Die Suche nach dem Gold

Die Suche nach dem Gold

Mittwoch, 4. Februar 2009

Oase verzweifelt gesucht

Es ist nur eine Vermutung, keine wagemutige freilich, denn es war immerhin Juli. Aber ich glaube, an dem Tag, an dem der italienische Journalist, Schriftsteller und (nächste Vermutung!) Lebenskünstler Tiziano Terzani vor viereinhalb Jahren in einem kleinen Dorf in der Toskana für immer einschlief, da lachte die Sonne vom Himmel. Weil da jemand ging, der dies reinen Herzens und mit glücklichen Erinnerungen tat. Das wird nur zu deutlich, wenn man das (auf den bisherigen 122 Seiten) sagenhafte Buch Das Ende ist mein Anfang liest. Terzani unterhält sich darin mit seinem Sohn Folco,über sein Leben, fernab von all den Barrieren, die ein Vater-Sohn-Verhältnis längst nicht erst seit Cat Stevens kennt. Über all die Dinge, die Söhne ins Staunen bringen, weil sie sich nicht ausmalen können, zu welchen Heldentaten diese alternden Über-Ichs vor ihnen einst fähig waren. Und weil die Väter nicht die Energie, das Interesse oder das Erinnerungsvermögen aufbringen, um ihren Söhne ihre Weisheiten mit auf den Weg zu geben. Terzani hat unter anderem für den Spiegel vom Vietnam-Krieg berichtet. Und er tat dies immer in der Gewissheit einer großen Verantwortung, der sich - so scheint es - Journalisten von heute in Zeiten des Kollektivismis und der Nachrichtenflut nicht mehr bewusst sind.

Anfang Dezember bekam ich die Zusage für ein dreimonatiges Praktikum bei einem in Hamburg produzierten Magazin. Eines, das für sich proklamiert, Qualitätsmedium zu sein. Anfang Januar nun kam eine Absage - und via Telefon ein halbherziges Dementi, dass es je eine Zusage gegeben habe. Doch dies seltsame Geschäftsgebahren ist gar nicht so wichtig. Denn auf der Suche nach möglichen Alternativen fiel mir auf: da gibt es (mit gutem Willen) ein halbes Dutzend deutsche Printmedien, die jedoch zum Teil in scheinbar unerreichbaren Sphären schweben. Und darunter ist eine große Masse an Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen, die den Blick für den journalistischen Geist verloren haben. Oder - wenn man die Perspektive wechselt - die sich hilflos von einem Strom tragen lassen, der in den Untiefen der Gesellschaft entspringt. Irgendwo dort, wo kleine grüne Kobolte an ein paar Hebelchen sitzen und sich unentwegt darüber amüsieren, dass es ihnen gelungen ist, die Generation Dschungelcamp zu kreieren, deren Mitgliedern die tägliche Ration Brisant und RTL II News zum Leben reicht. Und dann stelle ich mir die Frage: will ich für eine Zeitung oder ein Magazin schreiben, in dem Promischeidungen einen höheren Stellenwert haben als zum Beispiel ein nicht enden wollender Völkerkrieg in Simbabwe? Man mag es Druck der Leserschaft nennen, wenn so etwas passiert. Ich finde die Erklärung unbefriedigend und faul.

Vor etwa drei Wochen unterhielt ich mich mehr zufällig mit J., gerade für ein Jahr in England und zu dem Zeitpunkt auf Heimaturlaub, über die Qualität der britischen Medien. Sie verdrehte nur die Augen. Selbst in den BBC-Nachrichten würden sich Topmeldungen eher mit neuesten Informationen über Pop Idol als mit Finanzkrisen oder sonstigen Brandherden auseinandersetzen. Würde bedeuten: wir jammern in Deutschland auf hohem Niveau. Was wir ja angeblich gut können. Und doch klänge der Verweis auf noch schlimmere Zustände für mich wie der Versuch eines Schülers, vor seinen Eltern die 5+ in Mathe dadurch aufzuwerten, dass der Klassendurchschnitt ja 5- gewesen sei.


Vielleicht bin ich aber auch nur zu sehr Idealist.


Dienstag, 6. Januar 2009

Hamburg, vorsätzlich

Nur ein kurzes Winken aus der Wintersstarre. Es gibt momentan nicht viel Neues zu erzählen, auch nicht von Tom. Aber dieses Wochenende mit R. bei K. in H. ist dann doch eine Erwähnung wert. Ich habe nämlich festgestellt, dass das Leben einem verdammt viel Freude geben kann, wenn es einem gelingt, an drei aufeinanderfolgenden Tagen bis tief in die Nacht wach zu bleiben und nach viereinhalb Stunden wieder "auf den Beinen" zu sein. Trotzdem brauche ich den Feiertag heute zur Regeneration. Den guten Mix aus Vernunft und Verrücktheit finden - das sollte das Ziel sein. Ein guter Vorsatz für 2009, finde ich.

Montag, 1. Dezember 2008

Der Preis der Sauberkeit

Gestern habe ich meine Wohnung sauber gemacht - und landete am Ende in der Notaufnahme des Juliusspitals. Und das kam so:

Es war mal wieder an der Zeit, für ein bisschen Ordnung zu sorgen. Also spazierte ich nach dem Aufstehen ins Bad und sorgte für ein bisschen Ordnung. Den plötzlichen stechenden Schmerz im Rücken (eher im Bereich der rechten Flanke) - "Mist, jetzt habe ich eine dumme Bewegung gemacht" - ignorierte ich zunächst, dann versuchte ich ihn mit Hilfe einer heißen Dusche zu besiegen. Erst als ich auf die Straße ging, weil ich mich mit D. und M. zum Nachmittagsnack verabredet hatte, geriet ich ins Grübeln. Zum einen deswegen, weil ich den kurzen Sprint zur Straßenbahn nach zwei Metern abbrach. Und zum anderen, weil ich mich urplötzlich an jenen unangenehmen Spätherbsttag des Jahres 2005 erinnerte, an dem ich das erste Mal in den Unisport ging - und beim Volleyball einen Hexenschuss erkämpfte. Die Schmerztabletten von Wohnheimsnachbar A., einem angehenden Zahnarzt, hatten mir damals die Möglichkeit geschenkt, ruhig zu liegen. Allein die Erinnerung an diese Nacht verschärfte nun den Schmerz. "Ich komme ein bisschen später. Ich glaube, ich habe einen Hexenschuss und wanke gerade erst am Rathaus vorbei", teilte ich D. via Handy mit. "Wenn du einen Hexenschuss hast, wankst du jetzt gefälligst sofort ins Krankenhaus", antwortete D. "Ach was, das geht schon. Ich geh' schon", sagte ich. Als wir uns zehn Minuten später auf halber Strecke trafen, grinste mich das Rettungsassistenten-Paar an. "Ich hätte nicht geglaubt, dass wir uns mit einem alten Mann treffen", sagte M. In diesem Sinne ging es weiter, da kannte Spaßvogel D. keine Gnade. Und Lachen kann zuweilen ganz schön weh tun.

Weil die Schmerzen und die Vernunft sich im Laufe der nächsten Stunden immer mehr annäherten, ging ich doch noch ins Krankenhaus. "Was haben Sie denn gemacht?", fragte die Schwester an der Anmeldung, als sie mein schmerzverzehrtes Gesicht sah. "Sauber", antwortete ich trocken. Sie lachte. "Sie machen das wohl nicht so häufig." Die junge Neurologin, die mich kurz darauf untersuchte, schien sich ihrer Sache nicht so ganz sicher zu sein. Meine Beschreibung der Symptome und der Schmerzen ließen nicht einwandfrei auf einen Hexenschuss schließen. Sie befürchtete eine Entzündung der Nieren - und bat mich um eine Blut- und Urinprobe. Und wo der Zugang schon einmal gelegt war, bekam ich auch gleich eine Infusion. Und danach noch eine. Weil die erste nichts geholfen hatte.

Mittlerweile hatten eine extreme Müdigkeit und eine leichte Schummrigkeit die Kontrolle über mich übernommen. Doch als die Neurologin mit einem sächselnden Urologen und einem Ultraschallgerät wiederkam, war ich hellwach. "Wie geht es Ihnen?", fragte der Urologe. "Super", antwortete ich. "Was machen Sie dann hier?", erwiderte er - und unterhielt sich mit meiner Neurologin über Arbeitsschichten an Weihnachten und Silvester. Dann wurde ich zum Versuchskaninchen. "Sie müssen immer viel Klibber nehmen", sagte der Urologe und zeigte seiner Kollegin, wie man mit einem Ultraschallgerät Nieren, Leber, Milz, Herz, Blase, Wirbelsäule und noch ein paar andere lebenswichtige Organe untersucht. Ich verzichtete darauf zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Kurz darauf durfte ich gehen - oder wanken. Der Weg nach Hause war ja zum Glück nicht weit.

Im Bett wollte ich eigentlich noch arbeiten. Es war ja erst 20 Uhr. Doch die Müdigkeit übermannte mich. Als ich das erste Mal wieder aufwachte, hatte ich nur die Hoffnung, dass es vielleicht erst 4 Uhr war und ich bis zum Weckerklingen um 7 Uhr noch ein paar Stündchen schlafen dürfte. Draußen schlug es Mitternacht.

Montag, 17. November 2008

Geradeaus ins Paradies

Ich komme gerade zurück aus Jena. Die knapp zweieinhalbstündige Fahrt hat sich gelohnt. Freilich nicht etwa deswegen, weil es sich bei Jena um ein bezauberndes Städtchen handelt. An der Autobahnausfahrt versprühen Urlaubsplattenbauten den Charme einer Reifenpanne im strömenden Regen. Und in der Stadt selbst ist mir in erster Linie jenes Straßenschild aufgefallen, das rechts zur Arbeitsagentur für Arbeit wies - und geradeaus nach Jena-Paradies, ein nahezu absurder Gedanke. Nein, ich hatte den Besuch vielmehr mit der Hoffnung verknüpft, der Schweizer Andi Gross, der dort heute eine dreistündige Vorlesung hielt, könne vielleicht etwas Licht in das Dunkel bringen, das mich umgibt, wenn ich an meine Magisterarbeit denke. Weil er so was wie der Godfather der Direkten Demokratie ist, zumindest ihr glühendster Vertreter. Aber eigentlich wollte ich etwas ganz anderes erzählen. Den auf der Fahrt nach Jena lässt es sich nicht vermeiden, an Weimar vorbeizukommen - und damit auch an Buchenwald. Und dies wiederum erinnerte mich an meinen letzten Besuch dort. Und an die Gedanken, die hängen blieben. Ich zitiere:

"Kein Wölkchen am babyblauen Himmel, die Sonne strahlt tapfer und ergiebig und der Wind streift sanft Gesichter und Bäume. Fast könnte man glauben, man sei an einem Ort des Glücks und der Idylle, doch diese Idylle ist die Hölle - und die Feuersbrunst bedrückt einen noch immer, obwohl sie schon seit mehr als 60 Jahren als gelöscht gilt. Und an der Tür steht "Jedem das Seine", von innen, damit man es auch lesen kann, als "Bewohner" dieser Idylle.

Man befindet sich in Buchenwald, auf dem Ettersberg nahe Weimar, in der Gedenkstätte Buchenwald, in einem ehemaligen Konzentrationslager, in dem die Nazis willkürlich Menschen zu Unmenschen degradiert haben, im Kampf der Arier für das Gerechte. Und später die Russen auf einer Reinigungstour durch die sowjetische Besatzungszone ähnliche Greueltaten begingen, auf ihrem Kampf nach Gerechtigkeit. Trauer und Wut überkommt einen. Trauer, weil dieses unglaubliche Leid von politischen Gefangenen und Juden an jeder Ecke zu spüren ist, in den kleinen Zellen, in denen aufsässige Insassen an den Füßen aufgehängt wurden bis sie starben. In den Genickschussanlagen, in denen Kriegsgefangene in einem Moment starben, in dem sie annahmen, ihre Körpergröße werde gerade gemessen. Oder im Krematorium, dessen Schornstein Überlieferungen zufolge stets rauchte. Trauer, tiefe Trauer.

Aber auch Wut. Wut darüber, dass keiner etwas gewusst haben wollte von Buchenwald, von Dachau, von Auschwitz. Dort, auf dem Ettersberg, auf dem Platz, auf dem die Gefangenen morgens und abends zum Appell hatten antreten müssen, konnte ein Blick auf Weimar erhascht werden. Doch in der Stadt, so heißt es, wussten die Menschen nichts von den Geschehnissen, die in ihrer direkten Umgebung stattfanden. Warum ist es so, dass Menschen nicht aufstehen und kämpfen, wenn ihnen die Ungerechtigkeit förmlich ins Gesicht springt? Warum stehen Menschen schweigend daneben und schließen die Augen? Warum belegen wissenschaftliche Studien, dass Menschen einem Hilfsbedürftigen weniger helfen, wenn viele Menschen daneben stehen und die Hände in die Hosentaschen stecken?

Die Hoffnungslosigkeit, die einen in Buchenwald noch heute an jeder Ecke überlegen grinsend grüßt, lässt einen niedergeschmettert zurück."