Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Donnerstag, 5. Juni 2008

Der lange Schatten der Geschichte

Nach mehr als vier Monaten zurück aus der Kreativpause. Womöglich (vermutlich) nur für kurze Zeit. An der Gesamtansicht hat sich nichts geändert. Ich habe nichts zu erzählen und niemanden (kaum jemanden), den es interessiert. Aber gewisse Dinge müssen dann doch gesagt werden, immer wieder.

Franz Josef Müller
sagt diese Dinge seit Jahrzehnten. Vor Schülern, CDU-Politikern, Gewerkschaftern oder - wie gestern Abend - vor (Würzburger) Studenten. Begleitet von seiner Ehefrau Britta, der treuen Souffleuse an seiner Seite, tourt der Gründer der Weiße Rose Stiftung e.V. und letzte Überlebende der NS-Widerstandsbewegung gleichen Namens durchs Land und spricht. Spricht davon, wie er in Ulm einst eines der Flugblätter aus dem Widerstandskreis um die Gebrüder Scholl zu Gesicht bekam, die jedem halbwegs aufgeklärten Deutschen ein Begriff sind, und sei es durch die Filme von Michael Verhoeven (1982) oder Marc Rothemund (2005). Wie er und seine Freunde darüber debattierten, was zu tun sei. Wie er Briefmarken besorgte, Briefumschläge klaute. Und wie der Pfarrerssohn und Freund Hans Hirzel nach Stuttgart fuhr, um die Flugblätter dort unters verängstigte oder verblendete Volk zu bringen. Und Müller tut das mit so viel Witz, so charmant und nonchalant, als wäre es die Geschichte eines Sommerurlaubs. Natürlich bleibt den Zuhörern das Lachen dann doch im Halse stecken, wenn sie erfahren, wie ein Knöchelbruch ihn 1942 vor dem Russland-Feldzug (und damit, seiner Ansicht nach, vor dem sicheren Tod) rettete. Wie ihn ein Freund unter der Folter der Gestapo verriet, er aber vom Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, anders als in derselben Verhandlung seine Kameraden Kurt Huber und Willi Graf nicht zum Tode, sondern nur zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er - blond und blauäugig - als echter Arier und "jugendlicher Narr" lediglich von "Staatsfeinden verführt" worden sei. Wie er während der Evakuierung des Heilbronner Jugendgefängnisses, in dem er einsaß, die Freiheit wiedererlangte und in einem schwäbischen Dorf die US-amerikanischen Befreier begrüßte, mit schlotternden Beinen, weil die auf seine Beteuerung, er sei ein Widerständler sagten, "there is no resistance in Germany".

Ein weißhaariger Mann ist dieser Müller längst. Einer, der - während ihm Fragen gestellt werden - auf einem Stück Papier herumkritzelt, der fünf Minuten, nachdem er etwas erzählt hat, bereits wieder vergessen hat, dass er es erzählt hat. Er muss dann von Gattin Britta gestoppt werden, weil die Studenten schon belustigt oder irritiert ihre Sitznachbarn anschauen. Und er sagt dann, dass man gewisse Dinge auch mal zweimal sagen müsse, auch wenn er sie schon zum dritten Mal berichtet. Das Alter fordert seinen Tribut. Aber es ist nicht nur das. Es ist das Leben an sich. Die Erinnerung, die ihn quält. Womöglich auch ein Schuldgefühl, wo keines sein sollte. Manchmal, erzählt seine Frau nach dem Gespräch, wache ihr Mann nachts auf und wolle nicht mehr. Weil er schon wieder davon geträumt habe, wie er hingerichtet werde. Genau wie all die anderen, die damals nicht mehr schweigen wollten.

Und weil er selbst nicht vergessen kann, sorgt er dafür, dass andere es auch nicht tun. In der Hoffnung, dass wenn die letzten Zeitzeugen ausgestorben sind, nicht der Mantel der Verschwiegenheit über dunkle Kapitel der Vergangenheit gedeckt wird.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Mich interessiert was du schreibst! Schön mal wieder was von dir zu lesen.
Hat mir sehr gefallen, habe Tränen in den Augen. Solch etwas berührt mich immer sehr - aber so sollte es ja auch sein, nicht? ...

Liebe Grüße!
Jo