Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Montag, 30. April 2007

Die Einsamkeit verlassener Asphaltwüsten

Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts, ein kurzes Innehalten, aber noch keine Verwunderung, weil da nichts los ist, mitten in New York, am hellichten Tag. Der schwarze Ferrari mit seinem selbstbewussten Insassen biegt in eine schnurgerade Hauptverkehrsstraße ein. Noch immer: nichts. Kein Mensch auf der Straße, verlassene Autos stehen Spalier. Ein Blick auf die Armbanduhr. Es ist 9.05 Uhr, die Augen des Fahrers wandern, seine Sicherheit bröckelt. Vor lauter Unachtsamkeit überfährt er eine rote Ampel, was ohne Folgen bleibt, ist doch keiner da, der es gesehen haben könnte. Dann: der Time Square, flackernde Reklamelichter, ein paar Vögel, aber kein menschliches Wesen. Und da steigt David Aames aus, panisch, mit schwerem Atem. Und rennt. Rennt einfach nur. Rennt immer schneller, vorbei an Videowänden, bleibt schließlich stehen, breitet die Hände aus und schreit. Schreit - bis er aufwacht. Bis ihm die innere Stimme, die ihn aus dem Albtraum befreit, die magischen Worte zuflüstert: "Open your eyes".

Der Sonntagabend-Filmabend (nein, nicht Vanilla Sky, sondern Amores Perros) endete gegen halb 2 und ich machte mich auf einen rund 20minütigen Heimweg durch Würzburg, der schlafenden Stadt. Fünf Menschen, vier Autos, ein Motorrad, eine Katze und ein Eichhörnchen kreuzten in diesen 20 Minuten meinen Weg - eine Bilanz, so mager wie ein brasilianisches Topmodel.

Das erinnerte mich an Neujahr 2004, als R. und ich in einem spontanen Anfall von Abenteuersucht uns abends aufmachten, die schöne Stadt am Neckar unsicher zu machen und uns auf der heutigen Partymeile vorkamen, wie direkt in den Film 28 days later katapultiert, als Überlebende eines furchtbaren Virusangriffs auf die Menschheit. Die Partymeile, benannt nach Theodor Heuss (Ehre, wem Ehre gebührt) ist eine sechsspurige Verbindung zwischen dem Stuttgarter Rotebühlplatz und dem Hauptbahnhof. Wer sie überqueren will, muss auf eine rote Ampel warten oder Sprinterqualitäten beweisen. Nicht so in dieser Nacht, in der wir es uns auf dem Mittelstreifen gemütlich machten, den Kopf in den Himmel richteten, die Augen schlossen und die Hände von uns streckten, ähnlich wie Tim Robbins als der geflohene Andy Dufresne in Die Verurteilten, nur ohne Regen. Magische Momente.

Freitag, 27. April 2007

Die Nester der Vergangenheit

Das nimmersatte Gröhlen gut gelaunter Erstsemester-Zahnis drängt noch immer von der Dachterrasse herunter in den ersten Stock des Wohnheims. Da oben sitzen sie, mit viel Bier, Baguette und Bratwürstchen, lassen ab und zu ihren Blick schweifen auf dieses süße kleine Studentenstädtchen oder die stolze Festung, die des Nachts immer beleuchtet ist, und freuen sich, dass sie sind, wo sie sind. Angekommen im Studium, in einer Zeit, von der viele noch Jahrzehnte später sagen, sie sei die beste in ihres Lebens gewesen.

Kollege B. zum Beispiel. Ex-Kollege B., besser gesagt. "Ach, das Studium", sagt der immer, seufzt und bekommt einen verklärten Blick. Erst neulich wieder, beim Besuch in der Heimat, beim Besuch in der Redaktion, die in gewisser Weise eine Heimat in der Heimat war. Man vergisst nie, wo man groß geworden ist. Aber in die Freude der Rückkehr mischt sich ein leichtes Entsetzen. "Hier hat sich nichts geändert", sagt B. und scheint durch mein Auftreten frustriert, als erinnere er ihn an eine Art Stillstand in seinem Leben. Kollege G. gehe es zurzeit auch nicht gut. Er denke über eine mehrmonatige Auszeit nach, zwecks Klostergang oder Jakobswegwanderung. Und Redaktionsleiter C. fährt jetzt den Porsche seines Vaters.

Bei aller Freude über das Rendezvous mit der Vergangenheit. Es macht mir bewusst, wie richtig, wie wichtig die Entscheidung gewesen war, nach Jahren des permanenten beruflichen Aufstiegs in Stuttgart das selbstgemachte Nest zu verlassen und noch studieren zu gehen. Das Risiko eines Neuanfangs zu wagen. "Überleg dir das genau", hatte Mentor und bester Freund D. mich im Dezember 2004 noch gewarnt. "Vielleicht tun sich hier neue Perspektiven auf." Kurz darauf war auch er überzeugt. Ich ging meinen Weg. Ich ging. Und tauchte ein in eine neue Welt, deren Erfahrungen mich haben reifen lassen.

Und wenn ich heute zurückkehre, wenn ich heute Aufträge übernehme, aus alter Verbundenheit, aus Loyalitätsgründen, dann genieße ich jede Minute, jede Zeile. Denke mit einem Lächeln zurück an die Zeit, an das Lernen, an das Begreifen. Doch ich habe mein Nest verlassen. Und so ganz zurückkehren, das werde ich nie mehr.


Dienstag, 24. April 2007

Adrenalingeschwängerte Tage wie dieser

Rastlosigkeit ist ein Hauptgewinn. Das weiß jeder, der nach Tagen des Stresses in das "Urlaubsloch" fällt. Eine Horrorvorstellung: Endlich frei haben, endlich Zeit haben für die Dinge, für die man sonst keine Zeit hat. Endlich die Möglichkeit haben, daran zu arbeiten, Träume nicht mehr nur zu träumen, sondern zu leben. Irgendwann. Bald. Endlich Zeit haben für... - ach, ich geh' 'ne Runde fernsehen.

Ja, Rastlosigkeit ist ein Hauptgewinn. Das Adrenalin peitscht einen durch den Tag. Die Erinnerung an all die Dinge, die es zu erledigen gibt, machen einen verrückt. Aber am Abend weiß man wenigstens, was man alles getan hat, um am nächsten Tag nicht völlig unterzugehen. Dem Tag, an dem man irgendwann zwischen den zwei Vorlesungen und dem Pokerabend von Würzburg nach Fürth fahren muss, um drei schwäbische Torhüter zu interviewen, die ihr Glück im Frankenland gefunden haben - oder vielleicht noch suchen? Die Antwort wird mit Sicherheit in dem Artikel stehen, der am Freitag erscheinen soll und damit eventuell den Pokerabend zunichte macht, weil der Donnerstag bereits jetzt völlig überladen ist.

Ja, Rastlosigkeit ist ein Hauptgewinn. Weil sie einen die Müdigkeit vergessen lässt, zumindest für ein paar Momente. Denn die ist da, weil man nach einer kleinen "Nachtschicht" zwar trotzdem noch ausreichend lange geschlafen hat, einem der kranke Schlafrhythmus aber trotzdem mit kindlicher Freude versucht, den Perserteppichboden unter den Füßen wegzuziehen. Was der Schlafrhythmus dabei vergessen hat: auf dem Perserteppichboden kann gar nicht gestanden werden, weil da noch die Sachen stehen, die man am Tag zuvor aus Stuttgart mitgebracht hat. Lehrbücher, Klamotten, Interviewstifte - nur offenbar keine Bettwäsche. Deswegen hat man die Nacht ja auch im Schlafsack verbracht und begibt sich zwischen zwei Seminaren auf die Suche nach neuer, kurz nachdem man einen anderen Artikel für eine andere Zeitung für eine andere Ausgabe - konkret: die morgige - abgeliefert und Mama zehn CDs gebrannt hat, die bis Samstag den Weg nach Stuttgart gefunden haben sollten. Nach dem Einkauf findet man im Kofferraum des Polos
noch einen Wäschekorb, den man aber erst aufräumen kann, nachdem man den Einführungsabend einer studentischen Initiative mitgestaltet und etwas Nahrhaftes in sich hineingestopft hat. Rastlosigkeit macht nicht nur müde, sondern auch hungrig. Und dann ist man bereit dafür, den Perserteppichboden zu befreien, die neue Bettwäsche aufs Bett zu werfen und die alte im Wäschekorb zu finden. Man ist bereit für die kleinen Dinge, die es noch zu erledigen, die es noch vorzubereiten gilt, bevor man den Tag als erfolgreich bestanden abhakt.

Ja, Rastlosigkeit ist ein Hauptgewinn.

Montag, 23. April 2007

Die Leidenschaft, die Leiden schafft

Schlechte Nachrichten aus Freiburg: Kumpel R. ruft an und berichtet über einen Kommentar seiner Freundin. "Sie dachte eigentlich, du wärst cool", sagt R., "aber dann hat sie erfahren, dass du Fußballfan bist."

Es gibt Dinge, die werden manche Frauen nie verstehen. Die Liebe eines Mannes zu seinem Club gehört dazu. Aber das ist Frauen nicht vorzuwerfen. Denn diese Liebe in ihrer reinen, bedingungslosen Form ist irrational. Und damit nicht mal für den Mann zu verstehen. Für den Besessenen wie Nick Hornby ihn in "Fever Pitch" nennt - dem Buch für den Besessenen, dem es so schmerzhaft treffend gelingt, das Leben eines Fans zu erzählen. Der Fan heißt Nick Hornby. Wer versuchen würde, zu erklären, warum Fußball für so viele eine Leidenschaft ist, die so ungeheuer stark ist, obwohl oder gerade weil sie so viel Leiden schafft, der müsste grandios scheitern, weil es keinem gelingen würde, es besser zu machen als Hornby. Und deswegen will ich einfach nur eine kleine Geschichte erzählen. Die Geschichte von mir und dem Spiel, das Stuttgart verzaubert und München deprimiert hat.

Eigentlich bin ich kein Ultra, kein Edel-Fan, kein kompromissloser Anhänger, der den VfB in sämtliche Stadien der Republik begleitet. Ich bin mehr rational als emotional, kann mit vielen plumpen und proletenhaften Fangesängen nichts anfangen, rege mich regelmäßig über Idioten auf, die sich auf oder neben dem Platz prügeln und dem Sport eine Note verpassen, die so stinkt wie eine Kloake in Rio de Janeiros "City of God". Auch im Gottlieb-Daimler-Stadion war ich in dieser Saison nur viermal. Aber ich leide mit. Seit Jahren. Ich sehe Spiele im Pay-per-View, ich lese täglich in Fan-Foren, ich fiebere den Wochenenden entgegen. Und das Geschenk einiger Kollegen, die Eintrittskarte zum Spiel gegen die Bayern, ausgerechnet zum Spiel gegen die übermächtigen, bundesweit verhassten, arroganten, in dieser Saison zur Schadenfreude der anderen stolpernden Bayern, macht mich zu einem glücklichen Menschen. Die Vorfreude in der Bahn, die amüsierenden Begegnungen mit betrunkenen Fans des Feindes aus dem benachbarten Ausland, deren Sprachgewirr nach Niederlage riecht, die Suche nach dem Sitzplatz mit einer der Fahnen in der Hand, die der Hauptsponsor verteilt hat, dann der Spielbeginn, die Spannung, die zwei schnellen Tore, die Ungläubigkeit, der Rausch, die Stimmung, die Halbzeitpause, das Herzrasen, das Zittern, die Erleichterung, das Feiern, die Freude, der Genuss - unbezahlbar.

Der Fußball ist wie das Lächeln einer bezaubernden Frau. Wer einmal diese Süße erfährt, will immer wieder davon kosten. Sehnsüchte können verdammt stark sein.

Samstag, 21. April 2007

Die Liebe auf dem Sand

Das leise Rascheln der Bäume und das selbstbewusste Lachen der Sonne verschaffen dem Augenblick des Auftritts die Note, die ihm fehlte. Auf der Terrasse der Anlage mitten im Wald sitzt der Clubchef, grüßt mich freundlich und erkundigt sich mit ehrlichem Interesse nach meinem Studium. Und hinter ihm zelebriert der chronisch braungebrannte Platzwart J. sein Ritual: er wässert die Tennisplätze.

Es ist der Tag, an dem meine Sandplatzsaison eröffnet wird. Mit frischen Bällen, wie sich das gehört. Die Dose gibt ein Zischgeräusch von sich, das wie ein Startschuss wirkt. Wie einer, der von keiner Pistole getoppt werden könnte. "Apropos Pistole", sagt mein nicht mehr studierender Tennispartner O., "hast du dir eigentlich schon eine Waffe besorgt?" Brauche ich nicht. Meine Vorhand ist Waffe genug, denke ich mir und schnüffle einmal an den leuchtend gelben Bällen, bevor sie ihren einzigartigen Geruch verlieren. "Was inhalierst du sonst so?", erkundigt sich O. - und schlägt mir den ersten Ball um die Ohren. Es gelingt mir zunächst nicht, etwas zu erwidern. Meiner Waffe fehlt die Präzision, ich habe keine Sicherheit in meinen Schlägen. Von meiner Rückhand will ich gar nicht anfangen. Sie ist ungefähr genauso stabil wie ein Stuhl mit drei kaputten Beinen - auf einem Wackelpudding. Nach knapp siebenmonatiger Pause ist das kein Wunder. Und doch frage ich mich manchmal: Habe ich mein Talent irgendwo verloren oder hatte ich nie eines?

1986 habe ich mit Tennis angefangen. Ich hatte nie den großen Ehrgeiz, Turnierspieler zu werden. Verbissen trainieren, mehrfach die Woche, mehrere Stunden täglich - war nicht mein Ding. Auf Turniere fahren, fast jedes Wochenende, irgendwo aufs Land - ebenfalls nicht. Mir reichten die Duelle gegen M. zu Beginn der 90er auf der heimischen Anlage, als wir uns Namen unserer (wechselnden) Idole gaben. Bis zu fünf Stunden am Stück in fünf heiß umkämpften Sätzen spielten Sergi Bruguera und Charly Steeb häufig. Am Ende versanken sie (wir) ausgelaugt in den Sesseln des Vereinsheims, tranken Spezi und fühlten sich (uns) bedeutungsvoll.

Doch Zeiten der Unbeschwertheit dauern bekanntlich nicht lange. Tennis ist für mich in letzter Zeit mehr Qual als Freude. Und doch kehre ich immer wieder auf den Platz zurück, bleibe sogar stehen, wenn ich mir Blasen an Händen oder Füßen geholt habe. Ein bisschen Hass gehört eben zu jeder Liebe.

Donnerstag, 19. April 2007

Beginn der Reise

Am Anfang stand ein Ende. Das Ende von M. B. Nach nur einem Jahr Schaffenszeit verstarb plangemäß Aames' virtueller Alter Ego. Er hatte seine Schuldigkeit erfüllt. Sein Vermächtnis flattert vergessen und doch sanft durch die Tiefen des Netzes, auffindbar nur für die wenigen, denen sich M. B. anvertraut, denen er Geheimnisse verraten hat. An Reinkarnation hatte M. B. nicht geglaubt. Doch nun ist er wieder da. In neuer Form. Und weiß selbst nicht so genau, warum eigentlich. Die Reise beginnt. Eine Reise ins Ungewisse. In freudiger Erwartung auf weitere "sweet and bitter things". In Erinnerung an das, was Brian Shelby sagte. Während er lächelte. Und dabei noch gar nichts von Sofia wusste.

Welcome to my life! Again.