Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Samstag, 1. Dezember 2007

Infektion der Seligkeit

Ich zitiere mich mal wieder selbst:
Impressionen aus der Stuttgarter Innenstadt: Auf dem Weihnachtsmarkt steht ein Mann und isst ein Schweinehalsbrötchen. Er zieht sein Handy aus der Tasche, ruft Otto an. „Ja, ich bin’s. Ich wollte nur schnell fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch wünschen.“ Ob er wohl weiß, dass er den Anschein macht, als ob er genervt eine Liste mit Bekannten und Freunden abarbeitet? Seine Frau steht schmatzend daneben. Otto möchte mit ihr sprechen. Ihr Mann hält ihr das Handy ans Ohr. „Ich versteh dich ganz schlecht“, sagt sie und ihre Stirn versteckt sich hinter Falten. „Ja, ebenso. Ja... Ja... Fröhliches Fest“, stottert sie. (...) „Fröhliche Weihnachten“, wünscht ein verdächtig ungestresster Mann im vollen Brustton der Überzeugung der Dame hinter der Kasse. „Wenn es nur schon so weit wäre“, stöhnt diese leise und kümmert sich um den nächsten Kunden. Der größte Luxus ist es, nicht hetzen zu müssen. Doch auf den Straßen, wimmelt es von verzweifelten Menschen (...). Und wer nicht aufpasst, wird von gedankenversunkenen Rollstuhlfahrerschieberinnen einfach gerammt. Oder von blinden Orgeldrehern und flötespielenden Kindern taub musiziert, weil die alle 15 Meter stehen und sich ihre Klänge zu einem hochexplosiven Gemisch zusammentun.
Es war der 22. Dezember 2006, als ich das schrieb. Warum ich damals in der Stadt war, weiß ich nicht mehr genau. Vermutlich war ich auf der Suche nach Last-Minute-Geschenken, wie jedes Jahr. Oder nach meiner Last-Minute- Weihnachtsstimmung, wie jedes Jahr. Doch dieses Mal scheint alles anders zu sein. Ich bin infiziert. In wenigen Stunden beginnt der Bazar in meiner alten Schule, traditionell am "ersten Adventssamstag". Neben mir liegen leckere (von Mama) selbst gebackene Plätzchen und als vorhin Dean Martin Winter Wonderland sang, habe ich das Radio instinktiv lauter gestellt. Ja, ich habe sogar Lust, die Weihnachts-CD von den Roten Rosen anzuhören, die M. zu seiner Einstimmung missbraucht hat. Auf der Straße fallen mir traurige Clowns auf, die Oh Tannenbaum mit dem Akkordeon interpretieren und aus den Fenstern über dem öligen Hinterhof, in dem mein KFZ-Mechaniker haust, höre ich Saxophon-Töne, die ankündigen, dass Santa Claus in town comes. Vorhin bin ich durch die Stadt gelaufen, nur kurz, und habe gelächelt. Und die Menschen lächelten zurück. Wahnsinn, wie die Gemütslage die Wahrnehmung verändert. So vorübergehend. Es lebe die gelebte Psychologie!

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