Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Samstag, 25. Dezember 2010

Ein Lied für Argyris

Auf der Suche nach der passenden Mischung von persönlicher und künstlerischer Freiheit sowie dem nötigen Maß an beruflicher und finanzieller Sicherheit bin ich in diesem Jahr bei der Stuttgarter Zeitung gelandet. In einem Job, der es mir erlaubt, über einen Großteil meiner Zeit frei zu verfügen und Geschichten anzugehen, die mich reizen, weil sie den Blick auf Menschen richten, die Aufmerksamkeit verdient haben. Die Begegnung mit dem griechischen Sozialarbeiter Jorgos Louizos führte mich vor einigen Wochen ins Kino - zu einer Sonderaufführung der bemerkenswerten Dokumentation Ein Lied für Argyris des Schweizers Stefan Haupt aus dem Jahr 2006 - einem Film, der definitiv Aufmerksamkeit verdient hat.



Ich erinnere mich an eine Zeit vor gut 15 Jahren, da war ich des Themas überdrüssig. Immer wieder erzählten sie die gleiche Geschichte, immer wieder mahnten sie. Und so schlimm diese Geschichte auch war, die 50 Jahre und mehr zurücklag und durch Steven Spielbergs Schindlers Liste so schmerzhaft eindringlich verfilmt wurde, so sehr hatte ich es satt, sie zu hören. Es wollte nicht in meinen Kopf, was ich, was meine Generation mit dem zu tun hatte, was unsere Großväter verbrochen hatten. Schlussstrichdebatten gab es damals schon zuhauf. Heute stehe ich auf der anderen Seite der Argumentierenden. Die Zeitzeugen sterben langsam aus. Umso dringlicher ist es, die Erinnerung aufrecht zu erhalten.

Stefan Haupt widmet sich in Ein Lied für Argyris der Geschichte von Argyris Sfountouris (Fotos siehe oben), der als noch nicht Vierjähriger am 10. Juli 1944 (vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie) ein Massaker von SS-Schergen auf das griechische Bauerndorf Distomo erlebte und überlebte, im Gegensatz zu Dutzenden seiner Verwandten und seinen Eltern. Seine Schwestern und er überlebten dieses feige Kriegsverbrechen, weil einer der Deutschen, die ihr Dorf überfielen, kleine Steine nach ihnen warf, um sie zu verscheuchen, bevor seine Kameraden sie entdeckten. Man stelle sich die Konsequenz eines solchen Handelns vor, man stelle sie vor, wie manchmal in Sekundenbruchteilen getroffene Entscheidungen Lebenswege verändern. Haupt zeigt aber nicht nur die unerklärliche Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind, den existenziellen Kummer und die Ratlosigkeit, die eine solche Tat bei den traumatisierten Hinterbliebenen auslöst, er ordnet diese Tat und ihre Folgen ein in den Lauf der Zeit. Argyris, der trauernde Junge, der auf Bildern danach immer nur auf seine Zähne beißt, kommt in ein Pflegeheim, reist einige Jahre später in die Schweiz aus und landet im Kinderdorf Pestalozzi für Kriegswaisen. Er studiert später Kern- und Astrophysik, wird noch später Entwicklungshelfer in Somalia, Indonesien, Nepal, trägt stets den moralischen Imperativ seines Vaters in und mit sich. Aus dem Jungen, der früh ein Leid erfuhr, das nicht in Worte zu fassen ist, wird ein Mann, der der Welt seinen Stempel aufdrückt. Den aber Zeit seines Lebens die Frage verfolgt, wie man mit so einer Geschichte umzugehen hat.

Kann man solch ein Leid verarbeiten? Soll man es verdrängen? Seine Schwester, das zeigt die Dokumentation auch, hat den Weg hinaus aus ihrem Kummer nie gefunden. "Ihr Verstand ist stehengeblieben", heißt es - an jenem Tag, an dem die Deutschen kamen und töteten, Dinge taten, die unerklärlich sind, die man sich aber anhören muss, um sich selbst zu vergegenwärtigen, wie Menschen sein können. Um vielleicht für sich ein eigenes kleines Fazit zu ziehen, einen eigenen kleinen moralischen Imperativ für den Umgang mit Menschen und für individuelle gesellschaftliche Verantwortung zu finden. Als die Deutschen nach Athen kamen, gingen sie auf die Akropolis, um die Geschichte und Kultur der Hellenen zu studieren. Auf dem Weg zurück brachen sie hungernden Kindern mit einem Stück Brot in der Hand den Arm.

Doch nicht die individuellen Folgen für Argyris sind Thema des Films, auch die globalen. Die Tatsache, dass die Obristen 1967 ihre grausame rechte Militärdiktatur in Griechenland nur deswegen erwirken konnten, weil der Westen alle sozialistischen Gruppierungen aus Angst vor dem Kommunismus kriminalisierte. Oder Willy Brands Kniefall von Warschau im Dezember 1970, das Eingeständnis der Schuldgefühle einer neuen Generation, das den Blick auf die Deutschen veränderte. Auch der nach der Wiedervereinigung beginnende Kampf um Entschädigung der Überlebenden von Distomo gegen die Bundesrepublik, der auf höchster juristischer Ebene beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch nicht entschieden ist - und der von Argyris Sfountouris initiiert wurde. All diese Bausteine machen Ein Lied für Argyris zu einer gleichsam spannenden Geschichtsstunde wie zu einem nachhaltig aufwühlenden Filmerlebenis - einem Dokument gegen das Vergessen.

Montag, 22. November 2010

Der Terror, hautnah

Das Maschinengewehr im Anschlag stand er an der Stadtbahn-Haltestelle und nickte. Seine blonde Kollegin lächelte und sprach mit einer Passantin, die stehen geblieben war. Doch die Augen des eilig Vorbeilaufenden blieben haften - an einem eindrucksvollem Symbol, das so unmissverständlich wirkte, wie es keine Rede eines Bundesinnenministers oder keine Schlagzeile eines Scharfmacher-Blattes vermögen kann. Die Augen blieben hängen am Maschinengewehr.

Später ist zu erfahren, dass ein privater Sicherheitsdienst im Rathaus jeden Menschen filzt, der sich Zugang verschaffen mochte. Besucher genauso wie Mitarbeiter, die nicht allgemein bekannt sind. "Eine reine Vorsichtsmaßnahme", heißt es. Wegen der höchsten Warnstufe aus Berlin. Wegen des in zwei Tagen beginnenden Weihnachtsmarktes. Und die dramatisch imagegeschädigten Beamten der Stadt, seit Monaten mit Revolutionären und Konterrevolutionären beschäftigt, haben eine neue Aufgabe. Sind plötzlich nicht mehr nur "Schachfiguren und Erfüllungshehilfen einer widerstandsverdrossenen Staatsmacht", sondern auch wieder Freunde und Helfer. Beschützer und Retter.

Angst ist ein mächtiger Begleiter, ein Diktator des eigenen Fühlens und Handelns. Wer Angst hat, geht keine Risiken ein, sehnt sich nach Sicherheit, nach einer Macht, die Schutz garantiert. Wer Angst hat, will keine Angst mehr haben. Wie real ist die Terrorgefahr in Deutschland? Wie wahrscheinlich ist es, dass tatsächlich ein paar Fundamentalisten im Reichstag Geiseln nehmen, sich unter die Besucher des Weihnachtsmarktes (oder die einer Demo gegen Stuttgart 21) mischen und in die Luft sprengen? Wer traut sich eine Antwort auf so eine Frage zu? Der Mann, der am Montagmittag, 22. November, 12 Uhr, auf dem Weg von einem Termin zurück in die Redaktion an zwei Polizisten vorbeieilte, traut sich nicht. Er denkt nur an die große Waffe. Und an die Macht der Symbole.

Hagen Rether - "Haben Sie auch so wahnsinnige Angst vor dem Islam. . .?"

Sonntag, 18. Juli 2010

Adieu, Selbstbestimmung

Fast 40 und scheinbar noch nichts erreicht im Leben - das kann ganz schön frustrierend sein. Drei gealterte Jugendfreunde, deren Boygroup Berlin Brothers seit zehn Jahren auf ihren Durchbruch wartet, planen den ultimativen Coup. Frontmann Johannes Frederik Selinger nennt sich um in John F. Salinger, setzt sich Sonnenbrille und Cowboyhut auf, fälscht durch angeklebte Haare seine Koteletten und fliegt mit seinen Kumpels nach New York. Das Rezept für seinen Weg zum Ruhm: Salinger kündigt an, zu sterben und lässt sich zum Beweis den kleinen Finger der linken Hand amputieren. Die Medien sollen die Reise nach L.A. und in den Tod begleiten. Doch diese beißen erst an, als das Trio zu drastischeren Methoden greift.



Es ist ein Moment voller Biss und Ironie in Short Cut to Hollywood. Beseelt von seiner Narkose, sein Finger wird gerade in Großaufnahme chirurgisch entfernt, schaltet John F. Salinger den Fernseher im Operationswohnwagen auf laut. Zu sehen sind Mark Medlock und Dieter Bohlen, singend: "You can get it if you really try." Das filmische und musikalische Zitat, wie es später im Abspann genannt wird, ist eine Ohrfeige auf die Industrie medialer Traumfabriken, die mit den Sehnsüchten ihrer Konsumenten spielt, genau wie der gesamte Film von Jan Henrik Stahlberg und Marcus Mittermeier, die gemeinsam bereits Muxmäuschenstill drehten. Der unendliche Wille und individuelle Kampf nach Ruhm und Aufmerksamkeit lässt Menschen über Leichen gehen - während Regisseure Freudetränen in den Augen haben. Die menschliche Tragödie verkauft sich wunderbar.

Salinger und seine Freunde werden bald feststellen müssen, dass es nicht ausreicht, sich einen Finger abzuschneiden, um in den Mechanismus aufgenommen zu werden. Erst ein weiterer gescheiterter und ein höchst erfolgreicher Knalleffekt später ist der Weg nach vorn geebnet, aus dem es freilich kein Entrinnen mehr gibt. Die Aufgabe der Selbstbestimmung ist der Preis für den Verkauf seiner Seele. Der Mensch aber ist ein kompliziertes Wesen, das sich zu häufig zu sehr von den Gefühlen des Jetzt leiten lässt und unfähig ist nachzuvollziehen, dass temporäre Emotionen temporär sind. Für den lebensmüden John F. Salinger wird das in dem Moment zum Problem, in dem er das Lächeln einer beliebigen Schönheit sieht und sich verliebt. Ein Lächeln, das ihm nur geschenkt wird, weil er der ist, zu dem er es gebracht hat.

Mit geringem Budget, aber selbstbestimmt, drehten Stahlberg und Mittermeier Short Cut to Hollywood in den USA, dem Mekka der (amerikanischen) Traumwandler. Vor dem Start ihres Filmes in Deutschland gelang ihnen ein entlarvender Werbegag, der ihr Werk adelte. Sie brachten die Meldung eines Selbstmordattentates in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater in Umlauf und narrten damit Agenturen und Medien, für die eine saubere Recherche und die Überprüfung aller Fakten dem Ziel untergeordnet sind, die Meldung als erstes zu haben. Willkommen in der Wirklichkeit.


Samstag, 17. Juli 2010

Eine Welt voller Autisten

Rizwan Khan, ein junger indischer Muslim in San Francisco, leidet unter dem Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus, die sich vor allem in der Empfindbarkeit von Gefühlen anderen Menschen gegenüber zeigt. Trotzdem verliebt sich Khan sofort, als er Mandira kennen lernt. Das Glück scheint vollkommen, als die beiden heiraten und ein Geschäft eröffnen. Doch dann kommt der 11. September 2001 - und ändert alles. (Quelle: Moviemaze)



Großes Potenzial, grandios verschenkt - oder müsste man verscherbelt sagen? Verkauft zugunsten von Effekthascherei a la Hollywood? Schwerfällige Musik, deren unterschwelliger Patriotismus nicht dadurch besser wird, dass sie nach Indien und Bollywood klingt. Ständige Schwarzblenden. Eine Überdosis an schwulstiger Dramatik. Und fertig ist der Kassenschlager. Schade nur, dass die ansonsten viel versprechende Story dadurch schwer ins Hintertreffen gerät.

"Es gibt nur zwei Arten von Menschen: Gute., die gutes tun und Böse, die böses tun" - mit diesem Satz erklärt die Mutter von Rizwan Khan ihrem allein äußerlich erwachsenen Sohn die Welt. Rizwan kann das nicht nachvollziehen. Er leidet unter dem Asperger Syndrom, das es ihm erschwert, ja fast unmöglich macht, Empathie zu zeigen, Gefühle zu spüren. Rizwan wirkt schon in der Zeit vor dem Epochenwechsel des 11. September 2001 wie ein Fremdling. Filmische Mitmenschen wie Kinobeobachter lachen über ihn, dabei ist er eine tragische Figur, für die nur derjenige Verständnis und Fürsorge aufbringen kann, der vor Kraft und Energie nur so strotzt. Die Welt aber, schon vor den Terroranschlägen von New York kompliziert genug, wird durch sie noch unberechenbarer. Der außer Kontrolle geratene Krieg der Religionen in den Köpfen der Menschen scheint die Weltenbürger mit einem Handschlag ebenfalls zu Autisten zu machen - unfähig zum halbwegs harmonischen Miteinander. Die westliche Zivilisation, allen voran die vor Wut torkelnde letzte verbliebene Weltmacht, erstickt in Paranoia. Nachbarn werden zu potenziellen Selbstmordattentätern. Wie soll ein Autist in einer autistischen Welt klarkommen?


Regisseur Karan Johar hätte mit etwas mehr Nüchternheit, mit etwas mehr Zurückhaltung bei den Effekten, einen richtig starken Film drehen können. Er entschied sich für die Melodramatik. Warum? Weil die Menschen in einer Welt voller Probleme keine Probleme sehen wollen, wenn sie ins Kino gehen? Aber trägt ein Kunstschaffender nicht auch Verantwortung für das, was er tut? Muss es nicht auch im Interesse Johars sein, den Spiegel zu nehmen, den er in die Hand gelegt bekommen hat und ihn vor die Gesichter seiner Zuseher zu halten? Ein bisschen weniger wäre im Falle von My Name is Khan so viel mehr gewesen.


Samstag, 3. Juli 2010

Dinge, an denen man merkt, dass...

(heute mit einer Sonderausgabe: Momente, in denen man merkt, dass...) es zu warm ist. Man macht Kehrwoche, vergisst den Hausschlüssel in der Wohnung, läuft 400 Meter bergauf zum Kumpel, dessen Freundin die eigentliche Mieterin der Wohnung ist, aber gerade im Ausland weilt, holt sich den Ersatzschlüssel, läuft zurück und merkt, dass man den falschen Ersatzschlüssel geholt hat.

Samstag, 15. Mai 2010

Gegenwartsstaub

Die Wohnung ist sauber. Alles bis auf Vanessa. Aber die war nicht mehr zu retten, in ihrer jetzigen Form. Sie wird bald neubezogen. Doch die Wohnung ist sauber. Untrennbar damit verbunden war das Gefühl, in Stuttgart angekommen zu sein. Sich wieder bei Freunden melden zu können. An der Kurzgeschichte zu schreiben, die zu lange schon nur im Kopf herumspukte. Die Arbeit besser zu strukturieren, damit die nächsten Ausgaben des neuen Produkts kein Zeitkiller werden. Sich zu verabreden. Die Wohnung ist sauber und ich bin angekommen - und doch schweife ich ab, verliere die Gegenwart aus den Augen, strebe nach vorne, strebe nach mehr. Ich sollte es besser wissen, wo ich doch erst vor einem Monat in meiner Psychologie-Abschlussprüfung über Glückszustände und Tretmühlen referierte. Die entscheidende Erkenntnis, die man eigentlich ziehen sollte, ist, dass das Leben dann am erfülltesten ist, wenn man sich auf die kleinen Schritte, die kleinen Freuden konzentriert, nicht immer nach dem großen Ganzen greift, jetzt, sofort, am besten gestern. Nein, am schlechtesten gestern. Denn was gestern glänzte, hat heute Staub. Aber ich vergesse das zu häufig. Im Innern bin ich ein Getriebener.

Inspiriert von Penny.

Donnerstag, 6. Mai 2010

Dinge, an denen man merkt, dass...

. . . man alt wird: Man sitzt in einer von Studenten okkupierten Stadtbahn auf dem Weg zur Arbeit, hört zwei lamentierenden Frauen zu, die sich darüber auslassen, wie alt sie seien und wie schnell sich die Zeiten geändert hätten und man denkt sich, wie furchtbar jung diese beiden (wie sich herausstellte: 22-Jährigen) doch sind.

P.S. Menschen der Kategorie Ü30 mögen die feine (Selbst-)Ironie besonders erkennen.

Donnerstag, 8. April 2010

Dinge, an denen man merkt, dass...

... man zu viele Alzheimerromane von Martin Suter gelesen hat: Man steht in der Postfiliale, um einen Nachsendeantrag zu beantragen, vergisst beim Zahlen mit der Bankkarte seine Pin-Nummer, versucht es stattdessen mit anderen Pins (sämtlichen Pins, die einem schon mal begegneten), beschwert sich beim Mann am Schalter, dass das Gerät die Karte, die man schon längst wieder eingesteckt hat, nicht mehr herausrückt, schafft es (nach einer Intervention seines Bankberaters) schließlich doch noch, in den Besitz von Bargeld zu kommen, kehrt zur Post zurück - und vergisst das Wort Nachsendeantrag.

Sonntag, 28. März 2010

Sozialisierung zwischen Zwang und Sucht

Meine Welt dreht sich zurzeit sehr schnell. Ein Umzug steht an, schrittchenweise. Eine Ära endet, endgültig am 14. April mit einer Abschiedsparty in Würzburg. Davor: noch zwei mündliche Prüfungen. Eine neue Ära beginnt, am Montag schon, in Stuttgart, der alten Heimat.

Der letzte Blogeintrag ist fast zwei Monate her. Es gab nicht viel zu schreiben. Und was es zu schreiben gab, gab es anderswo zu lesen, in schön verdaulichen kompakten Dosen, dank des Eintritts in die schöne neue Facebook-Welt vor ziemlich genau einem halben Jahr. Anfangs noch etwas zögerlich, habe ich mich zuletzt mehr und mehr blindlings ins Vergnügen gestürzt, andere unermüdlich an Stimmungen und Situationen teilhaben lassen, meine Freundesliste angereichert, bin auf diese Art und Weise Rendezvous mit der Vergangenheit eingegangen. Doch je mehr ich mich kopfsprungartig in den Strudel des neuen Zeitalters begebe, desto antagonistischer sind meine Gefühle deswegen. Auf
Stern-Online ist ein Leidensbericht von Lucy Kellaway, Kolumnisten bei der Financial Times in London, erschienen, der davon handelt, wie wenig sie Facebook versteht. Eine Freundin, ironischerweise eine Netzfreundin, hat in ihrem Blog unlängst ein flammendes Plädoyer gegen die Teilnahme an sozialen Netzwerken veröffentlicht. Das Grunddilemma, das dort zur Sprache kommt, beschäftigt mich im Besonderen, da ich in meinem Buch eben jenen Verlust der ursprünglichen Kommunikationsfähigkeit anprangere, den ich auch durch die zunehmende Konzentration auf virtuelle Kontaktpflege verursacht sehe. Trotzdem bin ich ein Teil dessen geworden, was ich kritisierte - ein sehr aktiver obendrein. Weil es offenbar nur noch zwei Optionen gibt: sich unterzuordnen und mitzuschwimmen, um im vollen Umfang am Leben anderer zu partizipieren. Oder sich abzusondern, sich als Unzeitgemäßer zu outen, in der Gefahr, den Kontakt zu verlieren oder ihn gar nicht mehr erst herstellen zu können. Vielleicht ist das Argument des Zwangs aber auch nur eine feige Ausrede, dazu bestimmt, mein Selbstbild aufrechtzerhalten.

Was mich aber wirklich interessiert: Warum ist unser Leben, das durch die unbegrenzten Möglichkeiten der Virtualität um so ein vielfaches einfacher geworden ist, immer hektischer?

Samstag, 13. Februar 2010

Ständig irgendwo

Wenn ein neues Kind geboren wird, hat das für gewöhnlich drastische Auswirkungen auf die Kinder, die schon da waren. Im Prinzip gibt es da zwei Möglichkeiten. Entweder das ältere Kind entwickelt sich zum rotzfrechen Quälgeist, der ständig beleidigt ist, weil ihm in seiner subjektiven Wahrnehmung keine Aufmerksamkeit mehr zuteil wird oder es entwickelt Muttergefühle (unabhängig davon, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt) und will das Baby selbst schaukeln, wiegen und halten. Mein Baby namens Buchbensch entwickelt sich ganz gut, wenngleich nicht ganz so gut, wie ich gehofft hatte. Das ältere Kind - namentlich dieser Blog hier - fristet ein Dasein im Dunkeln. Martialisch wie ich bin, hatte ich den Erstgeborenen vor einigen Monaten sogar gelöscht. Ich hoffe, der Vernachlässigte möge mir verzeihen. Wenn Buchbensch aus dem Gröbsten raus ist, werde ich ihn (und seine geschätzten exklusiven Leser) wieder besser behandeln.

Davor muss ich aber erst eine neue Wohnung in Stuttgart finden, auf die Realisierung eines Projekts dort hoffen, das mir einen gut bezahlten Job bringen würde, in Würzburg mein Studium beenden, in Oberhof/Thüringen einen anderen Job erledigen, Kinofilme und DVDs anschauen, um sie zu rezenzieren, drei Kurzgeschichten für drei Literaturwettbewerbe verfassen, in Heidelberg einen Geburtstag feiern, eventuell Barcelona, München und Wien besuchen, ... - ich mach mich dann mal besser auf ins Irgendwo.

Samstag, 16. Januar 2010

Der Tag des wandelnden Zombies

Mein Schlafrhythmus macht auf verzogenes Gör. Weil ich in den vergangenen neun Tagen die idiotische Idee hatte, immer erst zwischen 3.30 Uhr und 5.30 Uhr einzuschlafen, stampft er jetzt wütend auf den Boden, als würde ich ihm seine Schokolade verweigern. "Ich will aber jetzt anders sein", brüllt er mir entgegen, mit tränenerstickter Stimme. Und ich bin froh, dass ihn keiner hören kann. Als ich vorgestern zunächst bis 5.30 Uhr wach gelegen war und anschließend erst bis 11 Uhr, dann bis 13 Uhr und schließlich bis 15 Uhr geschlafen hatte, beschloss ich, mich ihm zu stellen. Ihm den Kampf anzusagen. Heute nacht habe ich durchgemacht. Jetzt sitze ich in der Bibliothek und fühle mich wie in der Überschrift angedeutet. Bin unfähig zu lernen, schaffe es aber wenigstens, die zu lernenden Dateien zu öffnen. Habe Nackenschmerzen (vom Nichtschlafen oder Doofliegen) und versuche verzweifelt, die Zeit bis später herumzukriegen. Damit ich heute Abend irgendwann den Schlaf der Gerechten schlafen kann, um morgen um 9 Uhr aufzustehen und wieder ein vernünftiger Mensch zu werden. Was tun also? Ganz einfach. Unsinn schreiben. Von Schlafrhythmen, die Kinderdinge tun.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.




P.S. Ihr kommt doch trotzdem wieder vorbei, oder?

Freitag, 8. Januar 2010

Prioritätenprobleme

Dinge, die mich zurzeit beschäftigen:

- Ich habe eine Bankkarte, die funktioniert. Yeah!
- Ich habe ein virtuelles Interview für mein Buch-Projekt gegeben, das mich zwar gut und gerne eineinhalb Stunden Zeit gekostet hat, aber nach dem ich jetzt gespannt auf Resultate warte.
- Das Projekt als solches. Ich schwebe zwischen Zuständen dauerhafter Begeisterung, Ungeduld und Gespanntheit, was schön ist, weil ich spüre, wie ich lebe und was doof ist, weil ich ein Entspannungsversager bin.
- Mein Leben ls solches und wie es einmal aussehen soll, wenn mein Studium beendet ist.
- Forumstätigkeiten.
- Schokolade.
- Filme.
- Musik.
- Andere Romane.
- Ein Trip nach Barcelona.
- Dieser Unsinn hier.

Dinge, die mich beschäftigen sollten:
- Prüfungen. Erschreckend schnell näher kommende. Mündliche. Lähmende.

Ich hole mir besser noch einen Schokoriegel.