Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Freitag, 28. Januar 2011

Das innere Ungleichgewicht

Da ist diese junge Frau, gefangen im Körper eines weißen Schwans. Nur die aufrichtige Liebe kann sie befreien. Fasziniert von Tragik und Anmut ihrer Gestalt verfällt ihr ein junger Prinz. Doch die schwarze Seite ihrer Seele ergreift die Macht über ihr Tun, verführt den Angebetenen und besiegelt das Schicksal beider. Die herausfordernde Rolle an einer New Yorker Oper spielen zu dürfen ist der große Traum von Nina (Natalie Portman). Der Direktor Thomas Leroy (Vincent Cassel) zweifelt jedoch daran, dass die diszipliniert-kontrollierte und völlig verkopfte Nina in der Lage ist, den leidenschaftlich-verführerischen Part des schwarzen Schwans auf die Bühne zu bringen. Erst ein unerwarteter kurzer Ausbruch Ninas stimmt ihn um. Leroy bringt einen Stein ins rollen, der zur Lawine wird.



Mit seiner modernen Version von Schwanensee lockt der für außergewöhnliche Filme bekannte Regisseur Darren Aronofsky seinen Zuschauer auf eine Reise, die sich nach gemächlichem Beginn als Achterbahnfahrt herausstellen wird - mit Loopings wie Faustschläge in die Magengrube. Vor allem im letzten Viertel regelrecht in seinem Kinosessel gefesselt - denn diesen Film muss man auf der großen Leinwand sehen! - erlebt der Beobachter eine Wandlung der Protagonistin, die ihm den Atem raubt. Viel ist in Kritiken zu
Black Swan über die Auseinandersetzung mit einem Mikrokosmos (oder auch gerne höher gestapelt; einer Gesellschaft) des Leistungsdrucks die Rede. Der Krieg der bissigen Zicken (u.a. Mila Kunis und die ein wenig in Vergessenheit geratene Winona Ryder) soll das veranschaulichen, auch die Erwartungen des Regisseurs oder der Wahn der Mutter (Barbara Hershey), selbst eine gescheiterte Ballerina, die geplatzten Träumen nachtrauert. Doch Hersheys Figur in ein solches SChema zu pressen, wäre unangebracht. Früh entdeckt die Mutter, welche tiefschwarzen Charakterzüge in ihrer Tochter schlummern. Sie ist die einzige, die Anzeichen richtig deutet und versucht, die erwachsene Nina in einer Welt der Kuscheltiere und Blümchenschlafanzüge zu halten. Ohne zu viel zu verraten: es wird ihr freilich nicht gelingen.

Was folgt ist ein Psychodrama, das sich gewaschen hat. Großartig insziniert und gefilmt, mitreißend und faszinierend. Ein Film, der seinen Zuschauer nicht so schnell wieder loslässt, für den Natalie Portman bei den Vorbereitungen auf ihre Rolle und wärend der Dreharbeiten selbst Höllenqualen durchlitten haben muss. Den Golden Globe hat sie als Honorierung bereits erhalten, der Oscar könnte folgen. Wer sich von der Ballett-Thematik abschrecken lässt, ist selbst schuld. Er verpasst Großes.



Samstag, 25. Dezember 2010

Ein Lied für Argyris

Auf der Suche nach der passenden Mischung von persönlicher und künstlerischer Freiheit sowie dem nötigen Maß an beruflicher und finanzieller Sicherheit bin ich in diesem Jahr bei der Stuttgarter Zeitung gelandet. In einem Job, der es mir erlaubt, über einen Großteil meiner Zeit frei zu verfügen und Geschichten anzugehen, die mich reizen, weil sie den Blick auf Menschen richten, die Aufmerksamkeit verdient haben. Die Begegnung mit dem griechischen Sozialarbeiter Jorgos Louizos führte mich vor einigen Wochen ins Kino - zu einer Sonderaufführung der bemerkenswerten Dokumentation Ein Lied für Argyris des Schweizers Stefan Haupt aus dem Jahr 2006 - einem Film, der definitiv Aufmerksamkeit verdient hat.



Ich erinnere mich an eine Zeit vor gut 15 Jahren, da war ich des Themas überdrüssig. Immer wieder erzählten sie die gleiche Geschichte, immer wieder mahnten sie. Und so schlimm diese Geschichte auch war, die 50 Jahre und mehr zurücklag und durch Steven Spielbergs Schindlers Liste so schmerzhaft eindringlich verfilmt wurde, so sehr hatte ich es satt, sie zu hören. Es wollte nicht in meinen Kopf, was ich, was meine Generation mit dem zu tun hatte, was unsere Großväter verbrochen hatten. Schlussstrichdebatten gab es damals schon zuhauf. Heute stehe ich auf der anderen Seite der Argumentierenden. Die Zeitzeugen sterben langsam aus. Umso dringlicher ist es, die Erinnerung aufrecht zu erhalten.

Stefan Haupt widmet sich in Ein Lied für Argyris der Geschichte von Argyris Sfountouris (Fotos siehe oben), der als noch nicht Vierjähriger am 10. Juli 1944 (vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie) ein Massaker von SS-Schergen auf das griechische Bauerndorf Distomo erlebte und überlebte, im Gegensatz zu Dutzenden seiner Verwandten und seinen Eltern. Seine Schwestern und er überlebten dieses feige Kriegsverbrechen, weil einer der Deutschen, die ihr Dorf überfielen, kleine Steine nach ihnen warf, um sie zu verscheuchen, bevor seine Kameraden sie entdeckten. Man stelle sich die Konsequenz eines solchen Handelns vor, man stelle sie vor, wie manchmal in Sekundenbruchteilen getroffene Entscheidungen Lebenswege verändern. Haupt zeigt aber nicht nur die unerklärliche Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind, den existenziellen Kummer und die Ratlosigkeit, die eine solche Tat bei den traumatisierten Hinterbliebenen auslöst, er ordnet diese Tat und ihre Folgen ein in den Lauf der Zeit. Argyris, der trauernde Junge, der auf Bildern danach immer nur auf seine Zähne beißt, kommt in ein Pflegeheim, reist einige Jahre später in die Schweiz aus und landet im Kinderdorf Pestalozzi für Kriegswaisen. Er studiert später Kern- und Astrophysik, wird noch später Entwicklungshelfer in Somalia, Indonesien, Nepal, trägt stets den moralischen Imperativ seines Vaters in und mit sich. Aus dem Jungen, der früh ein Leid erfuhr, das nicht in Worte zu fassen ist, wird ein Mann, der der Welt seinen Stempel aufdrückt. Den aber Zeit seines Lebens die Frage verfolgt, wie man mit so einer Geschichte umzugehen hat.

Kann man solch ein Leid verarbeiten? Soll man es verdrängen? Seine Schwester, das zeigt die Dokumentation auch, hat den Weg hinaus aus ihrem Kummer nie gefunden. "Ihr Verstand ist stehengeblieben", heißt es - an jenem Tag, an dem die Deutschen kamen und töteten, Dinge taten, die unerklärlich sind, die man sich aber anhören muss, um sich selbst zu vergegenwärtigen, wie Menschen sein können. Um vielleicht für sich ein eigenes kleines Fazit zu ziehen, einen eigenen kleinen moralischen Imperativ für den Umgang mit Menschen und für individuelle gesellschaftliche Verantwortung zu finden. Als die Deutschen nach Athen kamen, gingen sie auf die Akropolis, um die Geschichte und Kultur der Hellenen zu studieren. Auf dem Weg zurück brachen sie hungernden Kindern mit einem Stück Brot in der Hand den Arm.

Doch nicht die individuellen Folgen für Argyris sind Thema des Films, auch die globalen. Die Tatsache, dass die Obristen 1967 ihre grausame rechte Militärdiktatur in Griechenland nur deswegen erwirken konnten, weil der Westen alle sozialistischen Gruppierungen aus Angst vor dem Kommunismus kriminalisierte. Oder Willy Brands Kniefall von Warschau im Dezember 1970, das Eingeständnis der Schuldgefühle einer neuen Generation, das den Blick auf die Deutschen veränderte. Auch der nach der Wiedervereinigung beginnende Kampf um Entschädigung der Überlebenden von Distomo gegen die Bundesrepublik, der auf höchster juristischer Ebene beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch nicht entschieden ist - und der von Argyris Sfountouris initiiert wurde. All diese Bausteine machen Ein Lied für Argyris zu einer gleichsam spannenden Geschichtsstunde wie zu einem nachhaltig aufwühlenden Filmerlebenis - einem Dokument gegen das Vergessen.

Montag, 22. November 2010

Der Terror, hautnah

Das Maschinengewehr im Anschlag stand er an der Stadtbahn-Haltestelle und nickte. Seine blonde Kollegin lächelte und sprach mit einer Passantin, die stehen geblieben war. Doch die Augen des eilig Vorbeilaufenden blieben haften - an einem eindrucksvollem Symbol, das so unmissverständlich wirkte, wie es keine Rede eines Bundesinnenministers oder keine Schlagzeile eines Scharfmacher-Blattes vermögen kann. Die Augen blieben hängen am Maschinengewehr.

Später ist zu erfahren, dass ein privater Sicherheitsdienst im Rathaus jeden Menschen filzt, der sich Zugang verschaffen mochte. Besucher genauso wie Mitarbeiter, die nicht allgemein bekannt sind. "Eine reine Vorsichtsmaßnahme", heißt es. Wegen der höchsten Warnstufe aus Berlin. Wegen des in zwei Tagen beginnenden Weihnachtsmarktes. Und die dramatisch imagegeschädigten Beamten der Stadt, seit Monaten mit Revolutionären und Konterrevolutionären beschäftigt, haben eine neue Aufgabe. Sind plötzlich nicht mehr nur "Schachfiguren und Erfüllungshehilfen einer widerstandsverdrossenen Staatsmacht", sondern auch wieder Freunde und Helfer. Beschützer und Retter.

Angst ist ein mächtiger Begleiter, ein Diktator des eigenen Fühlens und Handelns. Wer Angst hat, geht keine Risiken ein, sehnt sich nach Sicherheit, nach einer Macht, die Schutz garantiert. Wer Angst hat, will keine Angst mehr haben. Wie real ist die Terrorgefahr in Deutschland? Wie wahrscheinlich ist es, dass tatsächlich ein paar Fundamentalisten im Reichstag Geiseln nehmen, sich unter die Besucher des Weihnachtsmarktes (oder die einer Demo gegen Stuttgart 21) mischen und in die Luft sprengen? Wer traut sich eine Antwort auf so eine Frage zu? Der Mann, der am Montagmittag, 22. November, 12 Uhr, auf dem Weg von einem Termin zurück in die Redaktion an zwei Polizisten vorbeieilte, traut sich nicht. Er denkt nur an die große Waffe. Und an die Macht der Symbole.

Hagen Rether - "Haben Sie auch so wahnsinnige Angst vor dem Islam. . .?"

Sonntag, 18. Juli 2010

Adieu, Selbstbestimmung

Fast 40 und scheinbar noch nichts erreicht im Leben - das kann ganz schön frustrierend sein. Drei gealterte Jugendfreunde, deren Boygroup Berlin Brothers seit zehn Jahren auf ihren Durchbruch wartet, planen den ultimativen Coup. Frontmann Johannes Frederik Selinger nennt sich um in John F. Salinger, setzt sich Sonnenbrille und Cowboyhut auf, fälscht durch angeklebte Haare seine Koteletten und fliegt mit seinen Kumpels nach New York. Das Rezept für seinen Weg zum Ruhm: Salinger kündigt an, zu sterben und lässt sich zum Beweis den kleinen Finger der linken Hand amputieren. Die Medien sollen die Reise nach L.A. und in den Tod begleiten. Doch diese beißen erst an, als das Trio zu drastischeren Methoden greift.



Es ist ein Moment voller Biss und Ironie in Short Cut to Hollywood. Beseelt von seiner Narkose, sein Finger wird gerade in Großaufnahme chirurgisch entfernt, schaltet John F. Salinger den Fernseher im Operationswohnwagen auf laut. Zu sehen sind Mark Medlock und Dieter Bohlen, singend: "You can get it if you really try." Das filmische und musikalische Zitat, wie es später im Abspann genannt wird, ist eine Ohrfeige auf die Industrie medialer Traumfabriken, die mit den Sehnsüchten ihrer Konsumenten spielt, genau wie der gesamte Film von Jan Henrik Stahlberg und Marcus Mittermeier, die gemeinsam bereits Muxmäuschenstill drehten. Der unendliche Wille und individuelle Kampf nach Ruhm und Aufmerksamkeit lässt Menschen über Leichen gehen - während Regisseure Freudetränen in den Augen haben. Die menschliche Tragödie verkauft sich wunderbar.

Salinger und seine Freunde werden bald feststellen müssen, dass es nicht ausreicht, sich einen Finger abzuschneiden, um in den Mechanismus aufgenommen zu werden. Erst ein weiterer gescheiterter und ein höchst erfolgreicher Knalleffekt später ist der Weg nach vorn geebnet, aus dem es freilich kein Entrinnen mehr gibt. Die Aufgabe der Selbstbestimmung ist der Preis für den Verkauf seiner Seele. Der Mensch aber ist ein kompliziertes Wesen, das sich zu häufig zu sehr von den Gefühlen des Jetzt leiten lässt und unfähig ist nachzuvollziehen, dass temporäre Emotionen temporär sind. Für den lebensmüden John F. Salinger wird das in dem Moment zum Problem, in dem er das Lächeln einer beliebigen Schönheit sieht und sich verliebt. Ein Lächeln, das ihm nur geschenkt wird, weil er der ist, zu dem er es gebracht hat.

Mit geringem Budget, aber selbstbestimmt, drehten Stahlberg und Mittermeier Short Cut to Hollywood in den USA, dem Mekka der (amerikanischen) Traumwandler. Vor dem Start ihres Filmes in Deutschland gelang ihnen ein entlarvender Werbegag, der ihr Werk adelte. Sie brachten die Meldung eines Selbstmordattentates in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater in Umlauf und narrten damit Agenturen und Medien, für die eine saubere Recherche und die Überprüfung aller Fakten dem Ziel untergeordnet sind, die Meldung als erstes zu haben. Willkommen in der Wirklichkeit.