Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Montag, 23. Juni 2008

Das Streben nach Glück

(gewidmet einer treuen Leserin)

Die vorläufige Literaturliste steht. Sie ist, obwohl vorläufig, beängstigend lang. Und das Schlimmste ist: auf ihr stehen fast ausschließlich Texte, die im Fachenglisch verfasst sind. Es geht, grob gesagt, um the pursuit of happiness - das Streben nach Glück. Sozialpsychologie, subjective well-being. Konkreter um das Phänomen der hedonic treadmill. Einer in letzter Zeit vielfach kritisierten Theorie, wonach der Mensch sich abstrampeln muss (wie der Goldhamster in seinem Laufrädchen), um auf dem selben "Glücks"-Niveau zu bleiben. Er muss das, weil er sich zu fix an neue Gegebenheiten anpasst und die Errungenschaften der Gegenwart in der unmittelbaren Zukunft schon als selbstverständlich angesehen werden. Ein spannendes Thema für eine Hausarbeit im Semesterendspurt und bedauerlich, dass so wenig Zeit dafür bleibt - dreieinhalb Wochen nur. Weil in den Tagen und Wochen zuvor andere Dinge Priorität genossen. Trägheit zum Beispiel.

Ein Gutes - das zeigen wissenschaftlich nicht ausgereifte aber deswegen nicht minder überzeugende Studien der Selbstbeobachtung - hat der befüchtete Stress aber: Er lenkt ab. Von den alltäglichen Dingen dieser Welt, die einen zum Nachdenken bringen könnten. Dinge, das eigene verkomplizierte Streben nach Glück betreffend. Welch Ironie!

Donnerstag, 5. Juni 2008

Der lange Schatten der Geschichte

Nach mehr als vier Monaten zurück aus der Kreativpause. Womöglich (vermutlich) nur für kurze Zeit. An der Gesamtansicht hat sich nichts geändert. Ich habe nichts zu erzählen und niemanden (kaum jemanden), den es interessiert. Aber gewisse Dinge müssen dann doch gesagt werden, immer wieder.

Franz Josef Müller
sagt diese Dinge seit Jahrzehnten. Vor Schülern, CDU-Politikern, Gewerkschaftern oder - wie gestern Abend - vor (Würzburger) Studenten. Begleitet von seiner Ehefrau Britta, der treuen Souffleuse an seiner Seite, tourt der Gründer der Weiße Rose Stiftung e.V. und letzte Überlebende der NS-Widerstandsbewegung gleichen Namens durchs Land und spricht. Spricht davon, wie er in Ulm einst eines der Flugblätter aus dem Widerstandskreis um die Gebrüder Scholl zu Gesicht bekam, die jedem halbwegs aufgeklärten Deutschen ein Begriff sind, und sei es durch die Filme von Michael Verhoeven (1982) oder Marc Rothemund (2005). Wie er und seine Freunde darüber debattierten, was zu tun sei. Wie er Briefmarken besorgte, Briefumschläge klaute. Und wie der Pfarrerssohn und Freund Hans Hirzel nach Stuttgart fuhr, um die Flugblätter dort unters verängstigte oder verblendete Volk zu bringen. Und Müller tut das mit so viel Witz, so charmant und nonchalant, als wäre es die Geschichte eines Sommerurlaubs. Natürlich bleibt den Zuhörern das Lachen dann doch im Halse stecken, wenn sie erfahren, wie ein Knöchelbruch ihn 1942 vor dem Russland-Feldzug (und damit, seiner Ansicht nach, vor dem sicheren Tod) rettete. Wie ihn ein Freund unter der Folter der Gestapo verriet, er aber vom Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, anders als in derselben Verhandlung seine Kameraden Kurt Huber und Willi Graf nicht zum Tode, sondern nur zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er - blond und blauäugig - als echter Arier und "jugendlicher Narr" lediglich von "Staatsfeinden verführt" worden sei. Wie er während der Evakuierung des Heilbronner Jugendgefängnisses, in dem er einsaß, die Freiheit wiedererlangte und in einem schwäbischen Dorf die US-amerikanischen Befreier begrüßte, mit schlotternden Beinen, weil die auf seine Beteuerung, er sei ein Widerständler sagten, "there is no resistance in Germany".

Ein weißhaariger Mann ist dieser Müller längst. Einer, der - während ihm Fragen gestellt werden - auf einem Stück Papier herumkritzelt, der fünf Minuten, nachdem er etwas erzählt hat, bereits wieder vergessen hat, dass er es erzählt hat. Er muss dann von Gattin Britta gestoppt werden, weil die Studenten schon belustigt oder irritiert ihre Sitznachbarn anschauen. Und er sagt dann, dass man gewisse Dinge auch mal zweimal sagen müsse, auch wenn er sie schon zum dritten Mal berichtet. Das Alter fordert seinen Tribut. Aber es ist nicht nur das. Es ist das Leben an sich. Die Erinnerung, die ihn quält. Womöglich auch ein Schuldgefühl, wo keines sein sollte. Manchmal, erzählt seine Frau nach dem Gespräch, wache ihr Mann nachts auf und wolle nicht mehr. Weil er schon wieder davon geträumt habe, wie er hingerichtet werde. Genau wie all die anderen, die damals nicht mehr schweigen wollten.

Und weil er selbst nicht vergessen kann, sorgt er dafür, dass andere es auch nicht tun. In der Hoffnung, dass wenn die letzten Zeitzeugen ausgestorben sind, nicht der Mantel der Verschwiegenheit über dunkle Kapitel der Vergangenheit gedeckt wird.