu müssen. Doch auf den Straßen, wimmelt es von verzweifelten Menschen (...). Und wer nicht aufpasst, wird von gedankenversunkenen Rollstuhlfahrerschieberinnen einfach gerammt. Oder von blinden Orgeldrehern und flötespielenden Kindern taub musiziert, weil die alle 15 Meter stehen und sich ihre Klänge zu einem hochexplosiven Gemisch zusammentun.
Es war der 22. Dezember 2006, als ich das schrieb. Warum ich damals in der Stadt war, weiß ich nicht mehr genau. Vermutlich war ich auf der Suche nach Last-Minute-Geschenken, wie jedes Jahr. Oder nach meiner Last-Minute- Weihnachtsstimmung, wie jedes Jahr. Doch dieses Mal scheint alles anders zu sein. Ich bin infiziert. In wenigen Stunden beginnt der Bazar in meiner alten Schule, traditionell am "ersten Adventssamstag". Neben mir liegen leckere (von Mama) selbst gebackene Plätzchen und als vorhin Dean Martin Winter Wonderland sang, habe ich das Radio instinktiv lauter gestellt. Ja, ich habe sogar Lust, die Weihnachts-CD von den Roten Rosen anzuhören, die M. zu seiner Einstimmung missbraucht hat. Auf der Straße fallen mir traurige Clowns auf, die Oh Tannenbaum mit dem Akkordeon interpretieren und aus den Fenstern über dem öligen Hinterhof, in dem mein KFZ-Mechaniker haust, höre ich Saxophon-Töne, die ankündigen, dass Santa Claus in town comes. Vorhin bin ich durch die Stadt gelaufen, nur kurz, und habe gelächelt. Und die Menschen lächelten zurück. Wahnsinn, wie die Gemütslage die Wahrnehmung verändert. So vorübergehend. Es lebe die gelebte Psychologie!

Montag, 26. November 2007

Warten auf K.

Ich warte auf K. K. ist Fußballtrainer und bei K.'s Mannschaft läuft es zurzeit nicht so gut, um nicht zu sagen miserabel. Deswegen habe ich ihn vorhin mal angerufen, um ihn "Wie geht's? Wie steht's?" zu fragen, natürlich etwas sensibler. Dann hat mir K. interessante Dinge erzählt, die ich anschließend niederschrieb und die er jetzt nur noch authorisieren muss. Aber er liest wohl noch.

Wie unschwer zu erkennen ist: ich arbeite wieder, soweit es der Stundenplan erlaubt. Weil meine Wohnung sechs Quadratmeter größer ist als angenommen und mein Vermieter vorsichtig und höflich nachgefragt hat, ob ich ihm dafür auch etwas mehr Geld überweisen möchte. Und da Geld prinzipiell ein rares Gut ist, erst recht wenn man in großen Wohnungen wohnt, arbeite ich wieder. Parallel dazu habe ich festgestellt, dass ich neben dem Passivsport auch mein aktives Sportleben auffrischen sollte. An das letzte Mal Schwitzen kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern. Nun will ich mir eine Semestermarke für den Unisport besorgen.

Fragt sich nur: Wo soll da noch Zeit für Frau(en) sein?

Dienstag, 20. November 2007

Das Unaufhaltbare kommt angeschlichen

Jedes Mal, wenn ich erstmals im Jahr George Michael über das vergangene Jahr flennen höre, weil er irgendwann gegen Mitte/Ende Dezember einer/m anderen sein Herz gegeben und am nächsten Morgen auf dem verschmutzten Küchenboden neben dem Glühweinfleck gefunden hat, werde ich aggressiv. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch längst die ersten Lebkuchen gegessen (ohne aggressiv geworden zu sein). Aber spätestens mit George Michael ist klar: der Erretter wird bald wieder geboren.

Gestern nun schickte mich M. von MM (aka Moviemaze) in eine PV (aka Pressevorführung) und ich bekam den herbstlichen Film Fred Claus (zu deutsch: Die Gebrüder Weihnachtsmann) zu sehen, der - oh Überraschung - so ein klein wenig konventionell war. Und nach rund 90 Minuten, in denen der zynische Beobachter in mir mit dem für den Versuch der Objektivität verantwortlichen Körperteil (Leber? Milz? - keine Ahnung!) gekämpft hatte, sah ich das Glänzen in den Augen einiger Kinder, die ihre Geschenke öffneten. Und da war ich doch tatsächlich so ein wenig ergriffen. Es ist unverkennbar: die Geschäftsmaschinerie läuft an.



Ach: und Winterreifen habe ich jetzt auch drauf.

Samstag, 17. November 2007

Abnehmen in Berlin

Ich habe mich heute gefragt, warum die "Gehälter" von Bundestagsabgeordneten eigentlich Diäten heißen? Ich überlegte mir, ob dieses Wort wohl suggerieren solle, dass die Volksvertreter für ihre ehrenhafte Tätigkeit auf eine hohe Entschädigung verzichten. Die sich niemals irrende Wikipedia hat mich nun freundlicherweise darüber aufgeklärt, dass Diäten wohl aus dem mittellateinischen kommt (dieta) und Tageslohn bedeutet. Nun ja, die Abgeordneten haben heute ihre Tageslöhner um rund zehn Prozent erhöht, auf 7668 Euro monatlich. Davon kann man sich schon ganz schön den Bauch vollschlagen. Aber wir wollen ja nicht polemisch werden...

Donnerstag, 15. November 2007

Dinge, an denen man merkt, dass...

...dein Bauleiter nun wirklich völlig durch den Wind ist: Du kommst um 21 Uhr von der Uni, fühlst dich wie besoffen (und das als Seltenheitstrinker), weil du fünf Minuten lang vergeblich versuchst, Schlüssel und Schloss miteinander zu verkuppeln, rufst deinen Vermieter an und erfährst, dass der Bauleiter die Schlösser ausgewechselt und versprochen habe, die Schlüssel morgen vorbeizubringen.


(Ein Glück gibt es Hintertüren. Und diesmal hat Herr S. tatsächlich eine leider wirklich tragische Ausrede für seine Geistesabwesenheit.)

Samstag, 10. November 2007

Das Leben und wie es einmal war

"Die Idee entstand auf einer der Geburtstagsfeiern, auf denen sie sich in den letzten Jahren wiedersahen und wieder mal die ganze Nacht durchtranken: Warum diesem ganzen schrillen nervtötenden Geschrei um "68" und seinen schrecklichen Folgen nicht mal eine ordentliche Abrechnung entgegensetzen? Sie - das sind 16 Jugendliche aus Bremen, die damals die Welt verändern wollten, und nun als Staatsanwälte, Werber, Ärzte, Journalisten, Hochschullehrer, Manager und Politiker ein bürgerliches Leben führen, das anders ist, als sie je gedacht haben.(…) Entstanden ist daraus das Buch "I can’t get no", erschienen bei Kiepenheuer & Witsch."

einestages, das höchst interessante neueste Ressort von Spiegel-Online, bietet fast 40 Jahre nach dem Aufstand lebenslustiger revoltierender Jugendlicher einen Einblick in das Seelenleben einiger Erwachsengewordener. In zwei Folgen erfährt man so manches über die Auseinandersetzung mit früheren Idealen (Folge 1) oder die problematischen Beziehungen zu Vätern und Müttern, die stumme oder starrsinnige Zeugen einer dunklen Ära geworden waren (Folge 2). Und heute? Ja heute sind aus den Jugendlichen Staatsanwälte geworden. Staatsanwälte oder Manager, Werber und Politiker. Wäre es ungerecht zu behaupten, dass sie Profiteure und Verteidiger eines Systems geworden sind, das sie zu bekämpfen planten? Was würden wohl die ergrauten Menschen in den Baumwollpullovern, die heute noch in den Ortsgruppen von Amnesty International dem angestaubten Traum von einer veränderten Gesellschaft nachgehen, wohl dazu sagen? Und warum liegt der gelangweilten Jugend von heute trotz der so offen und vielfach zu Tage tretenden Ungerechtigkeiten von heute die Revolte so fern? Reicht es aus, wenn das Handy funktioniert? Es scheint, als veränderten die Menschen die Gesellschaft schlichtweg nicht. Die Gesellschaft verändert die Menschen.

Mittwoch, 7. November 2007

Gipfelstürmer

Ich lebe in einem Haus, gebaut auf dem Gipfel der Inkompetenz, ausgeliefert den zittrigen Fingern und unstrukturierten Gedanken eines unbeschreiblich planlosen Dilettanten. Und erkenne mit Schrecken: Nicht ich bin Deutschland, der Bauleiter ist es.

Fallen lassen in Portugal

„Von tausend Erfahrungen, die wir machen, bringen wir höchstens eine zur Sprache, und auch diese bloß zufällig und ohne die Sorgfalt, die sie verdiente. Unter all den stummen Erfahrungen sind diejenigen verborgen, die unserem Leben unbemerkt seine Form, seine Färbung und seine Melodie geben. Wenn wir uns dann, als Archäologen der Seele, diesen Schätzen zuwenden, entdecken wir, wie verwirrend sie sind. Der Gegenstand der Betrachtung weigert sich stillzustehen, die Worte gleiten am Erlebten ab, und am Ende stehen lauter Widersprüche auf dem Papier.“

„Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?“

Meine Welt braucht gute Bücher, genauso wie sie gute Filme braucht. Sie sind meine Sucht. Sie schenken mir Momente der Geborgenheit, wenn die Welt der anderen, in der ich lebe, einmal mehr erdrückend wird. Sie sind meine Rückzugsmöglichkeit, ein Hort, in den ich mich flüchte, um für kurze Zeit zu vergessen, einzutauchen. In gute Bücher muss man sich verlieren können. Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier, Philosophie-Professor an der Freien Universität Berlin, ist ein gutes Buch. Ein Roman, in dem ein angesehener Berner Lehrer der alten Sprachen – von den Schülern geliebt, von den Kollegen gefürchtet – durch die bahnbrechende Erfahrung einer flüchtigen Begegnung kurzerhand die Gleise seines eintönigen Lebens verlässt, um sich auf die Spuren eines portugiesischen Phantoms zu machen: Eines Arztes und Autors, dem es gegeben war, mit seiner ungeheuerlichen Präsenz für die Menschen seines Umfelds zur Sonne zu werden, um die sich alle anderen drehten. Die Gedanken, die dieser Amadeu Inácio de Almeida Prado zu Papier gebracht hat, strotzen nur so vor einer unendlichen Wut, einer inneren Verzweiflung und dem unbändigen Willen, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Ich selbst verfalle zuweilen in eine Ohnmacht der Sprachlosigkeit, wenn ich versuche, mir die Facetten des Lebens zu vergewärtigen, wenn ich versuche, ihrer Herr zu werden. Nur im Schreiben gelingt es mir, einen Hauch von Ordnung in mein Gedankenwirrwarr zu bringen. Die Vertrauten meines Lebens haben mir häufig mein Schweigen vorgeworfen. Vielleicht, nein: ziemlich sicher, ist einfach die Angst, die Dinge nicht so ausdrücken zu können, wie sie klingen sollten, mitverantwortlich dafür, dass ich still bleibe. Aber dieser Wunsch nach Erfüllung ist allgegenwärtig, diese Sehnsucht nach dem Fühlen und Staunen, diese irrationale Trauer über vergangene Tage, Monate, Jahre, die im Nachhinein so scheinen, als seien sie nicht hinreichend gelebt worden. Diese Sicht der Dinge bestimmt meinen Blick auf die Welt, sie bestimmt mein Handeln. Sie ist mit dafür verantwortlich, dass ich die Flucht nach vorne ins Studium gewählt habe, das selbstgemachte Nest verließ. Sie wird mich weiter begleiten.

Aber für den Moment ist es schön gewesen, sich einfach nur verloren zu haben, in einem guten Buch.

Montag, 29. Oktober 2007

Neuigkeiten

Kurz mal alle auf den neuesten Stand gebracht:

*Hab Rückenschmerzen (und das, obwohl nicht ich, sondern Schwesterherz heute 29+4 wird)
*Hab Schnupfen
*Hab ne Wohnung, die sich Wohnung nennen darf - auch wenn ihr immer noch eine Tür, eine Duschwand und ein Telefonanschluss fehlt
*Sitze in einem Bibliotheksraum mit acht Jung-Psychologinnen (und sie reden!)
*Hab noch viel vor heute (deswegen weg jetzt)

Montag, 22. Oktober 2007

Dreckschleudern, reloaded

War nichts mit dem Lottogewinn. Trotzdem scheint die Pechsträhne beendet. Habe im Sprachenzentrum gerade den letztenletzten Platz im Italienisch-Kurs für Anfänger ergattert. Damit verdoppelt sich meine Semesterwochenstundenzahl nahezu. Und beim Orthopäden war ich auch, wegen der Rückenschmerzen. Bekam eine Spritze und ein Korsett (aka Bandage). Die gute Nachricht: die Schmerzen sind nicht mehr da, wo sie waren. Die schlechte: sie sind jetzt woanders. Aber warum sollte mich das aus der Ruhe bringen? Die Sonne scheint!

Samstag, 20. Oktober 2007

Dreckschleudern

Ich habe von einer Bekannten aus Long Beach, California (erwartete Höchsttemperatur für morgen: 29 Grad Celsius) eine lustige Mail bekommen, die mich vermuten lässt, dass die Dame hellseherische Fähigkeiten besitzen muss. Es ging um einen Esel, der in einen Brunnen fiel und aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr geborgen, sondern begraben werden sollte. Das beschloss zumindest der Farmer, dem das Tier gehörte - und schüttete mit Freunden Dreck auf das Vieh. Der alte Esel allerdings hörte nach kurzer Zeit auf zu flennen, schüttete die Erde von sich und kletterte mit jeder Schaufel Dreck einen Schritt weiter Richtung Brunnenrand. In der Geschichte rächte sich der Esel nach dem Wiedererlangen seiner Freiheit am herzlosen Farmer mit einem Biss in den Arsch, worauf dieser an einer Blutvergiftung starb. Aber die Moral von der Geschichte lautet: Wenn jemand Dreck auf dich wirft, schüttel ihn ab.

Ich bin in letzter Zeit verschiedenen Dreckschleudern begegnet. Scheint fast so, als wären Lieblingwochen in Wü, um noch mal auf Tag zehn im Tagebuch eines Umzugskünstlers (zwei Posts weiter unten) zu verweisen. Ob den Bauleiter wohl der Ehrgeiz packen würde, wenn er wüsste, welche Konkurrenz er hat? Ein Prof scheint mein Interesse für seinen Fachbereich derart kalt zu lassen, dass er mir unmissverständlich klar machte, ich hätte als Nebenfachstudent in seinen nur für Hauptfachstudenten geeigneten Veranstaltungen nichts zu suchen und solle mich gefälligst fern halten. Ein anderer Dozent, Protokollant meiner mündlichen Zwischenprüfung, gähnte die erste Hälfte der morgendlichen Prüfung genüsslich durch und blühte dann auf, als ich Fragen aus seinem Fachbereich nicht mehr beantworten konnte, weil ich mich fragte, was zum Teufel diese Menschen mir gegenüber eigentlich von mir hören wollen. Ja, es ist schon ein Genuss, wenn man Studenten die Überlegenheit spüren lassen kann, die einem ein Doktortitel verleiht. Andere grauhaarige Männer kaufen sich als Kompensation einen Porsche...

Nun ja, die Prüfung habe ich trotzdem bestanden, aufgrund der ordentlichen Leistung in jenem Bereich, den der Protokollant vergähnt hat. Ansonsten aber scheine ich zurzeit eine kleine Pechsträhne zu haben. Der Plan, bei meiner Wochenendflucht in die Heimat die Rückenschmerzen im Exil zu lassen, ist mal gründlich missglückt. Auf der Bundesstraße (wenige Meter nach einem Blitzer) wurden mein Auto und ich von einer plötzlichen Fontäne Wasser (das, unnötig zu erwähnen, ziemlich dreckig war) überrascht, die irgendwo aus dem Nichts des Seitenstreifens gespritzt kam (R. hielt mich für endgültig abgedriftet). Und der Losentscheid zur Zulassung für den Italienisch-Sprachkurs an der Uni weigerte sich ebenfalls erfolgreich, mit mir etwas zu tun haben zu wollen.

Aber vielleicht gewinne ich ja heute Abend im Lotto.

Dienstag, 16. Oktober 2007

Dinge, an denen man merkt, dass...

... es nur noch 70 Tage bis Weihnachten sind: Es ist der 15. Oktober und Bayern 3 bringt ein Weihnachtslied!

Dienstag, 9. Oktober 2007

Umziehen für Fortgeschrittene, Akt vier

Tagebuch eines Umzugskünstlers

Tag zehn:
In den meisten Internetforen gibt es ein nettes Feature. Sobald jemand böse Schimpfworte benutzt und veröffentlichen will, wird das Schimpfwort entweder geixt oder automatisch durch ein harmloses Wörtchen ersetzt. Aber ich schweife ab. Ich habe mit dem Bauleiter gesprochen, der für die Sonnenblume auf der himmelblauen Baustelle verantwortlich ist. Und er ist ein Liebling. Von den Versprechungen, die seine Firma meinem Vermieter schon vor Monaten gemacht hat, will der Freund nichts mehr wissen. Das bedeutet zwar keinen Stillstand (immerhin: ich darf jetzt in meiner Wohnung auf die Toilette), aber weitere Verzögerungen. Ich habe genug. Das Tagebuch eines Umzugskünstlers schließt an dieser Stelle mit einer Bitte. Mögen seine Leser dem Verfasser morgen von 8 bis 9 Uhr die Daumen drücken. Dann steht die mündliche Zwischenprüfung an. Über das Ende des Umzugskünstlerdaseins wird zu gegebener Stunde informiert. Kommt Zeit, kommt Rat.

Tag neun:
Nichts neues, aber freut euch schon auf morgen!

Tage sechs bis acht (Wochenende):

Jetzt haben sie es geschafft: Ich habe Angst, nachts auf die Toilette im Erdgeschoss zu gehen. "Wohnst du jetzt schon hier?", fragte mich der Fließenleger am Freitag. Auf meiner Aggressivitätsskale befand ich mich recht weit oben, aber weit genug unten, um mich beherrschen zu können. "Hast du keine Angst?", fragte er weiter und berichtete von nächtliche Besuchern, die man morgens erst von der Baustelle verscheuchen müsse. Ein klein wenig beruhigend ist, dass ich meine Wohnung mittlerweile abschließen kann. In der ersten Nacht nach dieser Mitteilung entschied ich mich dennoch für den doppelten Schutz - und schloss auch die Tür zum Flur ab. M., der stets bemühte Vorarbeiter, hat angekündigt, den Bauleiter vorbeizuschicken. Und den Tipp gegeben, ihm gegenüber ruhig ein bisschen energischer aufzutreten. Mal sehen, ob es dann klappt mit Heizung, Fußbodenleisten, Gegensprechanlage, eigener Toilette, Dusche, warmen Wasser (...) Ich habe derweil einen neuen Sport für mich entdeckt. Ich jage Hermes-Postboten durch die Stadt und frage sie, ob sie nicht ein Päckchen für mich haben. Der Briefkasten fehlt immer noch.


Tag fünf:
Irgendwann mittags stelle ich fest, keinen Strom mehr zu haben. Wird schon wieder wiederkommen, denke ich mir, und schlafe meinen Mittagsschlaf der Gerechten weiter. Um 18.40 Uhr ist das Haus verlassen - und mein Strom trotzdem noch nicht da. Also fahre ich in die bis tief in die Nacht geöffnete Teilbib der Juristen, plaudere mit Platon und genieße die Rückenansicht von fleißigen Juristinnen. Und sonst? Sonst nichts! Status Quo! Hmpf!

Tag vier:
Was mir aufgefallen ist: ich muss immer erst dann auf die Toilette, wenn mir bewusst wird, dass ich kurz zuvor in der Uni-Bib oder am Orte der Nahrungsaufnahme hätte gehen können. Dann ist aber zu spät, und ich muss ins dunkle Erdgeschoss. Positives: Mittlerweile habe ich fließendes Wasser. Negatives: eine eigene Toilette gibt’s trotzdem nicht. Der Installateur hat falsche Teile geliefert bekommen. Beruhigendes: Der nächste Versuch kommt bestimmt.

Tag drei:
Keine besonderen Fortschritte, keine besonderen Vorkommnisse. Das heißt, eines: spätabends, ich war gerade von meinem Besuch auf der Toilette im dunklen Erdgeschoss zurückgekehrt, hörte ich Geräusche im Haus, die ich zunächst ignorierte. Irgendwann schaute ich doch mal nach - und identifizierte den (noch ungefüllten) Kühlschrank als Schuldigen. Das Summen, Brummen, Gurgeln und Gurren, sagt die Bedienungsanleitung, gehört aber zu den normalen Geräuschen.

Tag zwei:
Wann beginnt Luxus? Mit Elektrizität und Licht? Oder erst mit der Kombination zwischen Elektrizität und fließendem Wasser? In dem Fall muss ich noch bis Mittwoch auf Luxus warten. Aber immerhin sehe ich mehr als gestern. Meine Schreibtischlampe brennt und über mir hängen Glühbirnen. Dumm nur, dass ich schon wieder für kleine Umzugskünstler müsste. Ob das Institut für Psychologie der Uni Wü wohl noch immer offen hat, jetzt um 21.40 Uhr? Das ist nur zwei Gehminuten von meiner Baustelle entfernt und hat eine nette Toilette. Das man die Dinge auch immer erst zu schätzen weiß, wenn man sie nicht mehr hat. Aber ich glaube, ich bleibe doch lieber im Bett. Es ist etwas frostig, so ganz ohne Heizung. "Am Donnerstag bekommen sie die", hat mein Vermieter C. versprochen und dann besänftigend gesagt: „Es ist ja noch nicht allzu kalt draußen zurzeit.“ Der Monteur, der mir zu dem Zeitpunkt gerade eine schicke Küche bastelte und in der Nähe stand, konnte nicht mehr vor Lachen. Wenn Blicke töten könnten…

Tag eins:
Der Verpackungsmüll empfängt mich an der offenen Eingangstür. Es ist zwei Stunden vor Dunkelwerden, deswegen umarme ich das Licht, bevor es weg ist. Strom gibt’s heute noch nicht. Das Abendessen kommt vom Pizzaservice und wird am Ort des Zubereitens verschlungen. Das Licht dort ist zu verführerisch. Danach begleite ich D. und M. ins Kino. „Und du willst wirklich in diesem großen dunklen Haus ganz alleine schlafen? Ich hätte eine Riesenangst“, sagt D. nach dem Film. Ich bedanke mich für seine Offenheit und verkrieche mich zwischen Schlafsack und Bettdecke, die ich mit Hilfe meines Handydisplays gefunden habe. War kein großes Problem. Meine Wohnungstür ist schließlich unabschließbar. Musik will ich nicht zu laut hören, damit sie niemand im Haus hört und sich angezogen fühlt. „Ich hätte sie laut gemacht, damit ich niemandem im Haus höre“, verrät mir D. Niemanden bzw. nichts. Keine Geräusche. Ich schlummere gut.

Sonntag, 7. Oktober 2007

Umziehen für Fortgeschrittene, Akt drei

Es ist soweit: Morgen gehts in mein ganz persönliches Dschungelcamp. Die Herausforderung: Leben auf einer Baustelle, ohne Strom und fließend Wasser, zumindest mal für ein, zwei Tage. Bis zum 16. Oktober, so die Ansage von Vermieter C., der ich irgendwie nicht zu 100 Prozent Glauben schenken will, soll alles geregelt sein. Neun Tage noch - vielleicht mit jede Menge Stoff für Akt vier. Aber zunächst: die spektakulären Erlebnisse von 20 sensationellen Stunden.

Der Plan war schlicht, aber durchdacht. Freitagabend Fahrt nach Würzburg, mit einem Zwischenstop in Ludwigsburg zwecks Möbelkauf, Aufbau des Bettes in der Wohnung mit R. und D., Weiterarbeit bis zur Lustlosigkeit, Einweihung des Bettes mit R. allein, Entgegennahme der Küche am nächsten Morgen und entspanntes Zuendeschrauben der in der Nacht ignorierten Möbelstücke. Doch schon der Besuch beim schwedischen Möbelhaus mit den vier gelben Buchstaben auf blauen Grund, dessen Name hier aus Gründen der Rücksicht nicht genannt werden soll, machte mir einen Strich durch die Rechnung - und das nicht, weil die Schlangen an den grob geschätzt 18 Kassen jeweils gefühlte 50 Meter lang waren. Der Grund hieß Allak, von dessen Verfügbarkeit ich mich im Internet vergewissert hatte, im Laden aber vor einem leeren Regal stand. Das darauf resultierende Drama soll in Form eines kleinen Theaterstücks präsentiert werden:

B. (das bin ich): Hallo, ich hätte gerne einen Allak-Stuhl. Laut Homepage haben sie den.
Mitarbeiter 1: Haben sie in den Regalen daneben geschaut. Da müsste einer sein.
B.: Da ist keiner.
R.: Haben sie vielleicht in ihrem Lager noch einen?
M1 (mitfühlend): Nein, tut uns leid. Wenn da keiner mehr ist, haben wir auch keinen mehr. Morgen müsste eine neue Lieferung kommen.

(B. wendet sich frustriert ab, R. legt die Stirn in Falten und kontrolliert noch einmal das leere Regal und die Stockwerke darüber.)
R. (zu B.): Ha, wusste ich es doch. Schau mal da oben, im dritten Stock. Da hast du deinen Allak. Gleiche Produktnummer.
B. (zu M1): Wir haben Allak gefunden. Da oben, im dritten Stock (zeigt zu Allak). Bitte lassen sie ihn für uns herunterholen.
M1: Das geht nicht. Verbot von der Berufsgenossenschaft. Dürfen wir nicht während der Öffnungszeiten.
R.: Dann warten wir eben. Sie schließen ja eh in einer halben Stunde.
M1 (kleinlaut): Das geht nicht.
R.: Hören sie. Wir lassen uns nicht von ihnen anlügen. Sie sagen, sie hätten keinen Stuhl mehr da und kurz darauf finden wir ihn. Wir sind extra aus Würzburg hergefahren und das schon zum zweiten Mal. Wir wollen jetzt diesen Stuhl.
M1 (greift zum Telefonhörer): Ja, hallo, hier ist M1. Hier sind zwei Kunden, die kommen extra aus Würzburg und wollen einen Allak. Dazu bräuchten wir aber einen Gabelstabler... Ja... Ja, ich verstehe (legt auf). Wir dürfen das nicht machen.
B.: Ich habe vorhin im Internet geschaut. Da stand, sie hätten den Stuhl vorrätig. Nur deswegen bin ich hergefahren.
M1: Tut mir leid. Da war wohl jemand schneller als sie.

(B. verdreht die Augen, geht mit R. ab und versteckt sich im Billy-Regal-Gang. B. zückt sein Handy, ruft D. an): Ich will mal was testen.
D.: Hallo B., was gibts?
B.: Hi D., geh mal bitte ins Internet und schau, ob **** in Ludwigsburg Allak vorrätig hat.
(Die Zeit verstreicht. Internetprobleme verzögern die Sache. B. wird zunehmend nervöser)
D.: Jetzt hab ichs. Ja, der Stuhl ist da.
B.: Prima, danke. Ich melde mich später noch mal.

B. (geht zu M2, wild entschlossen und leicht gereizt): Ich will mit ihrem Vorgesetzten sprechen.
M2: Warum?
(B. erklärt die Situation)
M2 (gelangweilt): Sie können sich gerne beschweren. Da vorne ist unser Kundenservice.

(B. und R. marschieren wild entschlossen in Richtung Kundenservice, warten zuerst und stellen dann fest, dass sie eine Nummer hätten ziehen sollen. Auf der Anzeige erscheint "Es warten vier Kunden vor ihnen". Aus den Lautsprechern tönt die Ansage, dass der Laden jetzt schließe.)
R. (zu B.): Darf ich mit rechtlichen Schritten drohen? Bitte, bitte.
B.: Ja, ja, okay.
(B. und R. warten, bis ihre Nummer dran ist, gehen dann an den Schalter)
Kundenbetreuerin (freundlich): Was kann ich für sie tun?
(R. erklärt die Situation in ruhigem Ton, B. steht schweigend daneben)
K.: Um welches Produkt handelt es sich und wann haben sie sich im Internet darüber informiert, dass es vorrätig ist.
B. (unverständlich, mit geplatztem Kragen): Vor 15 Minuten
K. (erschrocken): Wie bitte?
B. (mit gefletschten Zähnen, aber verständlicher): Vor 15 Minuten
(K. greift zum Hörer, spricht mit einer wichtigen Person, nickt)
K.: Ja, ich weiß. Ich habe auch seit zehn Minuten Feierabend. Ja... Okay... Ja, ich geb das so weiter. (wendet sich B. und R. zu): Okay, sobald alle Kunden aus der Halle verschwunden sind, kriegen sie ihren Stuhl.
R.: Vielen Dank.
B.: Danke.

Tatsächlich wurde kurz darauf gegabelstapelt, überwacht von der Filialleiterin oder sonst einem hohen Schichttier. Und B. konnte hinterher sogar darüber lachen, dass das "Guter Kunde, böser Kunde"-Spiel so fein funktioniert hat. Nicht mehr gelacht hat er dann, als er auf der A81 die letzte Ausfahrt rechts liegen ließ und kurz darauf auf der A3 vor Würzburg vier Kilometer vor seiner Ausfahrt mitten in einen 20-Kilometer-Stau geriet. Oder als er eine Dreiviertelstunde später in der Wohnung feststellte, dass der Strom offenbar "ausgegangen" war. Oder als er tags darauf nach knapp vier Stunden Schlaf auf D.s Matratze im "Gästezimmer" wieder aufwachte, weil er aufwachen musste, weil die Küche bald kommen sollte. (Sie kam, das nur am Rande, übrigens zwei Stunden später). Oder als die Bedienungsanleitung für sein neues Bett von fünf verschiedenen Typen sprach, aber nirgendwo verriet, welcher Typ der seinige war. Oder als die fleißigen R. und D. (denen er auf ewig für ihre handwerkliche Hilfe dankbar sein wird) vergaßen, Bettbeine anzuschrauben.

Aber was sind das schon für Probleme, wenn man sich auf das immer näher rückende Leben in einer schicken eigenen Bude vorfreut? Den fortgeschrittenen Umzieher kann nichts mehr schocken.

Montag, 1. Oktober 2007

Umziehen für Fortgeschrittene, Akt zwei

Es regnete an diesem Samstagmorgen in Würzburg und ich war nicht sonderlich gut gelaunt. Ich hatte die Nacht größtenteils auf dem Boden verbracht, weil meine Kissen lieber über den Boden rutschen wollten, als mir einen Schlafplatz zu bieten. Mein Bett hatte ich für die letzte Nacht im Wohnheim R. überlassen. Der würde seinen Rücken noch brauchen. Da stand ich nun also vor dem Haus von Vermieter C., der gerade unter der Dusche stand und trotzdem nur unwesentlich nasser wurde als ich. Ich wartete auf den Schlüssel für das Haus, in dem sich meine Wohnung aufhält, starrte auf ein Schild mit der Aufschrift "Betteln und Hausieren verboten", sah zwei skeptisch dreinblickende Hausbewohner an mir vorbeischleichen und wartete. Wartete solange, bis C. endlich kam und mir den Schlüssel gab, Sekunden bevor R. einen Strafzettel wegen Parkens in der zweiten Reihe zu bekommen drohte.

In der Wohnung angekommen wurden mir zwei Dinge auf den ersten Blick bewusst. Erstens: das Haus wird in diesem Jahr sicher nicht mehr fertig renoviert. Zweitens: meine Wohnung diesen Monat ebenfalls nicht (zur Klarstellung: es war noch September). Die Steckdosen fehlten. Konsequenz: der Aufbau der Möbel fiel von vornherein flach. Es wurde nur geschleppt. 26 Mal liefen R. und ich innerhalb der nächsten Stunden die zwei Stockwerke rauf und runter, dann waren sämtliche Umzugskartons und alle Möbel in der Wohnung platziert. Zwischendurch hatten wir lediglich 250 Kilometer fahren müssen, von Würzburg nach Bietigheim-Bissingen bei Ludwigsburg (bei Stuttgart) und wieder zurück. In Bi-Bi, bei Möbel Hofmeister, hatten wir tags zuvor die Hälfte meiner Möbel stehen lassen. Der Sprinter, den mein Vater fürs Wochenende einem Geschäftskollegen aus Oberboihingen bei Wendlingen (bei Esslingen (bei Stuttgart, und trotzdem noch 60 Kilometer von Bietigheim-Bissingen entfernt)) abgeschwatzt hatte, hatte sich bei genauer In-Augenscheinnahme dummerweise als ein Vito entpuppt. Und der kleine Bruder vom Sprinter ist irgendwie nicht ganz so belastungsfähig.

Der Aufbau der Möbel ist nun also aufs kommende Wochenende verschoben. Bis dahin, so versprach C., als R. und ich zur Schlüsselrückübergabe am Tisch des Vermieters saßen, soll die Wohnung Türen, ein komplettes Bad und - ganz wichtig - Steckdosen haben. Sprich: fertiggestellt sein, freilich mal abgesehen von der Küche und dem warmen Wasser, die beide erst später einziehen (siehe Akt eins). Dann faselte C. noch etwas davon, dass er die von Makler M. vermittelte (und, nebenbei gesagt, vertraglich festgelegte) Vereinbarung zur Übernahme der Küche nach meinem Auszug nicht mehr ganz so gut findet und darauf hofft, dass wir uns da anders einig werden. Womit ich ihn vermutlich herbe enttäuschen werde. Aber damit möchte ich ihn nicht belasten, solange mein Auszug nicht ansteht.

Noch immer fasziniert vom couragierten Einsatz des Vermieters für den eigenen Geldbeutel fuhren R. und ich in Würzburg-Heidingsfeld auf die A3, die wir in Würzburg-Kist (eine Ausfahrt und rund sechs Kilometer westlich) wieder verließen - rund eine Stunde später. Die dortigen Brückenabrissarbeiten samt Vollsperrung ermöglichten es uns, ausführlich über den Tag zu debattieren. Rund drei Stunden später war der falsche Sprinter wieder bei seinem richtigen Besitzer und R. daheim bei sich im Bett. Er muss sich ausruhen. Nächsten Donnerstag beginnt Akt drei.

Umziehen für Fortgeschrittene, Akt eins

Das Neue Schloss in Stuttgart ist ein schöner Ort, vor dem in der Vergangenheit so manches rauschende Fest gefeiert wurde. Im Kleinen bei der Turn-WM, im Großen bei der Fußball-WM und am letzten Bundesligaspieltag der vergangenen Saison. Die Erbauung allerdings hat dann doch etwas länger gedauert als vermutet, mehr als 60 Jahre, um genau zu sein. Vielleicht heißt es auch deswegen "My home is my castle". My Castle soll ja nun die nette neue Wohnung sein, für die ich mich vor nicht allzu langer Zeit entschieden habe. Die anfänglichen Zweifel sie betreffend waren dann auch schnell verflogen. Es dauerte nicht lange, da hatte die Vorfreude Besitz von mir ergriffen. Ich kaufte Möbel, fand mit der tatkräftigen Hilfe von Mom und R. schicke und preiswerte Angebote und die neue Küche stand kurz vor dem Einbau. Es war nicht tragisch, dass der ursprünglich angedachte Einzugstermin (1. September) nicht eingehalten werden konnte. Zum 22. September klappte es zwar auch nicht, aber mit Ende September konnte ich ja auch noch leben. Und ich hatte ja die feste Zusage von Makler M., der als ständiger Vermittler zwischen mir und Vermieter C. auftrat, dass meine Küche am Donnerstag (27. September) eingebaut werden könne. "Gar kein Problem, das klappt schon", hatte M. gesagt. Und ich hatte der spöttischen Aussage von meinem Würzburger Statthalter (und baldigem Ex-Nachbar) M. keine Beachtung geschenkt, dass Makler grundsätzliche solche beruhigende Dinge sagen - entgegen allen Gesetzen der Realität.

Nun ja, das Gespräch mit Vermieter C. zwei Tage vor dem Kücheneinbau brachte mich der Wahrheit näher: "Wieso Donnerstag? Mir hat man gesagt, die Küche käme am Freitag", sagte mir C., kurz nachdem er mir mitgeteilt hatte, dass ich mit warmen Wasser vor dem 16. Oktober leider nicht rechnen könne. "Aber ich kann doch zum 1. Oktober einziehen?", fragte ich ihn, nachdem ich den Montagetermin für die Küche um 10 Tage nach hinten verschoben hatte. C. stöhnte. "Oh, das wird knapp", antwortete er - und versprach mir doch, Druck auf seine Bauarbeiter auszuüben, damit zumindest das Gröbste fertiggestellt sei. Irgendwie auch gut so, denn die Möbel warteten auf ihre Abholung und das Wohnheimzimmer darauf, für den Nachmieter vorbereitet zu werden. Ich war nervös, aber flüchtete mich in Optimismus. "Wird schon alles geklappt haben", dachte ich mir, schnappte mir Umzugshelfer R. und machte mich am vergangenen Freitag auf den Weg...

Freitag, 7. September 2007

Versteckspiel mit Gespenstern

Überheblich grinsend begrüßte mich der Herbst, als ich gestern Abend die Redaktion verließ und mich auf den Weg zum Auto begab. Wie ungemütlich können 40 Sekunden eigentlich sein? Das ist kein Wetter für Aktivitäten im Freien. Das ist ein Wetter, um sich daheim unter einer Bettdecke zu verstecken und in die Welt von Ally McBeal einzutauchen (dazu in Kürze mehr). Heute Morgen war der Herbst dann immer noch da. Und eigentlich hätte ich Haus und Decke nicht verlassen, hätte ich nicht diesen besonderen Termin gehabt. Im Atelier im Bollwerk, eines von zwei Stuttgarter Arthouse-Kinos, wurde der Film Nichts als Gespenster der Kritikerriege vorgestellt. Es war meine zweite Pressevorführung, nachdem ich mir am 24. September 2004 für die Stuttgarter Zeitung Head in the Clouds angetan hatte. Und im Kino, bei diesen warmen Bildern von der Wüste Nevadas, dem Strand Jamaicas, ja selbst vom "Sommer" in Island, war der Herbst sofort vergessen, zumindest für zwei Stunden. Das Problem war nur: ich musste irgendwann wieder raus, um nach Haus(e) zu kommen, zurück zu meiner Bettdecke.

Die Rezension gibt es demnächst bei Moviemaze.

Montag, 3. September 2007

Filzballfieber

Es gab eine Zeit, da saß Deutschland vor dem Fernseher und hat Menschen - meistens zwei, gelegentlich auch vier - dabei zugesehen, wie sie sich kleine gelbe Filzbälle entgegen geprügelt haben. Wobei: geprügelt wurde damals noch nicht so wie heute. Tennis war ein anderes Spiel, als Boris Becker zum ersten Mal Wimbledon gewann. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, vielleicht trübt die Erinnerung. Aber eines ist sicher: etwas war anders. Als das deutsche Davis-Cup-Team 1988 mit Niki Pilic als Coach im Finale gegen Schweden gewann, war ich sieben Jahre alt und seit ein, zwei Jahren selbst Tennisspieler. Fortan nannte ich mich in den vielen Fünf-Satz-Duellen mit M. Charly Steeb. Mein spanischer Kumpel war, ganz nationalstolz, meistens Sergi Brugera. Und wir fühlten uns so groß.

Heute ist Tennis ein Zeitvertreib, der von mir zuletzt zu wenig vertrieben wird, weil die Zeit fehlt. Und auch sonst ist, wie erwähnt, einiges anders geworden. In den vergangenen Jahren gab es kaum Anlässe, vor dem Fernseher zu sitzen und Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich
kleine gelbe Filzbälle entgegen prügeln. Die Identifikationspunkte sind nicht mehr da, die Deutschen hecheln in der Weltrangliste den anderen häufig hinterher, sind verletzungsanfällig, nicht stark genug. Aber ab und zu fühlt es sich wieder an wie früher. Und dann wächst die Lust, selbst einmal wieder zum Racket zu greifen, ins Unermessliche. Was der junge Philipp Kohlschreiber und der aufblühende Tommy Hass in diesen Tagen bei den US-Open in New York zeigen, lässt das Herz eines jeden Tennisfans höher schlagen. Und schneller. Mit Schlägen, die sie irgendwo gefunden haben müssen, aber nicht auf dieser Erde. Mit couragierten Auftritten, die einem einfach nur die volle Sympathie und den vollen Respekt abgewinnen müssen. Man sitzt wieder vor dem Fernseher, geht mit dem Oberkörper mit, zittert und zappelt, drückt die Daumen, leidet, jubelt, schüttelt fassungslos den Kopf.

Es spielt keine Rolle, dass Kohlschreiber in der Nacht zum Montag irgendwann gegen 3.46 Uhr gegen den Spanier Moya verlor, weil er zuvor seine vielen Breakchancen nicht hatte nutzen können. Es ist auch egal, wie das Spiel zwischen Haas und dem US-Amerikaner Blake ausgeht, bei dem gerade der Tie-Break im entscheidenden fünften Satz beginnt. Für solche TV-Erlebnisse ist man nur dankbar.

Freitag, 31. August 2007

Cinema Paradiso

Ich zitiere mal ganz dreist aus einem der Artikel, die ich kürzlich veröffentlicht habe.
Das abendliche Leben in Giancaldo, einem kleinen sizilianischen Nest, spielt sich im Cinema Paradiso ab. Dort verprassen die Dorfkinder das Geld, das ihnen ihre Mama gab, weil sie eigentlich Milch kaufen sollten. Dort lachen Alt und Jung über Charly Chaplin, dort teilen sie Stofftaschentücher, wenn ihnen ein trauriger Film die Tränen in die Augen treibt. Und dort arbeitet der grimmige, aber gutherzige Alfredo, Meister der Magie - Filmvorführer. "Du freust dich, wenn die Leute lachen. Du glaubst, dass du sie zum Lachen gebracht hast", verrät er dem kleinen Toto, der so gerne so wäre wie er.
Kinos wie das Cinema Paradiso gibt es heutzutage nicht mehr viele. Wir leben in einer Multiplex-Gesellschaft, in der der Zauber des Kinos häufig zu einem berieselnden Konsum degradiert wird. Kino ist dort nicht mehr ein Ort der Träume, ein Zufluchtsort vor der rauhen Realität. Aber es gibt sie durchaus noch, die kleinen sympathischen Kinos, in denen nicht alles perfekt sein muss, um schön zu sein. Von Würzburg aus führt eine Straße zwischen Weinbergen und dem stolzen Main nach Ochsenfurt und natürlich auch weiter. Aber wer würde weiter fahren wollen, wenn er in Ochsenfurt ist, einem dieser schnuckeligen Orte, in dem die Straßen noch so klein sind, dass höchstens ein Auto durchpasst, in dem die Menschen noch barfuß durch die Altstadt laufen, in dem sich das Casablanca befindet, Kino und Kneipe, wo es noch eine Empore im einzigen Saal gibt, wo sich die Regentschaft der digitalen Welt noch nicht durchgesetzt zu haben scheint, wo Jazzmusik einen auf den folgenden Film einstimmt.

Kino kann so schön sein.

Dienstag, 28. August 2007

Zivildienst am Ort ohne Worte

Aus meinem alten Blog, veröffentlicht am 18. Juli 2006, 18.48 Uhr:
Idyllische Hölle

Kein Wölkchen am babyblauen Himmel, die Sonne strahlt tapfer und ergiebig und der Wind streift sanft Gesichter und Bäume. Fast könnte man glauben, man sei an einem Ort des Glücks und der Idylle, doch diese Idylle ist die Hölle - und die Feuersbrunst bedrückt einen noch immer, obwohl sie schon seit mehr als 60 Jahren als gelöscht gilt. Und an der Tür steht "Jedem das Seine", von innen, damit man es auch lesen kann, als "Bewohner" dieser Idylle.

Man befindet sich in Buchenwald, auf dem Ettersberg nahe Weimar, in der Gedenkstätte Buchenwald, in einem ehemaligen Konzentrationslager, in dem die Nazis willkürlich Menschen zu Unmenschen degradiert haben, im Kampf der Arier für das Gerechte. Und später die Russen auf einer Reinigungstour durch die sowjetische Besatzungszone ähnliche Greueltaten begingen, auf ihrem Kampf nach Gerechtigkeit. Trauer und Wut überkommt einen. Trauer, weil dieses unglaubliche Leid von politischen Gefangenen und Juden an jeder Ecke zu spüren ist, in den kleinen Zellen, in denen aufsässige Insassen an den Füßen aufgehängt wurden bis sie starben. In den Genickschussanlagen, in denen Kriegsgefangene in einem Moment starben, in dem sie annahmen, ihre Körpergröße werde gerade gemessen. Oder im Krematorium, dessen Schornstein Überlieferungen zufolge stets rauchte. Trauer, tiefe Trauer.

Aber auch Wut. Wut darüber, dass keiner etwas gewusst haben wollte von Buchenwald, von Dachau, von Auschwitz. Dort, auf dem Ettersberg, auf dem Platz, auf dem die Gefangenen morgens und abends zum Appell hatten antreten müssen, konnte ein Blick auf Weimar erhascht werden. Doch in der Stadt, so heißt es, wussten die Menschen nichts von den Geschehnissen, die in ihrer direkten Umgebung stattfanden. Warum ist es so, dass Menschen nicht aufstehen und kämpfen, wenn ihnen die Ungerechtigkeit förmlich ins Gesicht springt? Warum stehen Menschen schweigend daneben und schließen die Augen? Warum belegen wissenschaftliche Studien, dass Menschen einem Hilfsbedürftigen weniger helfen, wenn viele Menschen daneben stehen und die Hände in die Hosentaschen stecken?

Die Hoffnungslosigkeit, die einen in Buchenwald noch heute an jeder Ecke überlegen grinsend grüßt, lässt einen niedergeschmettert zurück.


Ich habe soeben den Film Am Ende kommen Touristen gesehen über einen jungen, anfangs emotionslos-distanzierten Deutschen, der seinen Zivildienst in Auschwitz macht, weil er die Stelle in Amsterdam nicht bekommen hat. Sensibel und zurückhaltend erzählt der Regisseur Robert Thalheim, der selbst als Zivi in Auschwitz war, von einem Ort der Hilflosigkeit, an dem die Vergangenheit niemals eine Gegenwart zulassen wird. Und ich musste wieder an Buchenwald denken...



Samstag, 25. August 2007

Die Folgen der Höflichkeit

Interviews mit meiner Beteiligung laufen normalerweise gesittet ab. Recht distanziert, weil ein zu persönliches Verhältnis zum Gegenüber unprofessionell ist. Und ungesund. Zumindest gelegentlich. Wenn man sich zum Beispiel mit dem Spielleiter eines griechischen Fußball-Neu-Landesligisten (sechste Liga) in dessen Kneipe trifft - als passionierter Nicht-Trinker. Zum Interview nun hatte T. einen Teller Gemüse (treue Leser wissen was jetzt kommt: böses Zeugs also) und eine Flasche Ouzo bereitgestellt. "Du trinkst doch einen mit?", hat er gefragt, mich von Anfang an duzend, wobei die Frage eher eine Feststellung als eine Frage war. Und weil ich nicht unhöflich sein wollte, nickte ich freundlich, war aber nicht darauf vorbereitet, dass T. mir konsequent nachschenkte.

Interview mit meiner Beteiligung dauern normalerweise eine halbe Stunde, höchstens mal eine Stunde oder etwas mehr. Bei T. saß ich knapp zwei Stunden. Am Ende hatte ich zwar nette Zitate ("Wir Griechen sind kämpferisch, aber überheblich"), aber auch einen leichten Schädel, so als passionierter Seltenheits-Trinker. Ich weiß nicht, ob es letztlich fünf oder doch sechs Ouzo waren, die ich im Laufe der Zeit gekippt hatte. Ich weiß nur, dass es viele waren. Und dass ich daheim auf dem Sofa für knapp zwei Stunden extrem gut drauf war. Danach ging ich ins Bett. Und schlief einen Schlaf der Gerechten.

Ich mag Griechen.

Dienstag, 14. August 2007

Ferien in der Vergangenheit

Zweieinhalb Wochen seit dem letzten Post. Bin überrascht dass überhaupt noch jemand vorbeischaut. Es gibt nicht viel zu erzählen von diesen Tagen. Oder zu viel. Semesterferien in Stuttgart sind keine Ferien, weil die Ketten der Vergangenheit die Gunst der Stunde sofort nutzen, um mich in ihre Gewalt zu bringen. Arbeiten für drei Zeitungen gleichzeitig, Treffen mit alten Freunden, familiäre Verantwortlichkeiten, dazu die Forderungen der Gegenwart, die nicht einfach links liegen gelassen werden will, nur weil ich mal für eine Weile in der Vergangenheit vorbeischaue - diese, zum Teil natürlich erfreulichen Dinge, lassen nicht viel Zeit und Raum zum Erholen. Es ist erschreckend, wie sehr sich das neue Leben in Würzburg vom alten in Stuttgart unterscheidet, wie schnell ich aber auch wechsle, sobald ich vom einen in das andere fahre. Es ist immer schön, in die Heimat zurückzukehren. Und ist es immer schön, sie wieder zu verlassen. Jedes Mal erfahre ich aufs Neue, was ich an der Zeit zwischen 2000 und 2005 so geschätzt habe. Und jedes Mal erfahre ich aufs Neue, warum es eine phantastische Idee war, sich gegen Unkenrufer durchzusetzen und diese Zeit zur Vergangenheit zu erklären. Rund zwei Wochen noch. Dann lasse ich die Vergangenheit wieder einmal hinter mir. Bis zum nächsten Mal.

Donnerstag, 26. Juli 2007

Die Liebe in Zeiten des Terrors

Der Schmerz sitzt so tief. Tiefer noch als die Angst, als die Panik, dass es wieder passieren könnte. Nein, man möchte diesen Begriff nicht mal in den Mund nehmen. Dieses Datum - der 11. September - das jedem Amerikaner einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Deswegen spricht der Zahnarzt Alan Johnson (Don Cheadle) in Mike Binders Film Die Liebe in mir auch ganz lapidar von einem Flugzeugunglück, als er der Psychologin Angela Oakhurst (Liv Tyler) erzählt, warum sein alter College-Kumpel Charlie Fineman (Adam Sandler) dringend Hilfe braucht. Fineman hat bei diesem Unglück, dieser Katastrophe, die alle emotionalen Ketten sprengte, seine Familie verloren: seine Frau und seine drei jungen Töchter. Seitdem tappst er leeren Blickes durch sein Leben, immer geschützt durch ein paar Kopfhörer und die Musik, die auf Wunsch alles übertönt, was Fineman gefährlich werden kann. Alles, was ihn erinnern könnte. Alles, was dafür sorgen könnte, dass der tief vergrabene Schmerz zum Vorschein kommt und zu Ende bringt, was er begonnen hat: die Zerstörung eines Menschen.

Fineman, brillant dargestellt von Adam Sandler, der nach Punch Drunk Love ein zweites Mal beweist, dass er nicht nur seichte Komödienrollen spielen kann, lebt als Eremit, abgeschottet von seiner Vermieterin und seinem Finanzberater Bryan Sugarman (der Regisseur und Drehbuchautor Mike Binder selbst). Johnson trifft ihn zufällig auf der Straße und ist geschockt über den Zustand des alten Freunds, der sich nicht einmal mehr an ihn erinnert. Langsam gelingt Johnson eine Annäherung. Und der Zahnarzt, der von seinem Job und seinem Eheleben zusehends abgestumpft und frustriert ist, sieht es als neue Lebensaufgabe an, dem wiedergewonnenen Kumpel zu helfen. Das jedoch ist ein langer Weg, denn Fineman reagiert höchst impulsiv, sobald ihm seine Vergangenheit zu nahe kommt. Das müssen auch Finemans Schwiegereltern erfahren, die verzweifelt aber vergebens versuchen, Kontakt zum einzig verbliebenen Familienmitglied aufzunehmen. Auch ihnen ist der Schmerz anzusehen, den dieses Unglück angerichtet hat. Doch am Ende eines herausragenden Filmes, in dem sich herzzerreißend rührende Momente mit tragikomischen Elementen abwechseln, steht die Erkenntnis, dass man sich irgendwann dazu durchringen muss, sich seiner Vergangenheit zu stellen, um die Chance auf eine Zukunft zu haben.



Freitag, 20. Juli 2007

Vom Zorn, der Furcht - und Liverpool

An dieser und an anderer Stelle ist schon mehrfach die Rede vom Lieblingsdoc gewesen, dem Dozenten für Politische Theorie. Gestern nun, zu Beginn des letzten Prüfungskolloquiums des Semesters, schockte er uns mit der Ankündigung, dass - wenn nicht noch ein Wunder geschieht - er im Herbst nicht mehr am Institut lehren wird. Er stellte eine Kiste Bier in die Mitte, ermunterte zum Zugreifen, trank selbst drei Flaschen und beglückte uns ein letztes (?) Mal mit seiner Kunst. Den Kommilitonen B. nannte er einen klerikalen Faschisten ("Jetzt kann ich es ja sagen" - B. hat darüber gelacht), eine feurige Abschiedsrede, wie man sie sich gewünscht, wie man sie erwartet hatte, unterließ er. Dazu war der Schock wohl noch zu frisch. Er bat uns, ihn einfach gehen zu lassen. Und dann erinnerte er, der so leidenschaftliche Nürnberg-Fan, mit seinen letzten Worten, einem Zitat des Kollegen, Freundes und Sportreporters T. K., an das Champions-League-Finale 2005 zwischen Milan und Liverpool: "Es steht erst 0:3 - und noch ist Zeit." Die Hoffnung ist noch nicht verloren. Aber Wunder gibt es nicht jeden Tag.

Die Welt frisst ihre Kritiker. Das gilt besonders für Bayern, jenes Land, in dem man ohne das richtige Parteibuch und die richtige Konfession höchstens ein Don Quijote werden kann: ein Kämpfer gegen Windmühlen. Der Doc hatte sich für die neu ausgeschriebene Stelle beworben, die dem von der empirisch-analystisch geprägten Wissenschaftswelt eher herablassend betrachteten Lehrstuhl für Politische Theorie (und Philosophie) neues Leben hätte einhauchen können. Die Institutsleitung hatte die Bewerbung begrüßt, der Doc wäre für die Stelle prädestiniert gewesen, lehrt er doch seit einigen Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter genau auf diesem Gebiet. Nun steht wohl fest, dass er die Stelle nicht bekommen wird. Er zieht seine Konsequenzen daraus - und geht ein halbes Jahr vor dem eigentlichen Ende seines Vertrags. Mit gebrochenem Herzen, aber aufrecht, typisch für ihn.

Natürlich ist der Doc kein völlig unumstrittener Mensch und Dozent. Seine gelegentliche Polemik, seine unbedingte Affinität gegenüber Horkheimers und Adornos Kritischer Theorie, sein teilweise kumpelhaftes Verhältnis zu bestimmten Studenten - das alles kann auch kritisch gesehen werden. Aber was ihm anzurechnen ist: er wird nicht müde darin, seine Studenten dazu aufzumuntern, ein kritisches Gespür für die Zustände des Landes und der Gesellschaft zu entwickeln. Es ist ihm wichtig, die jungen Menschen zu einer Reflexion zu führen. Es darf vor allem bei der Geisteswissenschaft nicht allein um das bloße Beschreiben des Existierenden gehen. Gerne hat er Friedrich Nietzsche zitiert (aus: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne): "In irgend einem abgelegnen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Thiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmüthigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte, aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Athemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Thiere mussten sterben." Am Institut ist er in diesem Semester bereits der zweite ansatzweise kritische Dozent, der geht. Der unsägliche Bachelor naht mit großen Schritten und verheißt nichts Gutes. Die Zukunft ist ungewiss, sieht aber momentan nicht allzu rosig aus. Und sein Nachfolger wird erst einmal einen schweren Stand haben.

Aber wer wird denn die Hoffnung verlieren? In Anlehnung an Ulrike Meinhof, die Ikone der RAF, hat der Doc einmal seine Hoffnung im Kampf gegen real existierende Ungerechtigkeiten innerhalb einer Gesellschaft kund getan: "Möge der Zorn irgendwann so gewaltig werden, dass er die Furcht verdrängt."

Dienstag, 17. Juli 2007

Zeichen - und wie man sie interpretiert

Es war der Herbst 2005. Und ein einziger Blick hat alles verändert. Wohnheim, achter Stock, Würzburgs Festung im Visier. Und da wusste ich: meine Wohnungssuche war beendet, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Ich, der Eremit, hatte ursprünglich alleine leben wollen - fern von der Heimat, angekommen im Studium, geflohen von den Verantwortlichkeiten der Gegenwart. D. hatte mich überredet. "Geh ins Wohnheim, wenigstens für zwei Semester. Um soziale Kontakte aufzubauen." Ich hatte mich gegen den Gedanken gewehrt. Nicht gegen jenen von den sozialen Kontakten. Gegen den Wohnheimsgedanken. Versoffene Mitbewohner, versiffte Küchen, eklige Duschen - die Kraft von Vorurteilen ist manchmal unbegrenzt. In dem Fall war sie es nicht. Das schnelle Angebot, ins Wohnheim einzuziehen, ließ ich nicht lange im Raum stehen. Ich sagte zu.

Dass ich am Ende nicht das Zimmer im achten Stock bekam, sondern eines im ersten, zudem mit knapp elf Quadratmetern doch etwas kleiner, störte meine besorgte Mutter mehr als mich. Ich war angekommen, in meiner spartanischen Zelle, wie ich sie liebevoll nannte. Und ich fühlte mich wohl. Zwei Jahre lang. Aber irgendwann stört einen Menschen, der alle paar Jahre nach Veränderung schreit, um der Routine und der Langeweile zu entkommen, die Eingeengtheit dann doch. Also kündigte ich - und begab mich auf Wohnungssuche. Diesmal wirklich.

Die speziellen Wohnungssuchcharaktereigenschaften, die ich im Laufe der drei Wochen an mir entdeckt habe, waren nicht hilfreich. Eine chronische Ungeduld kombiniert mit einem schweren Fall von Entscheidungsunfähigkeit raubten mir diverse Nerven - und der kurzfristig angemietete Berater und Bald-Ex-Nachbar M. hatte eine Menge Arbeit. Die Aufbruchstimmung, die unbändige Neugierde, die kindliche Vorfreude - waren alle schnell dahin. Zumal es irgendwie ungeschickt anfing. Asiate M. kam vor unserem Wohnungsbesichtigungstermin ein dringender privater Termin dazwischen, was er uns per Zettelchen an der Türklingel mitteilte. Kurz vor dem stattdessen anberaumten Ersatztermin war die Wohnung vergeben. Wenn das mal kein schlechtes Zeichen war...

Die zweite (erste besichtigte) Wohnung befand sich in einer Toplage. Doch Boden und Bad waren äußerst unfein. Trotzdem wollte ich nach dem Desaster der dritten (zweiten) Wohnung bei der ersten (zweiten - ist das eigentlich verwirrend?) zuschlagen, gefangen in der irren (und im Nachhinein betrachtet nicht ganz so nachvollziehbaren) Angst, in den verbliebenen drei Monaten bis zum Auszugstermin nichts mehr zu finden. M. musste ganze Überzeugungsarbeit leisten, und vier Besichtigungen später war die Premierenwohnung vergessen.

Nun begab es sich aber, dass mich D. und E. aus Hd. bzw. LB. besuchten und wir in einer schnuckeligen Osteria durch Steuer- und Oliven-in-Martini-Diskussionen mit dem Makler M. (warum heißen eigentlich alle M.? Ist das ein Zeichen?) ins Gespäch kamen, und der mir bald darauf ein Angebot machte, das man eigentlich nicht ablehnen konnte. 52-Quadratmeter-Wohnung, verteilt auf zwei Zimmer, perfekt gelegen in einem denkmalgeschützten generalrestaurierten Altbauhaus für 390 Euro warm plus 60 Euro Nebenkosten. Diese Begegnung konnte kein Zufall sein. Der Besichtigungstermin mit M. und M. (der Asiate war nicht dabei) kurz darauf bestätigte den guten Eindruck. Und trotzdem: ich war nicht überzeugt. Wozu braucht ein einzelner Mensch (Student) eine 52-Quadratmeter-Wohnung? Sollte ich wirklich so viel investieren? Und würde ich mich in einer solch großen und unüblichen Wohnung wohlfühlen? Schwere Fragen, die einen Tag später aber verflogen. Ich hatte mich in eine andere Wohnung verliebt und beschloss, das Schicksal entscheiden zu lassen. Würde es mir die Wunschwohnung schenken, wäre ich glücklich. Würde es typischerweise seine Zustimmung verweigern - dazu muss man wissen: dem Schicksal ist langweilig, deswegen quält es gerne Menschen - würde ich die Altbauwohnung nehmen. Nun ja, das Schicksal hatte wohl einen miesen Tag.

Das jedoch heißt nicht, dass die Suche damit beendet war. So einfach wollte ich es der Altbauwohnung dann doch nicht machen. Eine weitere Besichtigung verlief unbefriedigend und schließlich, heute, erblickte ich ein Zeichen. Mir war eine Wohnung ins Auge gefallen, die sich - was ich nicht wusste - im selben Haus befindet wie die zweite (erste) Wohnung. Und sie hatte das gleiche Bad. Der Kreis schloss sich.

Morgen sage ich M., dass ich seine Wohnung nehmen werde. Das Schicksal will es so.

Samstag, 14. Juli 2007

Das Leben und Harry Potter

Harry Potter ist erwachsen geworden. Und er küsst! Mädchen! Diese seltsamen Geschöpfe, die so kompliziert sind, dass Hermine beim Versuch, Ron und ihm dieses Mysterium zu erklären, hoffnungslos scheitern muss. Ja. Harry Potter ist erwachsen geworden. Gut, er ist immer noch nur 15 Jahre alt, auch wenn man das dem zu schnell alternden Daniel Radcliffe nicht mehr abnimmt. Aber für sein junges Alter ist er enorm kämpferisch. Der teuflische Voldemort, Verzeihung: the one who should not be named, kann sich jedenfalls schon mal winterlich anziehen. Unweigerlich steuern wir auf das große, spektakuläre Finale zu. Zu sehen: 2010 in den Kinos. Zu lesen: ab nächster Woche im gut sortierten Buchhandel, geschickterweise nur kurze Zeit nach Harrys Eintritt in die Welt der Leinwandmagie mit dem Orden des Phoenix, Band fünf von sieben.




Und während der Hype um die Romane in all den Jahren erstaunlich konsequent an mir vorbeimarschiert ist, haben mich die Filme doch stets in ihren Bann gezogen. Ich habe Harry erwachsen werden sehen, während ich mich "erwachsen" werden sah. Und die Erinnerung an Filmabende mit Harry, Hermine und anderen bezaubernden Personen kehrt immer wieder zurück, für etwas mehr als zwei Stunden. Filmserien sind etwas wunderbares.

Sonntag, 1. Juli 2007

Mein Computer, das unbekannte Wesen

Als Geisteswissenschaftler sind mir handwerkliche Dinge grundsätzlich suspekt. Das war eigentlich schon immer so. Der Sinn für Technik geht mir völlig ab. Ich bin ein Theoretiker, in jeder Hinsicht. Herzerfrischendes verbindet mich zum Beispiel mit meinem Computer, dem unbekannten Wesen. Besser gesagt: mit den diversen Computern, die mir in meinem Leben so begegnet sind. Noch besser gesagt: die ich glaubte zu beherrschen, von denen ich glaubte, sie würden für mich arbeiten - nicht gegen mich. Nur mit dem Auto - R. und andere werden das bestätigen können - habe ich mehr Desaster erlebt. Seit dem Wochenende ist die unendliche Geschichte Mein Computer und ich um ein spannendes Kapitel reicher. Angriff auf den Server - mit dieser Nachricht schockte uns am Donnerstag der Wohnheimleiter. Ein Computer sei angegriffen worden, man möge doch bitte einen Virencheck machen. In mir stieg ein schrecklicher Verdacht hoch. Das wird doch wohl nicht...? Zumal: meine CPU-Auslastung hatte zuletzt immer wieder seltsame Zuckungen in Verbindung mit einem Skript von sich gegeben, das ich mir für die Zwischenprüfung in Word angelegt hatte. Die ersten Tests mit negativem Suchergebnis (sprich: positiv für mich) verschiedener Programme wollten mich nicht beruhigen, also suchte ich Hilfe in einem einschlägigen Computer-Internetforum. Doch auch da war man ratlos. Warum ausgerechnet Word und auch nur in diesem einzigen Dokument so viel Probleme mache? Keiner konnte das erklären.

Bis ich selbst auf des Rätsels Lösung kam. Mein Computer (konkret: Word, denn alle anderen Schreibprogramme zicken nicht so sehr) mag den Begriff Institutionalisierungsstufen nach Keohane nicht. Jene Institutionalisierungsstufen nach Keohane, ein Teil der Theorien aus den Internationalen Beziehungen der Politikwissenschaften, eingegeben in ein beliebiges Word-Dokument, lassen die CPU-Auslastung prompt in astronomische Höhen schießen. An Arbeiten ist dann nicht mehr zu denken, alles ist gewissermaßen blockiert. Gelingt es mir aber, einen beliebigen Buchstaben aus einem der drei Wörter zu löschen, beruhigt sich das Programm wieder. Und alles ist normal.

Ich habe beschlossen,
Institutionalisierungsstufen (Keohane) zu schreiben. Man muss auch mal nachgeben können.

Montag, 25. Juni 2007

Meine Professorin, die coole Socke

Aus der Tatsache, dass Professoren (Dozenten) ja irgendwie auch nur Menschen sind, folgt: Es gibt solche und solche. Meine Professorin G. (ausnahmsweise der Vorname, weil die Initialen des Nachnamens uniweit bekannt sind) ist eine solche. Körperlich recht klein, fachlich unbestritten ist sie die gefürchtete und unter bestimmten Studenten und Dozenten nicht immer ganz unumstrittene Regentin ihres Lehrstuhls, ja im Prinzip des gesamten (mit den Soziapathen, Verzeihung: Sozialforschern zusammengelegten) Instituts. Der Lieblingsdoc kann von Auseinandersetzungen mit G. ein Liedchen singen. G. doziert in diesem Semester vor einem immer gut gefüllten Hörsaal über die Vereinten Nationen und bietet die Folien dazu im Internet zum Download an. Jedoch: seit 11. Juni gab es keine Aktualisierung mehr. Was macht der gemeine Student unter diesen Umständen? Er ärgert sich zuerst, entscheidet dann aber, sich in Geduld zu üben, ein bisschen zu warten. Man will ja nicht gleich fordernd werden, frech geradezu, nur weil sich für einige Tage nichts tut. Nicht gegenüber G., vor deren Gewalt so mancher zittert. Irgendwann ist es dann aber an der Zeit, doch vorsichtig nachzufragen. Also wird eine E-Mail formuliert, natürlich jedes Wort in die Waagschale gelegt. Das Ziel: den Wunsch, endlich auf die Folien zugreifen zu können, griffig formulieren, ohne dabei unverschämt zu wirken. Kein leichtes Unterfangen.

Die E-Mail hat den Server zu Feierabendstunde gerade mal seit 25 Minuten verlassen, da ist die Antwort schon im Posteingangsfach:

"Sie sind der 1. und einzige, der nach dem download frägt. Das wollte ich nur mal testen!"

Mehr gibts nicht. Keine Anrede, kein Gruß. Aber immerhin: eine klare Aussage. Meine Professorin ist schon eine coole Socke.

Jetzt warte ich nur noch darauf, auf die Folien auch wirklich zugreifen zu können...

Mittwoch, 13. Juni 2007

Der Staffelstab des Lebens

Ich bin vor gut einer Stunde aus dem Bett gestiegen. Ausufernder Mittagsschlaf nennt man das wohl. Nach meinem Nachtschwärmertun in Kombination mit einem "Früh"-Aufstehenmüssen der vergangenen beiden Tage kein Wunder. Verpasst habe ich nicht viel. Sowieso befinde ich mich wie in Fesseln. Bis morgen. Bis ich es geschafft habe, rund 50 mehr oder weniger desinteressierte Menschen über lothringische Klosterreformen im zehnten Jahrhundert und Platons Staat zu informieren. Die Gedanken an die Referate lähmen mich, nicht wegen der Angst vorm Reden - auch wenn ich gerne mal schweige - sondern weil sie ihre Ellenbogen ausfahrend in meinem Kopf herumprollen und eine Beschäftigung mit anderen essentiellen Dingen unmöglich machen. Nun gut: ich kann noch essen und noch schlafen. Aber ich kann nicht lernen. Dabei beginnt in 955,5 Stunden meine Zwischenprüfung. Zum Glück ist sie geduldig. Und ölt schon mal ihre Ellenbogen. Das Leben besteht nur aus Etappen.

Dienstag, 5. Juni 2007

Der stille Schrei des schlechten Gewissens

Mal schnell Join me von Him einlegen, Green Days Whatsername und Where is my mind von den Pixies folgen lassen, Kopfhörer aufgesetzt und auf laut gestellt. Kurze Pause im allgemeinen Trubel des Junis. Und letzterer Song passt sogar wie die Faust aufs Auge. Dienstage sind schon im Allgemeinen mit intellektuellen Herausforderungen vollgepackt, ist doch das Wissenschaftstheorie- und -methodenseminar plus Tutorium kein Kurs, den man mal so im Vorbeigehen bewältigt. Zumal der Lieblingsdozent im Nürnberger Pokalsiegertrikot gerne mit seinem beeindruckenden philosophischen Wissen verwirrt, während man selbst im Nebel der Unsicherheit zwischen (heute:) Kritischem (positivistischem/empirisch analytischem) Rationalismus und dem sozialphilosophischen Konzept der Kritischen Theoretiker Adorno, Horkheimer und Co. aus der Frankfurter Schule stochert. Dienstage wurden zudem für gewöhnlich mit einem Seminar zu politökonomischen Fragestellungen kapitalistischer Wirtschaftssysteme und mit einer bis 22 Uhr andauernden psychologischen Ring-Vorlesung versüßt, aber beides muss heute anderen Verpflichtungen weichen. So zum Beispiel der Auseinandersetzung mit einer mittelalterlichen Quelle zu dem ersten der beiden Referate, die am Donnerstag in einer Woche zu halten sind. Der Kampf zwischen Quelle und Trinker (Leser) wäre vielleicht nicht ganz so einseitig, wenn der Trinker (Leser) irgendwann mal Latein gelernt hätte. Hat er aber nicht. Interessiert aber keinen. Quelleninterpretation ist trotzdem Pflicht. Zum Glück gibt es im Wohnheim Menschen wie A. Die ist zwar krank (also vergrippt) und hat morgen ein Referat, mir aber trotzdem versprochen, sich das mal anzuschauen, was ich auf gut Glück aus den 40 Seiten rauskopiert habe, aus der die Quelle besteht. Wenn die hebräische Bedeutung meines (zweiten) Vornamens (gleichzeitig ungebrauchter Nennname) zutrifft, sind wenigstens zwei halbwegs verwendbare Sätze unter den zwei Seiten.

A. hat sich bis Freitag Zeit erbeten. Am Montag ist die Vorbesprechung für das Referat, doch schon am Donnerstag fahre ich zum Arbeiten nach Stuttgart und komme am Sonntagabend zurück. Ich werde auf mein Glück vertrauen müssen und hoffen, etwas positives im Briefkasten zu finden. Wenigstens wird die quälende Ungewissheit keine Chance bekommen, mich zu pisacken. Ich habe keine Zeit für sie. Da ist das zweite Referat (Platon!), da ist die Zwischenprüfung, da sind die Partys, auf denen ich nicht fehlen darf - und das ist kein bloßes unbedingt Hingehenwollen, sondern ein tatsächliches Müssen, das natürlich trotzdem nicht weniger Spaß bereiten wird.

Trotzdem: im Zwischenraum zwischen Vernunft und Unvernunft, zwischen einem Wochenende über den Büchern und einem bei R. sowie A./N. in Freiburg (war geil, ihr Bebeks!) fühlt es sich nur so lange angenehm an, solange man nicht an sein eigenes schlechtes Gewissen erinnert wird.

Montag, 28. Mai 2007

Flucht in Sofies Untiefen

Ich stecke fest. Sitze da an meinem Pfingstlernwochenende und komme nicht weiter, gelähmt von einer unsichtbaren Kraft. Sollte Demokratietheorien studieren, bin aber zurückgewichen vor der Dicke des Buches. Könnte ein dünneres Lehrwerk angehen, bin aber ermattet. Habe in den vergangenen Tagen schon einiges abgearbeitet und bin doch nicht zufrieden. Die Panik ist allgegenwärtig, hauptsächlich jene vor einer Prüfung, die noch knapp zwei Monate entfernt ist. Der paranoide Zwang zu glauben, ich müsse mehr tun, ich müsse mehr lesen, genauer lesen, sorgfältiger vorgehen, quält. Und dann sitze ich da, beim verzweifelten Versuch mich entweder neu zu motivieren oder eine Alternativbeschäftigung zu finden, blättere in alten Tagebuchaufzeichnungen, höre Terra Naomi (danke Anne!) oder Snow Patrol und beginne, Sinnfragen zu stellen. Jene Fragen, die einen innerlich an den Rande des Zerreißens bringen lassen, weil man das Gefühl hat, in jeder Minute seines Lebens etwas zu verpassen. Woher kommt diese widernatürliche Sehnsucht eigentlich, genusssüchtig durch die Zeit hetzen zu müssen?

Ich glaube, ich gehe jetzt ins Bett. Sofies Welt lesen. Die einzige philosophische Erfahrung, die ich heute noch machen möchte. Ach wie schön ist dieses Abtauchen.


Sonntag, 20. Mai 2007

Könige des Freudentaumels

Die Fotos lagern auf der Festplatte. Aber Fotos können den Wahnsinn dieses Erlebnisses nicht transportieren. Deswegen sind auch ein paar Videos dabei. Videos, die ich mir noch oft anschauen werde. Und dann werde ich wieder mittendrin sein. Mittendrin in dieser Menschenmenge, mittendrin unter den 70.000 auf dem Schlossplatz, mittendrin unter den 250.000 in der ganzen Stadt, mittendrin unter berauschten Patrioten, deren Glitzern in den Augen das Resultat von Freudentränen und purem Stolz sind. Weil diese Bilder, die in die Nation hinausgeschossen wurden, einfach nur ein wunderbares Bild von dieser Stadt und seinen Menschen transportieren können. Zwölf Stunden habe ich ausgeharrt, die Achterbahnfahrt der Gefühle während des Spiels nie realisiert, es nicht greifen, nicht begreifen können, was da passiert. Habe, als alles klar und doch nicht fassbar war, R. empfangen, der sich seinen verbotenen Weg auf den Platz geebnet hatte, durch den Absperrzaun durch, an der Security vorbei. Habe M. bedauert, weil er am selben Vorhaben scheiterte und von einem starken Gorilla wieder auf die andere Seite des Zauns getragen wurde. Habe auf die Mannschaft gewartet, Fanta 4 zugehört, die Schmerzen meiner Füße ignoriert. Habe wie ein erfreuter Schneekönig mitgejault, als zehntausende unter dem Kommando des bayerischen Anti-Sängers Markus Babbel dieses wunderbare Lied vergewaltigten, You never walk alone. Habe kopfschüttelnd auf der Freitreppe sitzend neue Kraft geschöpft, während WM-Erinnerung angesichts überwältigender Emotionen um einen herum wie graue Farbtöne verblassten.

Und allerspätestens während ich heute, am Tag danach, die sonnenüberströmte A81 gen Norden ins fränkische Exil entlangbretterte und die ewige Queen-Hymne von Gewinnern für Gewinner mit einem fetten Grinsen (seligem Lächeln?) im Gesicht über die Lautsprecher ertönen ließ, da war klar: das waren Momente für die Ewigkeit.

Deutscher Meister: VfB

Montag, 14. Mai 2007

Dinge, an denen man merkt, dass...

... man schon zu oft im Walmart eingekauft hat: Man packt wahllos Lebensmittel in den Einkaufswagen, fährt zu Kasse, grüßt die Kassiererin, die einen längst duzt, und sagt der verdutzten Dame bis auf vier Cent den Gesamtpreis voraus.

Es ist Zeit für eine Veränderung. Aus Walmart wird Real.

Sonntag, 13. Mai 2007

Das häßliche Gesicht der Großstadt

"Ach, irgendwie wäre es doch schön, mal wieder in einer kleineren süddeutschen Stadt zu wohnen", verriet mir L., als wir uns zum ersten Mal nach fünf Jahren in Berlin-Kreuzberg trafen. L. lebt seit sechs Jahren dort und in letzter Zeit habe sie den Berlin-Blues. Ich kann sie verstehen. Nicht etwa, weil ich die Hauptstadt einschüchternd fand, als ich vor rund einem Jahr zum ersten Mal mit einem Mietwagen über den Potsdamer Platz gefahren bin. Sondern weil diese Stadt einem wie keine andere vor Augen führt, wie zweigeteilt die deutsche Gesellschaft ist. Penner, Junkies, Alkoholiker - wer in Berlin U-Bahn fährt, dem müssen die euphorischen Aufschwunglobhudeleien deutscher Politiker wie blanker Hohn vorkommen. Man kann die Augen nicht davor verschließen, wie die Menschen in der Erniedrigung der eigenen Armut langsam verenden. In die Wut, die auf die Erkenntnis folgt, mischt sich traurige Hilflosigkeit. Und Scham.

Ich bin froh, wieder in Würzburg zu sein.

Donnerstag, 10. Mai 2007

Berlin, Berlin, ...

... ich bin grad in Berlin. Und deswegen auch so still. Aber ich werde mein Schweigen bald brechen. Versprochen.

Sonntag, 6. Mai 2007

Eine Spinne im Regen

Der Sommer hat begonnen. Am gestrigen Samstag. Interessanterweise am verregnetesten Tag der vergangenen fünf Wochen. Aber dort, wo der Sommer begann, gibt es keinen Regen, keine Sonne, keine Hitze. Nur Dunkelheit. Und eine große weiße Leinwand. Der Kinosommer hat begonnen.

Es ist Zeit für die großen Blockbuster der Saison. Fluch der Karibik III startet am 24. Mai, Oceans Thirteen am 7. Juni, Shrek der Dritte am 21. Juni, Stirb langsam 4.0 am 27. Juni, Harry Potter und der Orden des Phoenix am 12. Juli, Die Simpsons - Der Film am 26. Juli, Rush Hour III am 16. August, Das Bourne Ultimatum am 6. September. Für die nächsten Monate wird der Anspruch mal ein bisschen runtergekrempelt. Ab und zu muss auch mal plumpe Action, schlichte Unterhaltung, berauschendes Popcorn-Kino sein. Wobei: es bleibt nur zu hoffen, dass der Sommer nicht so wird wie sein erster Tag. Der war verregnet, äußerst verregnet. Spiderman III war ein Desaster. Unstimmigkeiten noch und nöcher, eine Story mit seltsam-anmutenden Wendungen, viel zu wirre Actionszenen und eine unerträglich kitschige Schlussviertelstunde. Aber wen interessiert schon das Wetter von gestern?


Donnerstag, 3. Mai 2007

Mittwoch, 2. Mai 2007

Die Leiden eines Nachtschwärmers

Das Klopfen an der Tür meines Wohnheimzimmers riss mich aus einem zufriedenen Schlaf. Es war M., mein Nachbar, der ein magenknurrendes Anliegen hatte: "Hast du Lust auf Frühstück", fragte er. "Klar doch", stotterte ich und war froh, dass das Stottern nicht sonderlich auffiel, weil es eben nur zwei Wörter zu stottern gab. Gleichzeitig versuchte ich, meine Orientierungslosigkeit von mir zu schütteln. "Wie viel Uhr ist es denn?" M. grinste: "Och", sagte er, "20 vor 3". 14.40 Uhr also, um das klarzustellen. Und damit war der halbe Tag der Arbeit auch schon rum.

In diesen späten April- und frühen Maitagen ist mein Schlafrhythmus mal wieder etwas aus den Fugen geraten. Die gestrige Nacht war die sechste in Folge, die mich nicht vor 3 Uhr ins Bett entließ. Zu sehr hatte mich der Kinobesuch (300 - dieser blutgeschwängerte comicbebilderte semihistorische Kriegsgewaltexzess) neugierig gemacht, um mich ohne Fakten- und Kritikenlektüre auf den bei jeder Bewegung knatternden Matrazenrost zu legen. Und eben dort angekommen wartete noch eine Versuchung auf mich, die mich zunächst nur anflehte, dann sirenenhaft säuselte und schließlich gnadenlos zupackte und nicht mehr losließ, nachdem sie mich in ihrer Gewalt hatte. Die Versuchung war ein Roman.

Der Tag, die Erkenntnis überkommt mich regelmäßig, sollte mehr als 24 Stunden haben. Alternativ wäre eine Zeitanhaltemaschine ganz nett. Und nein, Klick flimmerte bislang noch nicht vor meinen Augen. Genauso wie so viele andere Filme, die ich noch viel eher sehen müsste, um meinen cineastischen Ansprüchen gerecht zu werden. Doch mir fehlt die Zeit. Mir fällt es schon schwer, die Pflichtaufgaben so zu koordinieren, dass sie halbwegs erfüllt werden. Deswegen auch die Nachtschichten. Denn morgens bin ich wahrlich zu nichts zu gebrauchen.

Und so wird es wohl weitergehen. So werde ich auch diesen Monat wieder häufig nachts auf Socken durch den Wohnheimflur schleichen, weil ich um 20 vor 3 (nachts!) noch mal zum Kühlschrank will. Nur heute Nacht will ich dann längst schlummern, sollte ich dann längst schlummern, muss ich dann längst schlummern. Der Wecker wird morgen um 7.30 Uhr klingeln. Der gute Vorsatz ist da.

Montag, 30. April 2007

Die Einsamkeit verlassener Asphaltwüsten

Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts, ein kurzes Innehalten, aber noch keine Verwunderung, weil da nichts los ist, mitten in New York, am hellichten Tag. Der schwarze Ferrari mit seinem selbstbewussten Insassen biegt in eine schnurgerade Hauptverkehrsstraße ein. Noch immer: nichts. Kein Mensch auf der Straße, verlassene Autos stehen Spalier. Ein Blick auf die Armbanduhr. Es ist 9.05 Uhr, die Augen des Fahrers wandern, seine Sicherheit bröckelt. Vor lauter Unachtsamkeit überfährt er eine rote Ampel, was ohne Folgen bleibt, ist doch keiner da, der es gesehen haben könnte. Dann: der Time Square, flackernde Reklamelichter, ein paar Vögel, aber kein menschliches Wesen. Und da steigt David Aames aus, panisch, mit schwerem Atem. Und rennt. Rennt einfach nur. Rennt immer schneller, vorbei an Videowänden, bleibt schließlich stehen, breitet die Hände aus und schreit. Schreit - bis er aufwacht. Bis ihm die innere Stimme, die ihn aus dem Albtraum befreit, die magischen Worte zuflüstert: "Open your eyes".

Der Sonntagabend-Filmabend (nein, nicht Vanilla Sky, sondern Amores Perros) endete gegen halb 2 und ich machte mich auf einen rund 20minütigen Heimweg durch Würzburg, der schlafenden Stadt. Fünf Menschen, vier Autos, ein Motorrad, eine Katze und ein Eichhörnchen kreuzten in diesen 20 Minuten meinen Weg - eine Bilanz, so mager wie ein brasilianisches Topmodel.

Das erinnerte mich an Neujahr 2004, als R. und ich in einem spontanen Anfall von Abenteuersucht uns abends aufmachten, die schöne Stadt am Neckar unsicher zu machen und uns auf der heutigen Partymeile vorkamen, wie direkt in den Film 28 days later katapultiert, als Überlebende eines furchtbaren Virusangriffs auf die Menschheit. Die Partymeile, benannt nach Theodor Heuss (Ehre, wem Ehre gebührt) ist eine sechsspurige Verbindung zwischen dem Stuttgarter Rotebühlplatz und dem Hauptbahnhof. Wer sie überqueren will, muss auf eine rote Ampel warten oder Sprinterqualitäten beweisen. Nicht so in dieser Nacht, in der wir es uns auf dem Mittelstreifen gemütlich machten, den Kopf in den Himmel richteten, die Augen schlossen und die Hände von uns streckten, ähnlich wie Tim Robbins als der geflohene Andy Dufresne in Die Verurteilten, nur ohne Regen. Magische Momente.

Freitag, 27. April 2007

Die Nester der Vergangenheit

Das nimmersatte Gröhlen gut gelaunter Erstsemester-Zahnis drängt noch immer von der Dachterrasse herunter in den ersten Stock des Wohnheims. Da oben sitzen sie, mit viel Bier, Baguette und Bratwürstchen, lassen ab und zu ihren Blick schweifen auf dieses süße kleine Studentenstädtchen oder die stolze Festung, die des Nachts immer beleuchtet ist, und freuen sich, dass sie sind, wo sie sind. Angekommen im Studium, in einer Zeit, von der viele noch Jahrzehnte später sagen, sie sei die beste in ihres Lebens gewesen.

Kollege B. zum Beispiel. Ex-Kollege B., besser gesagt. "Ach, das Studium", sagt der immer, seufzt und bekommt einen verklärten Blick. Erst neulich wieder, beim Besuch in der Heimat, beim Besuch in der Redaktion, die in gewisser Weise eine Heimat in der Heimat war. Man vergisst nie, wo man groß geworden ist. Aber in die Freude der Rückkehr mischt sich ein leichtes Entsetzen. "Hier hat sich nichts geändert", sagt B. und scheint durch mein Auftreten frustriert, als erinnere er ihn an eine Art Stillstand in seinem Leben. Kollege G. gehe es zurzeit auch nicht gut. Er denke über eine mehrmonatige Auszeit nach, zwecks Klostergang oder Jakobswegwanderung. Und Redaktionsleiter C. fährt jetzt den Porsche seines Vaters.

Bei aller Freude über das Rendezvous mit der Vergangenheit. Es macht mir bewusst, wie richtig, wie wichtig die Entscheidung gewesen war, nach Jahren des permanenten beruflichen Aufstiegs in Stuttgart das selbstgemachte Nest zu verlassen und noch studieren zu gehen. Das Risiko eines Neuanfangs zu wagen. "Überleg dir das genau", hatte Mentor und bester Freund D. mich im Dezember 2004 noch gewarnt. "Vielleicht tun sich hier neue Perspektiven auf." Kurz darauf war auch er überzeugt. Ich ging meinen Weg. Ich ging. Und tauchte ein in eine neue Welt, deren Erfahrungen mich haben reifen lassen.

Und wenn ich heute zurückkehre, wenn ich heute Aufträge übernehme, aus alter Verbundenheit, aus Loyalitätsgründen, dann genieße ich jede Minute, jede Zeile. Denke mit einem Lächeln zurück an die Zeit, an das Lernen, an das Begreifen. Doch ich habe mein Nest verlassen. Und so ganz zurückkehren, das werde ich nie mehr.


Dienstag, 24. April 2007

Adrenalingeschwängerte Tage wie dieser

Rastlosigkeit ist ein Hauptgewinn. Das weiß jeder, der nach Tagen des Stresses in das "Urlaubsloch" fällt. Eine Horrorvorstellung: Endlich frei haben, endlich Zeit haben für die Dinge, für die man sonst keine Zeit hat. Endlich die Möglichkeit haben, daran zu arbeiten, Träume nicht mehr nur zu träumen, sondern zu leben. Irgendwann. Bald. Endlich Zeit haben für... - ach, ich geh' 'ne Runde fernsehen.

Ja, Rastlosigkeit ist ein Hauptgewinn. Das Adrenalin peitscht einen durch den Tag. Die Erinnerung an all die Dinge, die es zu erledigen gibt, machen einen verrückt. Aber am Abend weiß man wenigstens, was man alles getan hat, um am nächsten Tag nicht völlig unterzugehen. Dem Tag, an dem man irgendwann zwischen den zwei Vorlesungen und dem Pokerabend von Würzburg nach Fürth fahren muss, um drei schwäbische Torhüter zu interviewen, die ihr Glück im Frankenland gefunden haben - oder vielleicht noch suchen? Die Antwort wird mit Sicherheit in dem Artikel stehen, der am Freitag erscheinen soll und damit eventuell den Pokerabend zunichte macht, weil der Donnerstag bereits jetzt völlig überladen ist.

Ja, Rastlosigkeit ist ein Hauptgewinn. Weil sie einen die Müdigkeit vergessen lässt, zumindest für ein paar Momente. Denn die ist da, weil man nach einer kleinen "Nachtschicht" zwar trotzdem noch ausreichend lange geschlafen hat, einem der kranke Schlafrhythmus aber trotzdem mit kindlicher Freude versucht, den Perserteppichboden unter den Füßen wegzuziehen. Was der Schlafrhythmus dabei vergessen hat: auf dem Perserteppichboden kann gar nicht gestanden werden, weil da noch die Sachen stehen, die man am Tag zuvor aus Stuttgart mitgebracht hat. Lehrbücher, Klamotten, Interviewstifte - nur offenbar keine Bettwäsche. Deswegen hat man die Nacht ja auch im Schlafsack verbracht und begibt sich zwischen zwei Seminaren auf die Suche nach neuer, kurz nachdem man einen anderen Artikel für eine andere Zeitung für eine andere Ausgabe - konkret: die morgige - abgeliefert und Mama zehn CDs gebrannt hat, die bis Samstag den Weg nach Stuttgart gefunden haben sollten. Nach dem Einkauf findet man im Kofferraum des Polos
noch einen Wäschekorb, den man aber erst aufräumen kann, nachdem man den Einführungsabend einer studentischen Initiative mitgestaltet und etwas Nahrhaftes in sich hineingestopft hat. Rastlosigkeit macht nicht nur müde, sondern auch hungrig. Und dann ist man bereit dafür, den Perserteppichboden zu befreien, die neue Bettwäsche aufs Bett zu werfen und die alte im Wäschekorb zu finden. Man ist bereit für die kleinen Dinge, die es noch zu erledigen, die es noch vorzubereiten gilt, bevor man den Tag als erfolgreich bestanden abhakt.

Ja, Rastlosigkeit ist ein Hauptgewinn.