Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Mittwoch, 7. November 2007

Fallen lassen in Portugal

„Von tausend Erfahrungen, die wir machen, bringen wir höchstens eine zur Sprache, und auch diese bloß zufällig und ohne die Sorgfalt, die sie verdiente. Unter all den stummen Erfahrungen sind diejenigen verborgen, die unserem Leben unbemerkt seine Form, seine Färbung und seine Melodie geben. Wenn wir uns dann, als Archäologen der Seele, diesen Schätzen zuwenden, entdecken wir, wie verwirrend sie sind. Der Gegenstand der Betrachtung weigert sich stillzustehen, die Worte gleiten am Erlebten ab, und am Ende stehen lauter Widersprüche auf dem Papier.“

„Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?“

Meine Welt braucht gute Bücher, genauso wie sie gute Filme braucht. Sie sind meine Sucht. Sie schenken mir Momente der Geborgenheit, wenn die Welt der anderen, in der ich lebe, einmal mehr erdrückend wird. Sie sind meine Rückzugsmöglichkeit, ein Hort, in den ich mich flüchte, um für kurze Zeit zu vergessen, einzutauchen. In gute Bücher muss man sich verlieren können. Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier, Philosophie-Professor an der Freien Universität Berlin, ist ein gutes Buch. Ein Roman, in dem ein angesehener Berner Lehrer der alten Sprachen – von den Schülern geliebt, von den Kollegen gefürchtet – durch die bahnbrechende Erfahrung einer flüchtigen Begegnung kurzerhand die Gleise seines eintönigen Lebens verlässt, um sich auf die Spuren eines portugiesischen Phantoms zu machen: Eines Arztes und Autors, dem es gegeben war, mit seiner ungeheuerlichen Präsenz für die Menschen seines Umfelds zur Sonne zu werden, um die sich alle anderen drehten. Die Gedanken, die dieser Amadeu Inácio de Almeida Prado zu Papier gebracht hat, strotzen nur so vor einer unendlichen Wut, einer inneren Verzweiflung und dem unbändigen Willen, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Ich selbst verfalle zuweilen in eine Ohnmacht der Sprachlosigkeit, wenn ich versuche, mir die Facetten des Lebens zu vergewärtigen, wenn ich versuche, ihrer Herr zu werden. Nur im Schreiben gelingt es mir, einen Hauch von Ordnung in mein Gedankenwirrwarr zu bringen. Die Vertrauten meines Lebens haben mir häufig mein Schweigen vorgeworfen. Vielleicht, nein: ziemlich sicher, ist einfach die Angst, die Dinge nicht so ausdrücken zu können, wie sie klingen sollten, mitverantwortlich dafür, dass ich still bleibe. Aber dieser Wunsch nach Erfüllung ist allgegenwärtig, diese Sehnsucht nach dem Fühlen und Staunen, diese irrationale Trauer über vergangene Tage, Monate, Jahre, die im Nachhinein so scheinen, als seien sie nicht hinreichend gelebt worden. Diese Sicht der Dinge bestimmt meinen Blick auf die Welt, sie bestimmt mein Handeln. Sie ist mit dafür verantwortlich, dass ich die Flucht nach vorne ins Studium gewählt habe, das selbstgemachte Nest verließ. Sie wird mich weiter begleiten.

Aber für den Moment ist es schön gewesen, sich einfach nur verloren zu haben, in einem guten Buch.

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