Die Suche nach dem Gold

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Freitag, 20. Juli 2007

Vom Zorn, der Furcht - und Liverpool

An dieser und an anderer Stelle ist schon mehrfach die Rede vom Lieblingsdoc gewesen, dem Dozenten für Politische Theorie. Gestern nun, zu Beginn des letzten Prüfungskolloquiums des Semesters, schockte er uns mit der Ankündigung, dass - wenn nicht noch ein Wunder geschieht - er im Herbst nicht mehr am Institut lehren wird. Er stellte eine Kiste Bier in die Mitte, ermunterte zum Zugreifen, trank selbst drei Flaschen und beglückte uns ein letztes (?) Mal mit seiner Kunst. Den Kommilitonen B. nannte er einen klerikalen Faschisten ("Jetzt kann ich es ja sagen" - B. hat darüber gelacht), eine feurige Abschiedsrede, wie man sie sich gewünscht, wie man sie erwartet hatte, unterließ er. Dazu war der Schock wohl noch zu frisch. Er bat uns, ihn einfach gehen zu lassen. Und dann erinnerte er, der so leidenschaftliche Nürnberg-Fan, mit seinen letzten Worten, einem Zitat des Kollegen, Freundes und Sportreporters T. K., an das Champions-League-Finale 2005 zwischen Milan und Liverpool: "Es steht erst 0:3 - und noch ist Zeit." Die Hoffnung ist noch nicht verloren. Aber Wunder gibt es nicht jeden Tag.

Die Welt frisst ihre Kritiker. Das gilt besonders für Bayern, jenes Land, in dem man ohne das richtige Parteibuch und die richtige Konfession höchstens ein Don Quijote werden kann: ein Kämpfer gegen Windmühlen. Der Doc hatte sich für die neu ausgeschriebene Stelle beworben, die dem von der empirisch-analystisch geprägten Wissenschaftswelt eher herablassend betrachteten Lehrstuhl für Politische Theorie (und Philosophie) neues Leben hätte einhauchen können. Die Institutsleitung hatte die Bewerbung begrüßt, der Doc wäre für die Stelle prädestiniert gewesen, lehrt er doch seit einigen Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter genau auf diesem Gebiet. Nun steht wohl fest, dass er die Stelle nicht bekommen wird. Er zieht seine Konsequenzen daraus - und geht ein halbes Jahr vor dem eigentlichen Ende seines Vertrags. Mit gebrochenem Herzen, aber aufrecht, typisch für ihn.

Natürlich ist der Doc kein völlig unumstrittener Mensch und Dozent. Seine gelegentliche Polemik, seine unbedingte Affinität gegenüber Horkheimers und Adornos Kritischer Theorie, sein teilweise kumpelhaftes Verhältnis zu bestimmten Studenten - das alles kann auch kritisch gesehen werden. Aber was ihm anzurechnen ist: er wird nicht müde darin, seine Studenten dazu aufzumuntern, ein kritisches Gespür für die Zustände des Landes und der Gesellschaft zu entwickeln. Es ist ihm wichtig, die jungen Menschen zu einer Reflexion zu führen. Es darf vor allem bei der Geisteswissenschaft nicht allein um das bloße Beschreiben des Existierenden gehen. Gerne hat er Friedrich Nietzsche zitiert (aus: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne): "In irgend einem abgelegnen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Thiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmüthigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte, aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Athemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Thiere mussten sterben." Am Institut ist er in diesem Semester bereits der zweite ansatzweise kritische Dozent, der geht. Der unsägliche Bachelor naht mit großen Schritten und verheißt nichts Gutes. Die Zukunft ist ungewiss, sieht aber momentan nicht allzu rosig aus. Und sein Nachfolger wird erst einmal einen schweren Stand haben.

Aber wer wird denn die Hoffnung verlieren? In Anlehnung an Ulrike Meinhof, die Ikone der RAF, hat der Doc einmal seine Hoffnung im Kampf gegen real existierende Ungerechtigkeiten innerhalb einer Gesellschaft kund getan: "Möge der Zorn irgendwann so gewaltig werden, dass er die Furcht verdrängt."

Sonntag, 20. Mai 2007

Könige des Freudentaumels

Die Fotos lagern auf der Festplatte. Aber Fotos können den Wahnsinn dieses Erlebnisses nicht transportieren. Deswegen sind auch ein paar Videos dabei. Videos, die ich mir noch oft anschauen werde. Und dann werde ich wieder mittendrin sein. Mittendrin in dieser Menschenmenge, mittendrin unter den 70.000 auf dem Schlossplatz, mittendrin unter den 250.000 in der ganzen Stadt, mittendrin unter berauschten Patrioten, deren Glitzern in den Augen das Resultat von Freudentränen und purem Stolz sind. Weil diese Bilder, die in die Nation hinausgeschossen wurden, einfach nur ein wunderbares Bild von dieser Stadt und seinen Menschen transportieren können. Zwölf Stunden habe ich ausgeharrt, die Achterbahnfahrt der Gefühle während des Spiels nie realisiert, es nicht greifen, nicht begreifen können, was da passiert. Habe, als alles klar und doch nicht fassbar war, R. empfangen, der sich seinen verbotenen Weg auf den Platz geebnet hatte, durch den Absperrzaun durch, an der Security vorbei. Habe M. bedauert, weil er am selben Vorhaben scheiterte und von einem starken Gorilla wieder auf die andere Seite des Zauns getragen wurde. Habe auf die Mannschaft gewartet, Fanta 4 zugehört, die Schmerzen meiner Füße ignoriert. Habe wie ein erfreuter Schneekönig mitgejault, als zehntausende unter dem Kommando des bayerischen Anti-Sängers Markus Babbel dieses wunderbare Lied vergewaltigten, You never walk alone. Habe kopfschüttelnd auf der Freitreppe sitzend neue Kraft geschöpft, während WM-Erinnerung angesichts überwältigender Emotionen um einen herum wie graue Farbtöne verblassten.

Und allerspätestens während ich heute, am Tag danach, die sonnenüberströmte A81 gen Norden ins fränkische Exil entlangbretterte und die ewige Queen-Hymne von Gewinnern für Gewinner mit einem fetten Grinsen (seligem Lächeln?) im Gesicht über die Lautsprecher ertönen ließ, da war klar: das waren Momente für die Ewigkeit.

Deutscher Meister: VfB

Montag, 23. April 2007

Die Leidenschaft, die Leiden schafft

Schlechte Nachrichten aus Freiburg: Kumpel R. ruft an und berichtet über einen Kommentar seiner Freundin. "Sie dachte eigentlich, du wärst cool", sagt R., "aber dann hat sie erfahren, dass du Fußballfan bist."

Es gibt Dinge, die werden manche Frauen nie verstehen. Die Liebe eines Mannes zu seinem Club gehört dazu. Aber das ist Frauen nicht vorzuwerfen. Denn diese Liebe in ihrer reinen, bedingungslosen Form ist irrational. Und damit nicht mal für den Mann zu verstehen. Für den Besessenen wie Nick Hornby ihn in "Fever Pitch" nennt - dem Buch für den Besessenen, dem es so schmerzhaft treffend gelingt, das Leben eines Fans zu erzählen. Der Fan heißt Nick Hornby. Wer versuchen würde, zu erklären, warum Fußball für so viele eine Leidenschaft ist, die so ungeheuer stark ist, obwohl oder gerade weil sie so viel Leiden schafft, der müsste grandios scheitern, weil es keinem gelingen würde, es besser zu machen als Hornby. Und deswegen will ich einfach nur eine kleine Geschichte erzählen. Die Geschichte von mir und dem Spiel, das Stuttgart verzaubert und München deprimiert hat.

Eigentlich bin ich kein Ultra, kein Edel-Fan, kein kompromissloser Anhänger, der den VfB in sämtliche Stadien der Republik begleitet. Ich bin mehr rational als emotional, kann mit vielen plumpen und proletenhaften Fangesängen nichts anfangen, rege mich regelmäßig über Idioten auf, die sich auf oder neben dem Platz prügeln und dem Sport eine Note verpassen, die so stinkt wie eine Kloake in Rio de Janeiros "City of God". Auch im Gottlieb-Daimler-Stadion war ich in dieser Saison nur viermal. Aber ich leide mit. Seit Jahren. Ich sehe Spiele im Pay-per-View, ich lese täglich in Fan-Foren, ich fiebere den Wochenenden entgegen. Und das Geschenk einiger Kollegen, die Eintrittskarte zum Spiel gegen die Bayern, ausgerechnet zum Spiel gegen die übermächtigen, bundesweit verhassten, arroganten, in dieser Saison zur Schadenfreude der anderen stolpernden Bayern, macht mich zu einem glücklichen Menschen. Die Vorfreude in der Bahn, die amüsierenden Begegnungen mit betrunkenen Fans des Feindes aus dem benachbarten Ausland, deren Sprachgewirr nach Niederlage riecht, die Suche nach dem Sitzplatz mit einer der Fahnen in der Hand, die der Hauptsponsor verteilt hat, dann der Spielbeginn, die Spannung, die zwei schnellen Tore, die Ungläubigkeit, der Rausch, die Stimmung, die Halbzeitpause, das Herzrasen, das Zittern, die Erleichterung, das Feiern, die Freude, der Genuss - unbezahlbar.

Der Fußball ist wie das Lächeln einer bezaubernden Frau. Wer einmal diese Süße erfährt, will immer wieder davon kosten. Sehnsüchte können verdammt stark sein.